DAZ aktuell

Apothekenübergabe geglückt, Präqualifizierung futsch

Bürokratie gefährdet die Hilfsmittelversorgung zulasten der GKV

eda | Die Einführung der Präquali­­fizierungsverfahren im Jahr 2011 sollte eigentlich bewirken, dass die Hilfsmittelversorgung vereinfacht und entbürokratisiert wird. Doch das System scheint nicht immer alltagstauglich zu sein. Bei Apothekenübergaben beispielsweise kann es zu Einschnitten in der Versorgung kommen, wenn Formulare und Nachweise nicht pünktlich vorliegen. Grotesk wird es vor allem deshalb, weil Fertigarzneimittel mit Pens oder Spacer auch ohne Präqualifizierung abrechenbar sind – die Hilfsmittel einzeln jedoch nicht.

Apothekenübergaben erfordern immer Fingerspitzengefühl. Einerseits gilt es, sich als neue Inhaberin oder neuer Inhaber mit dem Personal, den Kunden, den Geschäftspartnern, den Praxen sowie Dienstleistern im Umfeld zu arrangieren. Andererseits müssen unzählige Formalitäten über die Bühne gebracht werden, wenn nach Jahren oder gar Jahrzehnten ein Inhaberwechsel eingeläutet wird. Dabei geht es längst nicht nur darum, dass pünktlich zum Zeitpunkt der Übergabe die druckfrische Betriebserlaubnis vorliegen muss. Gerade im Bereich der Hilfsmittelversorgung existieren für die neue Inhaberin oder den neuen Inhaber bürokratische Hürden, die dazu führen können, dass mehrere Tage bis Wochen überhaupt keine Hilfsmittel zulasten der GKV abgegeben werden dürfen. Ein Horrorszenario, wenn man bedenkt, dass es aus der jeweiligen Apotheke dann nur noch die verordneten Hilfsmittel gibt, wenn sie die Patientinnen und Patienten selbst zahlen.

Der DAZ haben nun ein Apotheken­inhaber und eine Filialleiterin von ihren bürokratischen Erlebnissen im Hilfsmittelbereich erzählt. Beide wollen anonym bleiben. Sie befürchten Restriktionen vonseiten der zuständigen Aufsichtsbehörden bzw. Krankenkassen.

Erst- oder Folgeantrag? Das ist hier die Frage!

Der Apotheker hatte vor einigen Monaten eine Apotheke in der Hochfrequenzlage einer Großstadt als Filiale übernommen und mit ihr ein ganz besonderes Kundenklientel. Laufkunden haben bekanntlich den Anspruch, mit Arzneimitteln und Medizinprodukten unmittelbar versorgt zu werden – ohne Umwege und Wartezeiten. Die Übergabe der Apotheke zum Ersten des Monats planten der neue Inhaber und sein Vorgänger sehr verantwortungsvoll und akribisch. Beide hatten bereits Erfahrungen mit Betriebsübergaben und für sie stand fest, dass es ein No-Go sei, wenn Wochen vor dem Führungswechsel der neue Inhaber bereits durch die Offizin schreitet und Personal und Kunden irritiert.

Rückblickend hätte das allerdings so laufen müssen, denn für den Präqualifizierungs-Erstantrag ist eine umfangreiche erneute Fotodokumenta­tion notwendig. Dabei ist es egal, ob diese bei einer Re-Präqualifizierung nur wenige Monate oder Jahre zuvor bereits durchgeführt wurde und die räumlichen Voraussetzungen seitdem unverändert geblieben sind. Die ABDA-nahe Agentur für Prä­qualifizierung (AfP) gibt auf ihrer Homepage allerdings im Fall von Inhaberwechseln auch eine alterna­tive Vorgehensweise an: Neben dem Erstantrag können sich beide Par­teien drauf einigen, lediglich einen Änderungsantrag auszufüllen mit personenbezogenen Nachweisen und der Angabe der neuen IK-Nummer. Hierbei verlängert sich allerdings die Laufzeit der bestehenden Prä­qualifizierung nicht.

Im Fall der Großstadt-Apotheke wurde genau dieser Änderungs­antrag in die Wege geleitet. Zu den benötigten Nachweisen gehören die neue Apothekenbetriebserlaubnis sowie die Gewerbeanmeldung oder alternativ ein Auszug aus dem Handelsregister. Hinzu kommt ein per­sonenbezogener Auszug aus dem Gewerbezentralregister, der nicht älter als drei Monate sein darf. Außerdem muss der Agentur die Betriebshaftpflichtversicherung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden (Nachweis nicht älter als zwölf Monate) sowie eine Kopie des Mietvertrags vorgelegt werden.

Unzählige formale Beanstandungen

Die Anforderungen überforderten zwar nicht den Apotheker, dafür aber die zuständigen Stellen. Betriebs­erlaubnis, Mietvertrag sowie der Nachweis über die Betriebshaft­pflicht­versicherung waren vorhanden. Das Ausfüllen der Erklärungen und Formularfelder sowie die Fotodokumentation – wenn gefordert – hätten maximal einen Arbeitstag in Anspruch genommen. Doch die Auszüge aus Handels- und Gewerbezentral­register ließen auf sich warten. Eine Wartezeit – zum Teil Corona-bedingt – von mehreren Wochen stand im Raum. Das war offenbar zu lang für die AfP. Sie gewährte der Apotheke eine Frist lediglich bis zum 18. des Monats, und diese konnte nicht eingehalten werden.

Die Folge: Plötzlich stand die Filialapotheke ohne gültige Präqualifizierung da, doch die Kunden erwarteten weiterhin die Versorgung mit Hilfsmitteln zulasten ihrer jeweiligen Krankenkasse. Für sie gab es von außen betrachtet ohnehin keine nachvollziehbare Veränderung des Betriebs: dasselbe Team in denselben Apothekenräumlichkeiten. Um die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Spritzen, Kanülen und Pen-Nadeln dennoch ohne Unterbrechung und ohne Gefahr von Retaxierungen durch die Krankenkassen zu garantieren, entschied der Inhaber, die benötigten Hilfsmittel weiterhin abzugeben und die Abrechnung über eine seiner Filialen vorzunehmen. Nicht „lege artis“, aber seines Erachtens der pragmatische Weg.

Insulin-Pens nicht abrechenbar

Über eine ähnliche Situation berichtet eine Filialleiterin aus einem anderen Teil der Republik. Sie erlebte den Bürokratie-Wahnsinn im Hilfsmittelbereich auf fast identische Weise. Als ihr Filialverbund einem neuen Inhaber übergeben wurde, kam es bei der Neubeantragung der Präqualifizierung zu unzähligen formalen Beanstandungen durch die AfP. Die Frist verstrich, die alte Präqualifizierung verlor von einem auf den anderen Tag ihre Gültigkeit und die Filialapotheke durfte über Wochen hinweg keine Hilfsmittel mehr zu­lasten der GKV abgeben. Und wieder ging es um lebensnotwendige Pens und Nadeln zur Applikation von Arzneimitteln, denn die Apotheke befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einer diabetologischen Schwerpunkt-Praxis. Auch in diesem Fall fand der Filialverbund Mittel und Wege, die Versorgung mit Hilfsmitteln aufrechterhalten zu können. Wie genau, darüber möchte die Filialleiterin nicht öffentlich sprechen.

Gerade am Beispiel von Insulin-Pens zeigt sich der Apothekerin zufolge der gesamte Bürokratie-Irrsinn: Befindet sich das Insulin in einem Fertigpen, gilt es als Fertigarznei­mittel und kann auch ohne Prä­qualifizierung abgegeben bzw. abgerechnet werden. Kommen jedoch wiederverwendbare Pens für Insulinpatronen zum Einsatz, dann dürfen Apotheken den separaten Pen nicht ohne Präqualifizierung mit den Krankenkassen abrechnen. Eine ähnliche Situation herrscht bei den Inhalativa. Wenn der Spacer direkt am Asthmaspray fest angebracht ist, dürfen die Apotheken auch ohne Präqualifizierung beraten, abgeben und abrechnen. Wird der Spacer jedoch separat verordnet, muss die Apotheke für die Abgabe und Abrechnung zulasten der GKV präqualifiziert sein.

DAT-Antrag und Apothekerbrief

Dass die Präqualifizierung für Apothekeninhaberinnen und -inhaber auch abseits von Betriebsübergaben seit jeher ein Ärgernis ist, daran besteht kein Zweifel. Beim Deutschen Apothekertag 2019 wurde ein Antrag angenommen, dessen Kernforderung ist, dass mit Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis automatisch einige bestimmte Hilfsmittel durch die Apotheken abgegeben werden dürfen. Eine Präqualifizierung würde dann nur noch für speziellere Versorgungsbereiche notwendig werden. Doch eine Reaktion auf diese Forderung seitens ABDA oder Gesetzgeber ist bisher nicht erfolgt.

Ende Oktober 2021 startete ein Apotheker aus Hagen dann eine bemerkenswerte Aktion, jedoch auch mit unklarem Ausgang: In einem Brief an das Bundesministerium für Inneres, das hierzulande auch für die Entbürokratisierung zuständig ist, fordert er, Apotheken mit gültiger Betriebserlaubnis automatisch als präqualifiziert anzuerkennen. Zudem regt er eine „Beweisumkehr“ für Krankenkassen zum nachträg­lichen Ausschluss von Leistungs­erbringern von der Belieferung an (DAZ 2021, Nr. 44, S. 16).

Solche Regelungen, die beim DAT oder im Brief des Hagener Apothekers formuliert wurden, könnten tatsächlich für mehr Versorgungs­sicherheit und Patientenwohl sorgen – und nicht zuletzt für weniger Frust und Ärger bei den Leistungs­erbringern. |

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