Foto: DAZ/Alex Schelbert

Deutscher Apothekertag 2021

Digitale Weichenstellungen

Beratungen und Abstimmungen rund um die Digitalisierung

eda | Beim Deutschen Apothekertag 2021 ging es den Delegierten auch darum, bei digitalen Fragestellungen und Projekten einerseits klare Signale nach außen zu senden und andererseits konkrete Aufgaben für die nächsten Jahre zu formulieren.

Mit einem sehr allgemein und grundsätzlich formulierten Antrag zu Digitalisierung vom Geschäftsführenden ABDA-Vorstand starteten die Beratungen und Abstimmungen rund um dieses Themengebiet. Digitalisierung im Bereich der pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung solle demnach als wichtiges und zentrales Zukunftsthema einer aktiven Standespolitik konsequent und nachhaltig ausgebaut werden. Hierzu zähle als allgemeine Handlungsmaxime, dass die wissensbasierte und digital unterstützte Weiterentwicklung des Berufsstandes in Programmatik und Handeln von ABDA, Bundesapothekerkammer und Deutschem Apothekerverband ver­ankert werde.

Die Rückfrage eines Delegierten zielte darauf ab, welche Notwendigkeit es für solch grundsätzliche Formulierungen im Hinblick auf Digitalisierung gebe, wenn sich für die Apotheken doch aktuell sehr konkrete digitale Anwendungs- und Tätigkeitsbereiche ergeben, wie die Telepharmazie oder die Telematikinfrastrukturanwendungen. Daraufhin entgegnete die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, es sei sehr wichtig, ein klares Signal nach außen zu senden. Digitalisierung müsse damit zur Handlungsmaxime der standespolitischen Entscheidung gemacht werden. „Sie schmücken damit den ganzen Stand“, so Over­wiening. Damit könne man zeigen, dass man sich als Berufsstand selbst Gedanken mache. „Bitte stimmen Sie mit voller Wucht ab“, appellierte sie eindringlich.

Eine weitere Wortmeldung regte vor der Abstimmung an, den ursprünglich letzten Satz aus der Begründung viel früher einzufügen. Nach Beratungen des ABDA-Vorstands und entsprechenden Umstellungen wurde der folgende Satz, etwas modifiziert, schließlich aus der Begründung des Antrags in den eigentlichen Antragstext gesetzt: „Die Hebung der Potenziale der Digitalisierung bringt mit sich, dass notwendige Investitionen und Betriebskosten für die Apotheken bei der Honorierung der Leistungen angemessen berücksichtigt werden.“ Dem Antrag stimmte der Apothekertag mit großer Mehrheit zu.

TI-Anwendungen auf Herz und Nieren prüfen

Nach deutlich kürzerer Beratung wurde einem weiteren Antrag aus dem Geschäftsführenden ABDA-Vorstand zugestimmt. Dieser fordert den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die aktuell und zukünftig verfügbaren Telematikinfrastruktur-Anwendungen im Hinblick auf eine möglichst hohe Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in den Arbeitsalltag der Leistungserbringer zu integrieren. Die Apothekerinnen und Apotheker sehen es als notwendig an, dass neben den Aktivitäten der Gematik, die sich vor allem auf die technischen Kernprozesse von elektronischen Rezepten oder Patientenakten konzentrieren, Prozesse, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu bewerten, die Einfluss auf die AMTS nehmen könnten. Als zielführenden Weg schlägt die Apothekerschaft die Ausschreibung eines entsprechenden Forschungsvorhabens durch das Bundesgesundheitsministerium vor.

Was bringt ein „pharmazeutisches Dossier“?

Sehr lange und intensiv wurde dagegen über die Einführung eines apothekenübergreifenden pharmazeutischen Dossiers diskutiert. Einen entsprechenden Antrag brachten Kammer und Verband aus Schleswig-Holstein ein. Zunächst musste geklärt werden, wie sich solch eine Arzneimittelauflistung von bereits etablierten oder für die Zukunft geplanten Anwendungen abgrenzt. So werden in den Apotheken bereits seit Jahren auf Wunsch der Patientinnen und Patienten entsprechende Datenbanken in den Warenwirtschaftssystemen angelegt. Im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur soll es zudem die elektronische Patientenakte und den Bundesmedikationsplan geben. Ist es also sinnvoll und zielführend, wenn die Apothekerschaft wei­tere Angebote entwickelt und den Bürgern anbietet? ABDA-­Vizepräsident Mathias Arnold wies mehrmals darauf hin, dass man ein pharmazeutisches Dossier von den Funktionen einer elektronischen Patientenakte abgrenzen müsse. Dieses zusätzliche Angebot, das sich voll und ganz auf die Arzneimittelaspekte der Patienten und nicht auf Diagnosen oder Laborwerte bezieht, könnte am Ende weitaus verbreiteter sein als andere Anwendungen. So seien beispielsweise in Frankreich pharmazeutische Dossiers verbreiteter als die elektronische Patientenakte. Es folgten zwar Einwände einiger Delegierter hinsichtlich der Schaffung paralleler Datenstrukturen und einer fehlenden Interoperabilität, doch dem Antrag folgte schließlich eine große Mehrheit im Saal.

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Daten erheben und monetarisieren? Bei der Frage, ob sich die Apotheken im Bereich der Datenvermarktung anders aufstellen sollen, gingen die Meinungen der Delegierten auseinander.

Daten in der Hand der Apotheken

Apothekereigene Versorgungsforschung könnte bald Realität werden. Zwei Ad-hoc-Anträge zielten auf dieses Vorhaben ab. Einer konnte sich schließlich durchsetzen. In einem gemeinsamen Antrag der Kammern und Verbände aus Schleswig-Holstein und Bayern sowie des Apothekerverbands Hamburg wurde der Gesetzgeber aufgefordert, es benannten Institutionen der Apothekerschaft zu gestatten, Auswertungen zu Zwecken der Versorgungsforschung auf zusammengefassten anonymisierten oder sicher pseudonymisierten Dispensierdaten aller elektronischen Rezepte durchzuführen. Diese Idee wurde von einem Großteil der Delegierten mit getragen.

Weniger Erfolg hatte dagegen der Antrag eines hessischen Vorstandsmitglieds und weiterer Kollegen: Demnach sollte die ABDA selbst oder ein Tochterunternehmen Daten zu den pharmazeutischen und wirtschaftlichen Aktivitäten der Apotheken vor Ort sammeln sowie intern und extern verwerten. Zustimmung gab es für die Idee, im Rahmen der pharmazeutischen Dienstleistungen eine systematische Datenauswertung durchzuführen, um die Bedeutung dieser Tätigkeit permanent zu evaluieren. Doch Stefan Fink vom Thüringer Apothekerverband gab zu bedenken, dass bereits heute die Apothekenrechenzentren diese Art von Datensammlung und -auswertung durchführten und sich ihr ­Geschäftsmodell auch vor allem daraus ergebe. Wenn die Apothekerschaft mit den Rechenzentren hierbei in Konkurrenz träten oder ihnen sogar diese Aktivitäten zu einem großen Teil abnähmen, würde die Rezeptabrechnung zwangsläufig teurer werden. Daher plädierte Fink dafür, alles so zu belassen, wie es ist. Der Antrag wurde schließlich in einen Ausschuss verwiesen.

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Von der Apothekerkammer Berlin (im Bild Präsidentin Kerstin Kemmritz) wurden Anträge zur Telepharmazie und zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) eingebracht.

Chancen und Risiken der Telepharmazie

Vier Anträge drehten sich um das ­große und neue Themenfeld der Telepharmazie. Der Grundstein wurde bekanntlich bereits vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 gelegt, als die Regelungen zum Botendienst in der Apothekenbetriebsordnung gelockert wurden. Seitdem sind Beratungsleistungen auch auf telepharmazeutische Weise möglich. Die Kammern und Verbände wollen seitdem Rechtssicherheit schaffen und grundlegende Fragen klären, wer auf welche Weise Patienten beraten darf. Nach wie vor sind viele Aspekte ungeklärt. Dies zeigte sich auch bei den Beratungen rund um die Telepharmazie-Anträge beim diesjährigen DAT.

Die Apothekerkammer Berlin wünschte sich die Entwicklung eines Konzeptes, das Telepharmazie als ergänzenden Bestandteil pharmazeutischer Dienstleistungen enthält. Mit Blick auf die Ärzteschaft, die erst kürzlich das Projekt „Telemedizin“ der Bundesärztekammer beschlossen hatte, sollte sich auch die Apothekerschaft entsprechend standespolitisch engagieren. Doch bei der Diskussion über den Berliner Antrag wurde kritisiert, dass er viel zu unkonkret formuliert sei. Schließlich ging man auf Grundlage eines Antrags zur Geschäftsordnung zum nächsten Antrag weiter.

Die Apothekerkammer Nordrhein verdeutlichte in ihrem Telepharmazie-Antrag direkt die Gefahren. Eine klare Absage soll der „Callcenter-Pharmazie“ erteilt werden. Gewerbliche Angebote von Dritte dürften sich nicht an dem Angebot beteiligen. Vielmehr sollen die Apothekerinnen und Apotheker aktiv gestalten und Dienstleistungsservices etablieren, „bevor es ­andere Anbieter außerhalb der Apotheken tun“. In der Begründung heißt es, dass sich „die persönliche Beratung als Kernaufgabe der apothekerlichen Tätigkeit nicht immer weiter von der Apotheke als Institution lösen darf“. Auch wenn die Kammer Nordrhein mit diesem Antrag weitaus konkreter das Potenzial und die möglichen Gefahren aus Sicht der Apotheken darstellte, wurde auch hier sehr intensiv diskutiert: Soll die Telepharmazie den Status einer apotheken- oder apothekerpflichtigen Dienstleistung erhalten? Muss die Honorierungsfrage direkt von Anfang an geklärt werden? ABDA-Vize Arnold versicherte, dass man ohnehin ein Konzept erarbeiten werde: „Dafür brauchen wir keinen Antrag.“ Dem Antrag aus Nordrhein wurde schließlich zugestimmt.

Aus Schleswig-Holstein, von Apothekerkammer und -verband, wurde das Thema „Telepharmazie“ auf den konkreten Vorschlag einer Zertifizierung gebracht. Während die Kassenärzt­liche Bundesvereinigung (KBV) für Qualität und Wirksamkeit digitaler medizinischer Angebote sorgt, solle der Deutsche Apothekerverband dies bei arzneimittelbezogenen digitalen Anwendungen tun. Der Gesetzgeber wird in der Antragsbegründung aufgefordert, den DAV entsprechend zu beleihen. Doch auch dieser Antrag fand in der anschließenden Diskussion keine große Zustimmung. Zertifizierung stelle immer eine große juristische Herausforderung dar, so eine Wortmeldung. ABDA-Präsidentin Overwiening wünschte sich bei diesem Thema erst „mehr Fleisch am ­Gerippe“ bevor man über Zertifizierungsmaßnahmen nachdenke. Der Antrag wurde daher in einen Ausschuss verwiesen.

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Telepharmazie braucht einen ordnungspolitischen Rahmen sowie den Austausch mit der Ärzteschaft - darauf drängte Nordrheins Kammerpräsident Armin Hoffmann.

Angenommen wurde dagegen der Antrag der Apothekerkammer Nordrhein, im Dialog mit der Ärzteschaft Verantwortlichkeiten bei der telemedizinischen und telepharmazeutischen Entwicklung zu definieren. In der Begründung hieß es dazu, dass „in Zeiten fortschreitender Digitalisierung des Gesundheitswesens die Telepharmazie ein Teil der Regelversorgung durch Apotheken“ werde. Die Apothekerinnen und Apotheker sollten daher ihren Weg in der Telepharmazie selbst definieren, mit entsprechenden Dienstleistungen untermauern und dabei die Schnittstellen zur ärztlichen Versorgung mitdenken.

Was, wenn die TI ausfällt?

Die Schattenseiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu thematisieren, war das Anliegen der Bayerischen Landesapothekerkammer sowie des Apothekerverbands. Wenn die E-Rezepte irgendwann verpflichtend werden, geht ohne die entsprechende Hard- und Software nichts mehr. Wie müssen die Apotheken reagieren, wenn Komponenten der Telematik­infrastruktur (TI), wie Konnektor, HBA und SMC-B kaputt oder verloren gehen? Die Ersatzbeschaffung dauert lange und betroffene Apotheken könnten so lange ihrem Versorgungsauftrag nicht mehr nachkommen.

In ihrem gemeinsamen Antrag forderten daher Kammer und Verband aus Bayern eine „Back-up-Lösung für einen absehbar längerfristigen Ausfall der TI durch defekte TI-Komponenten bzw. deren Verlust“. Es soll vorgesorgt werden, dass Apotheken nicht wochenlang von der TI und somit von der E-Rezeptbelieferung ausgeschlossen sind. Mit dem Back-up, den das SGB V für solche Fälle vorsieht, sind die Bayern nicht zufrieden. Dieser sieht nämlich Muster-16-Rezepte vor. Dies stelle für Apotheken mit wochenlangem Ausfall ihrer TI-Komponenten keine praktikable Lösung in der Praxis dar, heißt es in der Begründung. Denn die Patienten werden einerseits meist nicht noch mal in die Arztpraxis gehen, um sich extra ein Papierrezept zwecks Belieferung durch die betrof­fene Apotheke ausstellen zu lassen. Vielmehr werden die meisten Patienten ihr E-Rezept dann in einer anderen Apotheke einlösen. Andererseits werde es in Notdienstsituationen, aber auch im Regelbetrieb, oft nicht möglich sein, den verordnenden Arzt zur Ausstellung eines Papierrezeptes zu erreichen. „Daher ist zwingend eine ergänzende Lösung durch den Gesetzgeber erforderlich, um solche ungewollten und existenzbedrohenden nicht nur kurzfristigen Ausschlüsse einzelner Apotheken von der elektronischen Rezeptbelieferungsmöglichkeit zu vermeiden,“ heißt es abschließend in der Begründung zum Antrag, der von der Hauptversammlung ohne Diskussion und mit großer Mehrheit angenommen wurde.

DiGAs aus den Apotheken

Unter der Ägide von Bundesgesundheitsminister wurden „Digitale Gesundheitsanwendungen“, kurz DiGA, eingeführt. Auch wenn diese in der Bevölkerung noch weitgehend unbekannt sind, könnten die sogenannten Apps auf Rezept eine wichtige Unterstützung zur Therapie sein. Doch die Apotheken sind aktuell noch nicht im Versorgungsprozess mit DiGA einbezogen. Die Apothekerkammer Berlin zielte daher mit ihrem Antrag darauf ab, den Gesetzgeber zu verpflichten, Apothekerinnen und Apotheker in den Leistungsbereich einzubeziehen. Konkret sollen die Apotheken befähigt werden, die DiGA-Versorgung der Patienten durch Abgabe, Betreuung und Beratung, sicherzustellen. Hierzu soll ein Rahmenvertrag zwischen DAV und GKV-Spitzenverband eine Vergütung regeln. Der Antrag wurde angenommen. Um die Apotheken zukünftig in Sachen DiGAs zu stärken, wurde einem weiteren Antrag der Apothekerkammer Berlin zugestimmt. Demnach sollen die Informationen des DiGA-Verzeichnisses, das vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt wird, in die ABDA-Datenbank eingepflegt werden. So könnten die Apotheken im Beratungsgespräch unkompliziert und direkt auf die offiziellen und aktuellen Informationen verordnungsfähiger ­DiGAs zugreifen.

Digitale Dienstleistungen

Der letzte Antrag aus dem Themen­bereich Digitalisierung eröffnete den ­Delegierten eine Perspektive auf eine sehr konkrete Dienstleistungsidee der Apothekerkammer Berlin. Dieser schwebt nämlich vor, ein Konzept für eine pharmazeutische Dienstleistung zu entwickeln, die es ermöglichen soll, Menschen Beratung und Unterstützung anzubieten, wenn es um die Verwendung gesundheitsbezogener digitaler Anwendung geht. Man rechne damit, dass viele Patientinnen und Patienten unsicher im Umgang mit diesen Anwendungen sind. Exemplarisch wird im Antrag das Auslesen/Ausdrucken von Blutdruck- und Blutzuckermesswerten genannt oder die Einrichtung der elektronischen Patientenakte auf dem Smartphone. Hierbei sollen die Apotheken mit ihrem niedrigschwelligen Zugang entsprechende Unterstützung anbieten können. Ein Vorstoß, der von den meisten Delegierten unterstützt wurde. |

 

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