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Neue Regeln für alte Wirkstoffe gesucht
Digitaler Eppendorfer Dialog
Der Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik wurde diesmal als komplett digitale Veranstaltung durchgeführt. Wie seit Jahren führte Prof. Dr. Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg, als Moderator durch das Programm, diesmal aus dem Studio des Tagesspiegel-Verlages. Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt, erläuterte, welche Vorteile die Suche nach neuen Anwendungen für bekannte Arzneistoffe bietet. Die Ausfallrate bei der Forschung sei viel geringer als bei neuen Stoffen, und die vorklinischen Untersuchungen könnten entfallen. Erfolgreiche Beispiele seien Azidothymidin, Thalidomid, Pregabalin und Sildenafil. Für Sitagliptin werde neuerdings ein Einsatz in Kombination mit Tacrolimus und Sirolimus gegen Abstoßungsreaktionen bei Stammzelltransplantationen untersucht. Außerdem sei Metformin zum „Star der seriösen Anti-Aging-Forschung“ geworden. Da ältere Arzneistoffe noch nicht gezielt für ein bestimmtes Target entwickelt, sondern empirisch gefunden worden seien, böten sie große Chancen, neue Ziele im menschlichen Körper zu adressieren. Das sei jedoch nicht auf Strukturen in Viren übertragbar. Dafür seien gezieltere Mittel nötig, erklärte Dingermann und warnte damit vor falschen Hoffnungen in der Pandemie.
Belastende Regularien für etablierte Arzneimittel
Die Rolle der Pharmaindustrie vertrat Dr. Norbert Gerbsch, Leiter des Innovations- und Healthcare-Managements beim mittelständischen Pharmaunternehmen Pohl-Boskamp, das Initiator und Sponsor des Eppendorfer Dialog ist. Gerbsch beklagte, etablierte Wirkstoffe seien zunehmend von Lieferengpässen betroffen, zumal die Wirkstoffproduktion seit dem Jahr 2000 zunehmend aus Europa abgewandert sei. Im Vergleich zur Suche nach neuen Wirkstoffen erfordere das Repurposing viel geringere Investitionen, aber auch für diese Beträge bestehe nicht genug Aussicht auf Refinanzierung. Damit würden die bestehenden Regularien gerade wirtschaftlich aussichtsreiche Entwicklungen verhindern, bei denen keine exorbitanten Preise drohen. Daher wies Gerbsch auf die Forderung der betroffenen Unternehmen hin, die Festbeträge und das Preismoratorium für neue Anwendungsgebiete auszusetzen, wenn dabei bestimmte Absatz- und Umsatzschwellen nicht überschritten werden. Öffnungsklauseln bei der Erweiterung der Indikation würden nicht weiterhelfen, wenn es um eine ganz neue Indikation gehe. Weiteren regulatorischen Handlungsbedarf sieht er bei altersgerechten Darreichungsformen für Kinder.
Neuer Vorschlag für Preise von Innovationen
Die Krankenkassen vertrat Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Er beschrieb die patentfreien Wirkstoffe als Fundament der Arzneimittelversorgung. Durch Festbeträge und Rabattverträge seien sie wirtschaftlich gut steuerbar. Dagegen würden patentgeschützte Arzneimittel mit 7 Prozent der Versorgungsmenge etwa 50 Prozent des Umsatzes erzielen. Dieses Verhältnis sorge die Krankenkassen, zumal inzwischen jedes vierte neue Produkt Jahrestherapiekosten von über 100.000 Euro habe. Litsch kritisierte insbesondere die freie Preisbildung im ersten Jahr der Vermarktung. Stattdessen schlug er vor, die Nutzenbewertung und die Preisverhandlung so zu verkürzen, dass nach spätestens neun Monaten ein Betrag ausgehandelt sei. Bis dahin sollte ein Interimspreis gelten, der sich an der Vergleichsmedikation orientiert, und anschließend sollte die Differenz zum ausgehandelten Preis verrechnet werden, forderte Litsch.
Für die Liefersicherheit forderte Litsch Transparenz zur Herkunft der Arzneimittel und zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Wegen solcher Forderungen würden die AOKen nun jedoch vor Vergabekammern beklagt. Auch Freihandelsabkommen könnten dabei problematisch sein. Zum Repurposing verwies Litsch zunächst auf den Markt als Regulativ, zeigte sich in der Diskussion aber offen, diesen Ansatz zu nutzen. Allerdings müsse dann gleichzeitig das Problem mit den Hochpreisern angegangen werden.
Studienziel: Bessere Cilienfunktion für Covid-Patienten
Als Beispiel für die Erforschung eines neuen Anwendungsgebietes für ein etabliertes Arzneimittel berichtete Dr. Norbert Gerbsch über die gerade gestartete multizentrische placebokontrollierte Covari-Studie zum Wirkstoff ELOM-080 - dies ist das Destillat aus rektifiziertem Eukalyptus-, Süßorangen-, Myrten- und Zitronenöl, das im GeloMyrtol® forte enthalten ist. In der Studie wird untersucht, ob das Arzneimittel den Krankheitsverlauf bei Covid-19 verbessert und verkürzt. Dabei liegt das Target im Menschen und nicht im Virus. Denn das Arzneimittel soll die Cilienfunktion in den Bronchien und so die Selbstreinigung der Atemwege verbessern. Damit soll eine Blockade der Atemwege verhindert werden. Gerbsch erläuterte, dass Husten nur bis zur fünften Verzweigung der Bronchien eine Reinigungswirkung hat. Auf tieferen Ebenen komme es umso mehr auf die Cilienfunktion an. Gerbsch betonte, wie schnell die Genehmigung für diese Studie erteilt worden sei.
Offene Tür bei der Politik
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, betonte die Bedeutung der Versorgungssicherheit. Die Produktion von Arzneistoffen außerhalb Europas sei nicht nur gesundheits-, sondern auch sicherheitspolitisch relevant, zumal es dabei auch um Notfall-Arzneimittel gehe. Allerdings seien auch die erheblichen Einsparungen durch Festbeträge und Rabattverträge zu bedenken. Maag erinnerte an die neuen gesetzgeberischen Anforderungen, bei Ausschreibungen die Lieferfähigkeit und die Vielfalt der Anbieter zu berücksichtigen. Für den Fall, dass dies nicht wirke, seien weitere Regelungen möglich. Maag zeigte sich bemerkenswert offen für neue Vorschläge und forderte diese geradezu ein. Die Parteien, die derzeit an ihren Wahlprogrammen arbeiten würden, seien für Anregungen dankbar, erklärte Maag.
Kontroversen um Regularien und Preise
In der Diskussion betonte Jockwig die strategische Komponente der Liefersicherheit. Er fürchtet, das Zurückhalten von Wirkstoffen könnte sogar zu einer Form der modernen Kriegführung werden. Litsch bekräftigte, dass immer mehrere Quellen für ein Produkt vorhanden sein müssten, sah darin aber keinen Widerspruch zum Ein-Partner-Modell bei Ausschreibungen. Außerdem brachte er eine verstärkte Lagerhaltung ins Gespräch. Gerbsch verwies dagegen auf die hohe Qualität und die Produktionsstandards in Europa. Maag erklärte, Lagerhaltung allein reiche nicht aus. Sie erinnerte an die Knappheit von Schutzausrüstungen zu Beginn der Pandemie. Dies solle sich nicht bei Arzneimitteln wiederholen, betonte Maag. Litsch und Gerbsch lieferten sich eine Kontroverse zu den Folgen der Vergabe an nur einen Partner. Gerbsch argumentierte, dies erhöhe den Druck auf die Anbieter und reduziere die Anbietervielfalt. Darum forderte er, bei Rabattverträgen jeweils drei Zuschläge zu erteilen. Litsch hielt entgegen, dass in mehreren Ausschreibungen verschiedene Anbieter gewinnen und dann besser kalkulieren könnten. Angesichts der Kontroversen um solche Detailregeln regte Dingermann an, stattdessen an einem runden Tisch über größere Korrekturen auf einer übergeordneten Ebene zu diskutieren. |
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