Die Seite 3

Jeder, der eine Spritze halten kann

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Nein, da gibt es nun wirklich nichts mehr schönzureden. Die vierte Welle ist in vollem Gange, und jetzt droht auch noch mit Omi­kron eine mysteriöse Variante mit unzähligen Mutationen das Pandemiegeschehen zu befeuern. Selbst wenn wir jetzt alle Ungeimpften, alle Kinder und nach Möglichkeit alle schon Grundimmunisierten spätestens nach sechs Monaten auf einen Schlag impfen könnten, würde das die dramatische Situa­tion auf Deutschlands Intensivstationen erst Wochen später beenden können. Die Rufe nach massiven Kontaktbeschränkungen bis hin zu einem bundesweiten Lockdown werden immer lauter. Trotzdem ist es das Gebot der Stunde, so viele Menschen so schnell wie möglich zu impfen und zu boostern. Die Leopoldina fordert, bis Weihnachten 30 Millionen Drittimpfungen zu verabreichen.

Doch wie soll das gelingen? Impfzentren wurden abgebaut, mühsam aufgebaute Terminvergabe-Strukturen zerstört und dafür auf Angebote wie Impfbusse auf Märkten oder Zelte irgendwo vor einem Einkaufs­zentrum gesetzt. Hier stehen sich nun Junge wie Alte in nicht enden wollenden Schlangen in Nässe und Kälte die Beine in den Bauch. Hausärzte impfen zwar, was sie können, nur dieses Jahr und auch im Januar sind vielerorts die Kapazitäten erschöpft. Für manch einen Politiker, eine Politikerin ist die Lösung einfach: Jeder, der eine Spritze halten kann, müsse jetzt einfach impfen. So auch die Forderung von Christian Lindner, dem FDP-Vorsitzenden, der zumindest präzisiert, dass jeder, der „medizinisch verantwortlich“ eine Spritze halten kann, in die Pflicht genommen werden müsse.

Und hier wollen politisch Verantwortliche wie die Gesundheitsministerkonferenz der Länder und auch die Leopoldina Apothekerinnen und Apotheker in die Pflicht nehmen. Doch auch wir müssen ein wenig mehr können als nur eine Spritze halten.

Wenn in Apotheken geimpft werden soll, muss das pharmazeutische Personal entsprechend geschult sein. Momentan haben nach Auskunft der ABDA bundesweit bislang etwa 2600 Apothekerinnen und Apotheker eine solche Schulung im Rahmen von regionalen Modellprojekten zur Grippeimpfung absolviert. Damit kann sicher schon etwas bewegt werden, und die Apothekerinnen und Apotheker sind bereit, mehr zu schultern (s. S. 10 und S. 16). Doch Wunder können auch sie nicht vollbringen. Wer suggeriert, man könne sofort in den rund 19.000 Apotheken täglich an jeder Ecke große Massen impfen, der ist schlicht unredlich unterwegs – zumal ja die Apotheken so ganz nebenbei noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen müssen. Und das ist nichts Geringeres als die ordnungsgemäße und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und nicht zuletzt mit Impfstoffen – ebenfalls eine wichtige und zeitraubende Herausforderung in Pandemiezeiten.

Zudem ist zu bezweifeln, dass man mit einer Trivialisierung des Impfens die vielen Menschen erreicht, die sich nicht impfen lassen wollen, weil sie kein Vertrauen in die Politik und schon gar nicht in die Impfstoffe haben. Mit nicht zu Ende gedachten Sprüchen erzeugt man kein Vertrauen in die Impfung! Dabei ist Vertrauen in die Politik, in die Impfstoffe, aber auch in die ärztliche und pharmazeutische Versorgung momentan das Wichtigste, was die Menschen brauchen, um all die einschneidenden, aber auch notwendigen Maßnahmen, ja all die Zumutungen mitzutragen, die uns das mutationsfreudige Virus abverlangt.

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