Aus den Ländern

Hoffnung in der Pandemie und langsame Fortschritte bei Psychopharmaka

Scheele-Tagung online

tmb | Am 6. und 7. November 2021 fand die Scheele-Tagung statt. Nachdem das traditionsreiche Fortbildungswochenende der Scheele-Gesellschaft (Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft – DPhG) 2020 ausgefallen war, gab es in diesem Jahr eine Online-Veranstaltung mit komprimiertem Programm. Nach dem Vorsymposium zur Corona-Pandemie ging es um die Psychopharmakologie.
Foto: DAZ/tmb

Prof. Dr. Christoph Ritter, Vorsitzender der Scheele-Gesellschaft, hier bei der Scheele-Tagung 2019 in Warnemünde.

Der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Ritter, Greifswald, berichtete über 110 Anmeldungen zur Tagung. Besonders begrüßte er Dr. Hans Feldmeier, der in der über 70-jährigen Geschichte der Scheele-Gesellschaft keine Jahrestagung ausgelassen hat. Ein Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern, wie er jahrelang zum Scheele-Wochenende gehört hatte, findet in diesem Jahr nicht statt. Diese politische Veranstaltung der Apothekerkammer war auch 2019 pandemiebedingt ausgefallen.

Neue Hoffnung für die Corona-Therapie

Das Coronavirus war auch das erste Thema. Nachdem sich das pharmazeutische Interesse bisher auf Impfstoffe konzentriert hat, ist Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt/Main, nun zuversichtlich für die Pharmakotherapie. Virus-neutralisierende Antikörper, die meist als Zweierkombinationen eingesetzt werden, seien in der Frühphase, maximal sieben Tage nach Symptombeginn, hilfreich, aber nicht zur Anwendung bei einer fortgeschrittenen Infektion geeignet. Viel größere Erwartungen setzt Schubert-Zsilavecz darauf, die Virusreplikation mit Protease-Inhibitoren und RNA-Polymerase-Inhibitoren zu hemmen. Da auch bei der Therapie von HIV und Hepatitis C nur gezielt gegen das jeweilige Virus entwickelte Hemmstoffe erfolgreich sind, seien auch hier gezielte Konzepte nötig. Die Proteasehemmung verspricht dabei einen zusätzlichen Effekt, weil die Virusprotease auch menschliche Proteine spaltet, wobei Antigene entstehen, die problematische Immun­reaktionen auslösen. Schubert-Zsilavecz betrachtet Paxlovid, das die Hauptprotease des Coronavirus hemmt, als Durchbruch. Es ist oral applizierbar und sollte bei rechtzei­tiger Anwendung Todesfälle verhindern können. Ebenfalls hoffnungsvoll betrachtet er Molnupiravir, das nicht direkt die RNA-Polymerase hemmt, aber die Replikation durch den Einbau falscher Bausteine anstelle von Cytidin- oder Uridinphosphat in die Erbinformation blockiert. Nach den Erfahrungen mit anderen antiviralen Therapien sollten diese Arzneimittel frühzeitig eingesetzt werden, bevor die Virusreplikation explodiert.

Zum Vormerken

Die nächste Scheele-Tagung soll 
vom 11. bis 13. November 2022 
in Warnemünde statt­finden.

Zu den psychischen Folgen der Pan­demie berichtete Dr. Janine Wirkner, Greifswald, dass die Menschen sich –abhängig von der jeweiligen Intensität der Corona-Maßnahmen - stark belastet fühlen, aber die Häufigkeit psychischer Erkrankungen sei nach den bisherigen Erkenntnissen nicht generell gestiegen. Allerdings gebe es mehr psychische Probleme bei jungen Erwachsenen und sehr alten Menschen. Nach der Studienlage habe die Häufigkeit lebensmüder Gedanken erheblich zugenommen, aber die Zahl der Suizide sei unverändert.

Psychopharmaka im Apothekenalltag

Zur Einführung in das Tagungsthema Psychopharmakologie erinnerte Prof. Dr. Gerhard Gründer, Mannheim, daran, dass Zufallsentdeckungen zur Stimmungsaufhellung durch Imipramin und zur antipsychotischen Wirksamkeit von Chlorpromazin seit Jahrzehnten die neurobiologischen Konzepte psychischer Erkrankungen prägen. Wir interpretieren die Depression als Stoffwechselstörung und ersetzen fehlende Neurotransmitter, aber es sei zu fragen, ob dies Hirnfunktionen verändert. Dies greife in einen homöostatischen Prozess ein, was auch die Absetzphänomene erkläre. Gründer empfiehlt, mit geringen Dosierungen zu beginnen, um adaptive Hirnveränderungen zu verhindern. Solche Veränderungen seien ein Prädiktor für spätere Rezidive. Als neuen Ansatz stellte Gründer Psilocybin gegen Depressionen vor. Offenbar sei dies vorzugsweise bei Patienten erfolgreich, die mit ausgeprägten psychedelischen Erlebnissen reagieren.

Dr. Otto Dietmaier, Aulendorf, beschrieb typische Fallstricke in der Therapie mit Psychopharmaka. Häufiges Nicht-Ansprechen auf eine Monotherapie, sogar bei Adhärenz, und viele Rezidive würden oft zu Therapieumstellungen führen. Bei Kombinationen sollte besonders auf mögliche QT-Zeit-Verlängerungen und Gefahren für Blutbildveränderungen geachtet werden. Apotheken könnten durch die Beratung zu problematischen Begleitumständen wie der Gewichtszunahme die Adhärenz fördern. Clozapin sei stets das Mittel der letzten Wahl, eine Umstellung auf ein anderes Mittel sei dann nicht mehr möglich, aber durch die vorgeschriebene sehr engmaschige Überwachung werde die Gefahr von Blutbildveränderungen berücksichtigt. Dietmaier mahnte, Psychopharmaka nie abrupt abzusetzen, weil dann Entzugsphänomene und ein erhöhtes Rückfallrisiko drohen. Je länger die Therapie dauere, umso langsamer sollte sie ausgeschlichen werden.

Arzneimittelauswahl

Prof. Dr. Dr. Johannes Thome, Rostock, mahnte, die psychosoziale und die neurobiologische Seite psychischer Erkrankungen stets als Einheit zu sehen. In Studien sei die Psychotherapie bei keiner Indikation der Medikation überlegen, aber dies könne bei einzelnen Patienten anders sein. Bei Psychosen würden die Arzneimittel konsensbasiert allein aufgrund des klinischen Bildes ausgewählt. Zur Therapie der Depression verwies Prof. Dr. Kristina Friedland, Mainz, auf das große Arzneimittelangebot. In der Praxis werde zuerst das Arzneimittel gewählt, das dem Patienten bereits früher geholfen habe. Ansonsten sollte sich die Auswahl an der individuellen Bedeutung der zu erwartenden unerwünschten Wirkungen orientieren. Innerhalb von zwei bis sechs Wochen sei bei 70% der Patienten eine Wirkung zu erwarten. Bei Mirtazapin und Escitalopram seien Wirksamkeit und Akzeptanz vergleichsweise günstig. Die Therapie mit Antidepressiva solle mindestens sechs Monate dauern, häufig sei es über ein Jahr. Bei wiederholten Episoden sei eine Rezidivprophylaxe nötig.

Foto: DAZ/tmb

Im nächsten Jahr soll die Scheele-Tagung wie schon oft in den Jahren zuvor in Warnemünde stattfinden. Aus dem Tagungshotel bietet sich dort ein schöner Blick auf den Strand und die Hafeneinfahrt.

Impulskontrolle ist kein „Ruhigstellen“

Prof. Dr. Michael Kölch, Rostock, beklagte, dass die Therapie mit Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter in Deutschland meist negativ besetzt sei. Die Impulskontrolle, die manchen Kindern erst eine soziale Teilhabe ermögliche, werde fälschlicherweise als „Ruhigstellen“ bezeichnet. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten seien zwar mehr Psychopharmaka für Jugendliche verordnet worden, aber die Zahlen lägen auf einem niedrigen Niveau und nur eine Minderheit der diagnostizierten ADHS-Fälle werde mit Arzneimitteln behandelt. Oft werde diese Behandlung in der Pubertät abgesetzt.

Neue Aussichten bei Schlafstörungen

Zu Schlafstörungen erklärte Prof. Dr. Klaus Junghanns, Lübeck, eine solche Störung liege vor, wenn die Betroffenen am Tag müde sind, obwohl sie sich um ausreichend Schlaf bemühen. Dann sollte nach Arzneimitteln als Auslöser gesucht werden, beispielsweise Cortison, Betablocker, Diuretika oder Bronchodilatatoren. Zur kurz­zeitigen Behandlung primärer Insomnien sind Z-Substanzen, niedrig­dosiertes Trimipramin und rezeptfreie Anti­histaminika lange bekannt. Die neuen dualen Orexin-Antagonisten betrachtet Junghanns als aussichtsreich. |

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