Arzneimittel und Therapie

Auf der Suche nach dem idealen Kontrazeptivum

Neues Estrogen Estetrol schürt Hoffnungen

In Europa ist vor wenigen Wochen ein neues orales hormonelles Kontrazeptivum bestehend aus Estetrol und Drospirenon zur Zulassung empfohlen worden. Das auch während der Schwangerschaft natürlich auftretende Estrogen Estetrol könnte im Vergleich zu herkömmlichen Estrogenen ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen und die hormonelle Kontrazeption sicherer machen.

Am 25. März 2021 hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA ein neues hormonelles Kontrazeptivum zur Zulassung empfohlen [1]. Es handelt sich um eine Kombination aus 14,2 mg Estetrol, einem neuartigen Estrogen, und 3 mg Drospirenon, einem Progestagen. Die Empfängnisverhütung wird erreicht, indem zum einen Estetrol die Aktivität des follikelstimulierenden Hormons unterdrückt sowie das Blutungsmuster stabilisiert und zum anderen Drospirenon die Aktivität des luteinisierenden Hormons hemmt. Entwickelt wurde das Präparat von einem Joint Venture der belgischen Biotech-Firma Mithra und dem niederländischen Unternehmen Panta Rhei, das das Präparat weltweit mit verschiedenen Lizenznehmern vertreiben will. In Europa soll es unter den Handelsnamen Drovelis® durch die Firma Gedeon Richter und Lydisilka® durch die Firma Estreta SPRL in den Verkehr gebracht werden. Das Präparat wurde bereits in den USA und Kanada zur hormonalen Kontrazeption zugelassen.

Foto: terovesalainen/AdobeStock

Aus alt mach neu

Mithra wirbt für Estetrol als eine „answer from nature“, da es sich um ein natürlich vorkommendes Estrogen handelt. Das Hormon zeichnet sich im Vergleich zu den anderen im weiblichen Organismus vorkommenden Estrogenen durch eine zusätzliche Hydroxyl-Gruppe an der Position 15 aus (siehe Abbildung). Estetrol wird nur in der Schwangerschaft nachgewiesen, da die zusätzliche OH-Gruppe nur durch die fetale 15-Hydroxylase in das Molekül eingeführt werden kann. Die veränderte Struktur zieht wichtige pharmakokinetische und pharmakodynamische Auswirkungen nach sich. Estetrol bindet zwar sehr selektiv an die im Zellkern lokalisierten Estrogen-Rezeptoren ER-alpha und ER-beta, aber mit einer viel schwächeren Affinität als Estradiol [2]. Aufgrund der schwachen Aktivität des Hormons wurden die Forschungen 20 Jahre nach dessen Entdeckung im Jahre 1965 mehr oder wenig eingestellt. Man weiß zudem bis heute nicht, welche Rolle Estetrol während der Schwangerschaft spielt. Erst nach der Jahrtausendwende flammte wieder neues Interesse an dem Hormon auf. Es zeigte sich, dass das Hormon nach oraler Einnahme mit 20 bis 24 Stunden eine deutlich längere Halbwertszeit aufweist als beispielsweise Estradiol (ein bis zwei Stunden bzw. zehn bis zwölf Stunden für mikronisiertes Estradiol) oder Estriol (10 bis 20 Minuten) [3]. Zudem wird Estetrol in der Leber kaum dem Phase-1-Metabolismus unterworfen und somit auch nur unwesentlich in beispielsweise Estradiol oder Estriol umgewandelt. Estetrol wird in der Leber lediglich glucoronidiert bzw. sulfatiert und über die Nieren ausgeschieden [4]. Außerdem bindet das Hormon nicht in das Sexualhormon-Bindeglobulin SHBG und weist nur eine generelle Plasma-Protein-Bindung von 46 bis 50% auf [4]. Diese günstige Pharmakokinetik in Kombination mit dem schwachen Agonismus machten Estetrol daher zu einem interessanten Kandidaten, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von hormonellen estrogenhaltigen Präparaten zu verbessern. Die Firma Mithra hat mehrere Präparate in der Pipeline: das Kombinationspräparat Drovelis® zur Kontrazeption sowie Perinesta® für die Perimenopause und Donesta® als Hormontherapie in der Menopause, welche sich bereits im Phase-II- bzw. Phase-III-Stadium befinden. Das Unternehmen bezeichnet Estetrol als sogenanntes NEST (native estrogen with selective action in tissues; natives Estrogen mit selektiver Aktivität in verschiedenen Geweben), da das Hormon eine vier- bis fünffache Präferenz für die ER-alpha-Rezeptoren gegenüber den ER-beta-Rezeptoren hat und in verschiedenen Zelltypen unterschiedliche Effekte auslösen soll [5]. Es wirkt agonistisch an Estrogenrezeptoren in der Hypophyse bei der Hemmung der Ovulation und agonistisch an Rezeptoren in Endometrium, Myometrium (Muskelschicht der Gebärmutter), Vagina, Gehirn und womöglich antagonistisch zu Estradiol bei Mammakarzinomen.

Abb.: Strukturen der natürlich vorkommenden Estrogene, die sich in der Anzahl der Hydroxylgruppen unterscheiden. Estriol wird vorwiegend in der Plazenta und Estetrol nur in der neonatalen Leber synthetisiert.

Effektive Kontrazeption ...

Die Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats zur Kontrazeption wurde in klinischen Studien an über 3700 Probandinnen über 13 Zyklen hinweg in Europa, Russland und den USA unter Beweis gestellt [6, 7]. Der Pearl-Index, der angibt, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die trotz Verhütung mit der untersuchten Methode innerhalb eines Jahres schwanger werden, wird in der Fachinformation der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA mit 2,65 beziffert [4]. Der erreichte Indexwert ist vergleichbar mit dem anderer hormoneller Kontrazeptiva. Eine kürzlich publizierte Studie demonstrierte, dass das Präparat effektiv die Ovulation bei den untersuchten Frauen unterdrückte [8]. Zu den am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen gehören Zwischenblutungen, Kopfschmerzen, Akne, Libidoverlust, Gewichtszunahme und Dysmenorrhö. Die relevanteste Wechselwirkung tritt wie bei allen anderen oralen Kontrazeptiva mit CYP3A-Induktoren auf, welche die empfängnisverhütende Wirkung vermindern bzw. aufheben können [4].

... mit weniger Nebenwirkungen?

Aufgrund der geringeren estrogenen Aktivität des Estetrols erhoffen sich die Urheber auch geringere Nebenwirkungen des Hormons, beispielsweise in Bezug auf das Thromboserisiko. In einer Studie an 101 Frauen wurde gezeigt, dass das Präparat wichtige Blutgerinnungsmarker im Vergleich zu einer Kombination mit Ethinylestradiol und Levonorgestrel oder Drospirenon teilweise weniger beeinflusste [9]. Inwieweit sich dies in ein geringeres Thromboserisiko übersetzen lässt, muss noch in klinischen Studien geklärt werden. Zudem gehört der Kombinationspartner Drospirenon zu den Gestagenen, die das Thromboserisiko am meisten erhöhen [10]. Zusätzlich weist Drovelis® ein günstigeres metabolisches Profil im Vergleich zu herkömmlichen Kombinationspräparaten auf. Verschiedene Blutparameter wie beispielsweise das Sexualhormon-­Bindeglobulin, die Blutlipide und Cortisolspiegel wurden durch das Präparat weniger stark beeinflusst als durch Ethinylestradiol in Kombination mit Levonorgestrel oder Drospirenon [11]. Die Einnahme von Estetrol könnte außerdem mit einem geringeren Brustkrebsrisiko verbunden sein. Zumindest legen verschiedene In-vitro- und In-vivo-Studien dies nahe [12]. Im Gegensatz zu Estradiol fördert Estetrol das Wachstum von Brustgewebe deutlich weniger und könnte so langfristig einen Vorteil haben. Die Effekte von Estetrol auf das Endometrium hingegen sind vergleichbar mit dem herkömmlichen Ethinylestradiol [8].

Als Fazit lässt sich sagen, dass das Präparat eine effektive Empfängnisverhütung bietet. Ob es aber alle Versprechungen einlösen kann und ein deutlich verbessertes Nutzen-Risiko-Profil im Vergleich zu anderen Estrogenen erreicht, wird sich noch zeigen müssen. |

Literatur

[1] Zulassungsempfehlung des CHMP der EMA für Drovelis vom 25.März 2021. https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-drovelis_en.pdf (Abruf am 05. Mai 2021

[2] Coelingh Bennink HJT et al. Estetrol review: profile and potential clinical applications. Climcateric 2008;11:47–58

[3] Visser M et al. First human exposure to exogenous single-dose oral estetrol in early postmenopausal women. Climacteric 2008;11:31–40

[4] Fachinformation Nexstellis®, Informationen der FDA www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2021/214154s000lbl.pdf, Abruf am 04. Mai 2021

[5] Grandi G et al. Estetrol (E4): the new estrogenic component of combined oral contraceptives. Expert Rev Clin Pharmacol 2020;13:327-330

[6] E4 FREEDOM (Female Response Concerning Efficacy and Safety of Estetrol/Drospirenone as Oral Contraceptive in a Multicentric Study) - EU/Russia Study, ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02817828, Abruf am 05. Mai 2021

[7] E4 FREEDOM (Female Response Concerning Efficacy and Safety of Estetrol/Drospirenone as Oral Contraceptive in a Multicentric Study) - United States/Canada Study, ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02817841 Abruf am 05. Mai 2021

[8] Duijkers I et al. Effects of an oral contraceptive containing estetrol and drospirenone on ovarian function. Contraception 2021;103:386-393

[9] Douxfils J et al. Evaluation of the effect of a new oral contraceptive containing estetrol and drospirenone on hemostasis parameters. Contraception 2020;102:396-402

[10] “Benefits of combined hormonal contraceptives (CHCs) continue to outweigh risks – CHMP endorses PRAC recommendation” Pressemitteilung EMA vom 16. Januar 2014

[11] Klipping C et al. Endocrine and metabolic effects of an oral contraceptive containing estetrol and drospirenone. Contraception 2021;103:213-221

[12] Gérard C et al. Estetrol is a weak estrogen antagonizing estradiol-dependent mammary gland proliferation. J Endocrinol 2015;224:85–89

Apotheker Dr. Tony Daubitz

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