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Arzneimittel und Therapie
Entwarnung für Ondansetron
Metaanalyse zum Off-label-Einsatz bei Schwangerschaftsübelkeit
Rund 80% aller Frauen leiden während der Schwangerschaft unter Übelkeit und Erbrechen. Zur Behandlung werden bevorzugt Antihistaminika wie Meclozin, Doxylamin, ggf. auch Dimenhydrinat eingesetzt. Nur bei Versagen dieser primär empfohlenen Antiemetika oder bei schwerer Symptomatik empfiehlt Embryotox den Einsatz des 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten Ondansetron. Die Einnahme erfolgt dann im Off-label-Use. Da aufgrund früherer Studien (s. Kasten) Bedenken über mögliche nachteilige Folgen für das Kind nicht vollständig ausgeräumt sind und nur wenige Vergleiche mit weiteren Antiemetika vorliegen, befasste sich eine kanadische Arbeitsgruppe näher mit möglichen negativen Auswirkungen auf den Fötus bzw. auf den Säugling. In einer Kohortenstudie wurden die Daten von Frauen und Mädchen im Alter zwischen zwölf und 55 Jahren erfasst, die im Zeitraum zwischen 2002 und 2016 einen spontanen oder induzierten Abort sowie eine Tot- oder Lebendgeburt erfahren hatten.
Rote-Hand-Brief zu Ondansetron
Am 1. Oktober 2019 riet ein Rote-Hand-Brief dazu, Ondansetron nicht im ersten Trimenon einer Schwangerschaft einzusetzen. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte unter Ondansetron-Therapie eine Schwangerschaftsverhütung in Erwägung gezogen werden. Zuvor hatte eine Kohortenstudie mit 1,8 Millionen Schwangeren gezeigt, dass unter Anwendung des 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten im ersten Schwangerschaftsdrittel das Risiko für Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten beim Neugeborenen erhöht war. Insgesamt sind pro 10.000 behandelten Frauen drei zusätzliche Fälle (14 statt 11) aufgetreten. Andere epidemiologische Studien hatten zudem widersprüchliche Ergebnisse zu Herzfehlbildungen gezeigt. Mehr zur Thematik finden Sie im Artikel „Üble Alternative für Schwangere?“ DAZ 2019, Nr. 6, S. 35 und im Artikel „Irritationen um Ondansetron in der Schwangerschaft“ s. DAZ 2020, Nr. 3, S. 24.
Von dieser Kohorte war die Einnahme von Ondansetron und anderen Antiemetika während der Schwangerschaft bekannt. Aus den vorliegenden Daten wurde der primäre Studienendpunkt ermittelt. Er umfasste den Tod des Föten, bedingt durch einen spontanen Abort oder eine Totgeburt. Sekundäre Endpunkte beschrieben das Auftreten gravierender angeborener Fehlbildungen. In die Untersuchung flossen die Daten aus sechs Studien mit mehr als 450.000 Schwangerschaften ein, in denen die graviden Frauen Ondansetron oder ein anderes Antiemetikum eingenommen hatten. Diese Daten wurden mithilfe einer Metaanalyse ausgewertet und führten zu folgenden Ergebnissen: Die Einnahme von Ondansetron während der Schwangerschaft führte im Vergleich zur Einnahme anderer Antiemetika zu keinem erhöhten Risiko für einen fetalen Tod (Hazard ratio [HR]: 0,91). Dasselbe gilt für einen spontanen Abort (HR: 0,82) oder Totgeburten (HR: 0,97). Auch das Risiko für angeborene Fehlbildungen war nicht statistisch signifikant erhöht (Odds ratio [OR]: 1,06). Subgruppen-Analysen veränderten diese Aussagen nicht. |
Literatur
Dormuth CR, Comparison of Pregnancy Outcomes of Patients Treated With Ondansetron vs Alternative Antiemetic Medications in a Multinational, Population-Based Cohort. JAMA Netw Open 2021;4(4):e215329. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.5329
Ondansetron. Informationen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie Berliner Charité. www.embryotox.de/arzneimittel/details/ondansetron/, Abruf am 15. September 2021
Ondansetron: Erhöhtes Risiko orofazialer Fehlbildungen bei der Anwendung im ersten Trimenon der Schwangerschaft. Rote-Hand-Brief des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, 1. Oktober 2019
Wenig Neues zur Ondansetron-Sicherheit
Ein Gastkommentar
In den USA nehmen über 20% aller Schwangeren den 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten Ondansetron ein. In Deutschland, Kanada und anderen Ländern wird diese Off-label-Behandlung der Schwangerschaftsübelkeit wesentlich seltener praktiziert und meist nur, wenn andere (hierfür zugelassene H1-antagonistische) Antiemetika wie Doxylamin plus Pyridoxin (Cariban®, verschreibungspflichtig) oder Meclozin (Postadoxin®, in Deutschland seit 2007 nicht mehr im Handel) nicht wirken. Ins Gerede kam Ondansetron vor etwa zwei Jahren, als die europäische Arzneimittelagentur EMA aufgrund einer auf US-Versichertendaten (Medicaid) beruhenden Studie (Huybrechts 2018), die ein leicht erhöhtes Risiko für isolierte Gaumenspalten ermittelt hatte, eine Warnung vor dem Gebrauch in der Schwangerschaft aussprach, die hierzulande als Rote-Hand-Brief kommuniziert wurde. Die Interpretation der Studienergebnisse und der Beschluss der EMA wurden in einschlägigen Fachkreisen kritisiert (Schaefer 2020), weil das Gaumenspaltenrisiko weder beim Vergleich der im ersten Trimenon Exponierten gegenüber dem dritten Trimenon Bestand hatte noch im Vergleich zu einzelnen anderen etablierten Antiemetika. Auch eine intravenöse Applikation von Ondansetron wies in einer Nachfolgestudie (Huybrechts 2019) keine teratogenen Effekte auf.
Heterogene Datenerfassung
Die jetzt erschienene Studie (Dormuth 2021) mit rund 160.000 zwischen 2002 und 2016 erfassten Ondansetron-exponierten Schwangerschaften beruht im Wesentlichen auf Daten eines kommerziellen Versorgungsdatenregisters in den USA (MarketScan) sowie auf vergleichsweise kleinen Kohorten aus fünf verschiedenen Provinzen Kanadas und einer kleinen Kohorte aus Großbritannien. Zwischen den sieben Quellen bestehen nicht nur erhebliche quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede in der Datenerfassung. Diese führen dazu, dass die Ondansetron-exponierten Schwangerschaften überwiegend von MarketScan beigesteuert werden, da Ondansetron weit häufiger in den USA als in Kanada und Großbritannien primär eingesetzt wird. Diese heterogene Datenerfassung schmälert den Wert der Studie im Vergleich zu früheren Untersuchungen, wie z. B. der von Huybrecht 2018, die vergleichbare Größenordnungen Ondansetron-exponierter Schwangerschaften (knapp 90.000 im ersten Trimenon) ausgewertet haben. Auch der von den Autoren der aktuellen Studie (Dormuth 2021) beanspruchte Vorteil ihrer Studie trifft nicht zu, dass sie im Gegensatz zu früheren Studien andere Antiemetika anstelle Nicht-Exponierter als Vergleichskohorten verwendet haben. Dies haben bereits Huybrechts et al. getan.
Unzureichende Fallzahlen
Schließlich kann die jetzige Studie zur eigentlich interessanten Fragestellung, die zur Kontraindikation in der Schwangerschaft aufgrund des vermeintlichen Risikos für Mundspaltbildungen geführt hat, nichts beitragen, weil für diese Fehlbildung unzureichende Fallzahlen erfasst wurden. Das Gesamtrisiko grobstruktureller (major) Fehlbildungen (OR: 1,06 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,91 bis 1,22) war auch von früheren Studien (z.B. bei Huybrechts 2018: RR 1,01 (95%-KI: 0,98 bis 1,05) als unauffällig ermittelt worden. Und ein erhöhtes Risiko für Totgeburten ist bei Exposition im ersten Trimenon ohnehin nicht als plausibel anzunehmen.
Insofern tragen Fragestellungen, methodisches Vorgehen und Ergebnisse der aktuellen Studie von Dormuth et al. wenig Neues dazu bei, die ohnehin ausreichend evidente Sicherheit von Ondansetron im ersten Trimenon weiter zu präzisieren.
Literatur
Dormuth CR, Winquist B, Fisher A et al. Comparison of Pregnancy Outcomes of Patients Treated With Ondansetron vs Alternative Antiemetic Medications in a Multinational, Population-Based Cohort. JAMA Netw Open. 2021 Apr 1;4(4):e215329.
Huybrechts KF, Hernandez-Diaz S, Straub L et al.: Association of first-trimester use with cardiac malformations and oral clefts in offspring. JAMA 2018;320:2429-2437.
Huybrechts KF, Hernandez-Diaz S, Straub L et al.: Intravenous ondansetron in pregnancy and risk of congenital malformations. JAMA 2019; doi: 10.1001/jama. 2019.18587.
Schaefer C. Ondansetron und die Krux der Risikokommunikation zu Arzneimitteln bei Schwangeren. Arzneiverordnung in der Praxis 2020; 47 (1–2; März): 73 – 77
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