Arzneimittel und Therapie

Quartett ist Trumpf

Ein Kommentar zur neuen ESC-Leitlinie Herzinsuffizienz

Vor wenigen Tagen hat die „European Society of Cardiology“ ihre neue Leitlinie zur Therapie der Herzinsuffizienz veröffentlicht. Welche Wirkstoffe dort zu finden sind, erklärt Dr. Olaf Rose in seinem Kommentar. Er forscht neben dem Medikationsmanagement auch an pharmazeutischen Interventionen in kardiologischen und neurologischen Indikationen.

Dr. Olaf Rose, PharmD, Münster

Herzinsuffizienz ist eine Krankheit mit starker Auswirkung auf die Lebensqualität. Geringe Belastbarkeit, Dyspnoe und die erforderliche Diurese schränken den Bewegungsradius im Krankheitsverlauf zunehmend ein. In die Therapie ist in den letzten Jahren aber mächtig Bewegung gekommen. Zwar fehlt weiterhin der große Gamechanger, viele kleine Studien, Entwicklungen und klinische Erkennt­nisse haben die Behandlungsmöglichkeiten aber deutlich verbessert. Vor diesem Hintergrund wurde die Bewertung der Studienlage durch die neue Herzinsuffizienz-Leitlinie der „European Society of Cardiology“ (ESC) mit Spannung erwartet. Besonderes Augenmerk liegt auf der Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion (HFrEF), die einer Therapie besonders gut zugänglich ist.

Wie wirken SGLT-2-Hemmer auf eine Herzinsuffizienz?

Über die Hemmung des Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2) fördern Dapagliflozin (Forxiga®) und die übrigen Vertreter dieser Wirkstoffklasse die Glucose-Ausscheidung. Gleichzeitig steigt die osmotische Diurese durch die verminderte Natrium-Reabsorption. Man vermutet, dass die erhöhte Natrium-Abgabe in den distalen Tubulus die tubuloglomeruläre Rückkopplungsreaktion steigert, wodurch der intraglomeruläre Druck gesenkt wird. Zusammen mit der osmotischen Diurese führen diese Effekte neben einem reduzierten Blutdruck auch zu einer geringen Vor- und Nachlast im Herzen, das sich wiederum günstig auf das kardiale Remodeling bei Herzinsuffizienz auswirkt.

Vier im Bunde

In der Pharmakotherapie wurden nun die SGLT(Sodium dependent glucose co-transporter)-2-Hemmer in die Erstlinientherapie zur Verringerung von Morbidität und Mortalität gleichwertig zu ACE-Hemmern, geeigneten Betablockern und Aldosteron-Antagonisten aufgenommen. Diese Erkenntnis ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die U.S. Food and Drug Administration (FDA) kardiovaskuläre Sicherheitsstudien zu allen neuen Antidiabetika verlangt. In den Studien EMPA-REG (Empagliflozin), CANVAS und CREDENCE (Canagliflozin), DAPA-HF & DECLARE TIMI-58 (Dapagliflozin) und VERTIS-CV (Ertugliflozin) fielen die SGLT-2-Hemmer nicht nur als sicher, sondern sogar als stark wirksam in der Behandlung der Herzinsuffizienz auf. Dies spiegelt sich nun in der aufgewerteten Erstlinienempfehlung wider. Ab sofort wird nun also ein Quartett neuer Standard in der Pharmakotherapie.

Ebenfalls in die Erstlinientherapie aufgestiegen ist alternativ zu einem ACE-Hemmer die Molekülverbindung Sacubitril/Valsartan (s. Abb.). Dieser einzige Vertreter der Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) kam bislang hauptsächlich bei Patienten zum Einsatz, die unter Therapie mit ACE-Hemmer, Betablocker, Aldosteron-Antagonist und Schleifendiuretikum noch symptomatisch waren. In der Leitlinie soll Sacubitril/Valsartan zwar weiterhin erst im Therapieverlauf den ACE-Hemmer ersetzen, kann jetzt aber optional auch initial eingesetzt werden. Dessen Position als Add-on nimmt nun Vericiguat (s. Abb.; Zulassung am 16. Juli 2021) als Stimulator der löslichen Guanylatcyclase (sGC) ein, das neu in die Leitlinie aufgenommen wurde. Der Einsatz von einem Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Inhibitor oder Guanylatcyclase-Stimulator wird in der Praxis vermutlich weiterhin durch die höheren Therapiekosten nur halbherzig umgesetzt werden. Schleifendiu­retika werden weiterhin von den die Mortalität senkenden Wirkstoffen getrennt angeführt, wenngleich sie durch die Volumenüberladung bei fast allen Patienten ein wesentlicher Pfeiler der Behandlung sind. Die Unterscheidung zwischen „Basistherapie“ und symptomatischer Therapie bleibt damit formal erhalten, obwohl alle „Basistherapeutika“ natürlich auch die Symptome verbessern.

Abb.: Mehr cGMP, mehr Herzleistung (nach Lang et al.):Sacubitril hemmt die Endopeptidase Neprilysin, in Folge werden weniger natriuretische Peptide abgebaut. Diese aktivieren membrangebundene Guanylylcyclase-gekoppelte Rezeptoren, wodurch mehr cyclisches Guanosin-Monophosphat (cGMP) gebildet wird. cGMP steigert unter anderem die Vasodilatation, Diurese und senkt die Sympathikusaktivität, wodurch antihypertrophe und antifibrotische Effekte am Herzen gefördert werden. Neprilysin ist auch für den Abbau von Angiotensin II und anderen Peptiden verantwortlich. Um durch die Gabe von Sacubitril nicht gleichzeitig erhöhte Angiotensin-II-Spiegel zu erhalten, die wiederum zu schädlichen kardiovaskulären und renalen Wirkungen führen, wird Sacubitril immer zusammen mit dem AT1-Rezeptor-Blocker Valsartan (Entresto®) eingesetzt. Auch Vericiguat (Verquvo®) erhöht die Konzentration an cGMP. Hier spielt vor allem der NO-sGC-cGMP-Signalweg eine entscheidende Rolle. Bei Herzinsuffizienz fehlt Stickstoffmonoxid (NO), welches bei gesunden Menschen über die lösliche Guanylatcyclase die cGMP-Synthese katalysiert. Vericiguat stimuliert direkt die lösliche Guanylatcyclase, die cGMP-Spiegel steigen, was wiederum die myokardiale und vaskuläre Funktion verbessert.

Die Verbesserungen werden bei Herzinsuffizienz also durch die Kombination der unterschiedlichen Wirkansätze erzielt. Ein unbegründetes Deprescribing nach Neueinstellung wird schon jetzt häufig beobachtet, scheint zunächst auch folgenlos zu sein, ist für den Therapieverlauf aber kontraproduktiv. Die Polymedikation mit Quartett plus Schleifendiuretikum senkt langfristig die Mortalität und verbessert die Lebensqualität, dies ist die klare Botschaft der Leitlinie. Sämtliche Wirkstoffe können entsprechend nun auch beim neu benannten Schweregrad ‚mild reduzierte Auswurffraktion‘ (HFmrEF) zum Einsatz kommen.

Besondere Patientengruppen

Die neue Leitlinie lenkt die Aufmerksamkeit auch auf regelmäßige Anämie-Screenings, nachdem in AFFIRM-AHF die Rehospitalisierungsrate mit Eisencarboxymaltose i.v. klar reduziert werden konnte. Auch die Diagnose einer Amyloidose als mögliche seltene Ursache einer Herzinsuffizienz ist in den Fokus gerückt, seitdem mit Tafamidis (Vyndaqel®) – einem Stabilisator des Serum-Transportproteins Transthyretin – ein erster Wirkstoff zur Verfügung steht. Eine klare Position wird bei Patienten mit Vorhofflimmern bezogen: Hier sollen neue orale Antikoagulanzien zur Blutverdünnung eingesetzt werden, da sie das Risiko für Schlaganfälle stärker senken als Vitamin-K-Antagonisten.

Die Rolle des Pharmazeuten

Die Leitlinie forciert also den Einsatz von SGLT-2 Hemmern und Sacubitril/Valsartan bei Patienten mit Herzinsuffizienz und untermauert deren Stellenwert. Für die Apotheke ergibt sich damit besonders auch die Aufgabe, die SGLT-2-Hemmer-Therapie mit dem häufigen Nebeneffekt einer Urogenitalinfektion zu begleiten und dem bei Herzinsuffizienz häufig unbegründeten Deprescribing im Medikationsmanagement entgegenzuwirken. Auch wenn diese Leitlinienversion das nur kurz aufgreift: Der Aufbau von Versorgungsnetzwerken ist in der Behandlung der Herzinsuffizienz ein weiterer Erfolgsfaktor, der bei den ganzen Neuerungen fast untergeht. Nachdem die Heart-Failure-Nurses inzwischen fester Bestandteil vieler Zentren sind, ist die Zusammenarbeit mit Pharmazeuten der nächste wichtige Schritt zur Therapieverbesserung.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die zeitgleich veröffentlichte „EMPEROR Preserved study“ erstmals auch einen Nutzen von Empagliflozin für Patienten mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) zeigen konnte. Diese brandneuen Ergebnisse konnten von der Leitlinie naturgemäß noch nicht aufgenommen werden. |

Literatur

Fachinformation Sacubitril/Valsartan (Entresto®): Stand: Mai 2021

Fachinfo Dapagliflozin (Forxiga®): Stand November 2020

Lang et al. Vericiguat in worsening heart failure: agonisingover, or celebrating, agonism in the VICTORIA trial. Cardiovascular Research. doi:10.1093/cvr/cvaa247

McDonagh TA et al., ESC Scientific Document Group, 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure: Developed by the Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC) With the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC, Eur Heart J 2021. doi: 10.1093/eurheartj/ehab368

Sacubitril/Valsartan (Entresto®), Anhang I: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Informationen der European Medicine Agency, www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/entresto-epar-product-information_de.pdf

Vericiguat (Verquvo®) Anhang I: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Informationen der European Medicine Agency, https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2021/20210716152073/anx_152073_de.pdf

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.