Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Fridays for Future – alles Klima oder was?

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Die Diskussionen rund um das Thema Klimaschutz, Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung reißen nicht ab – im Gegenteil, sie scheinen trotz oder durch Corona weiter an Fahrt zu gewinnen. Befeuert wurden diese Diskussionen durch die jüngsten Naturkatastrophen, die dramatisch vor Augen geführt haben, wie weit die Zerstörungen an der Natur schon fortgeschritten sind. Man mag dazu jeweils eigene Meinungen entfachen, ein Gutteil der Bevölkerung misst gegenwärtig alles und jeden an der Frage der Nachhaltigkeit – in welchem Maß wird sie berücksichtigt, welche Priorität wird dem Thema seitens der Unternehmen eingeräumt und wie glaubwürdig vermag der Sender den Empfängern zu vermitteln, dass es ihm ernst mit der Angelegenheit ist. Hagel in Reutlingen, Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie weitere Naturkatastrophen mit erklecklichen Schäden in einer ungewohnt hohen Taktung lassen die Relevanz alleine deshalb in die Höhe schnellen. Auch die Einzelhändler versuchen nun, alles zu unter­nehmen, um ihren Beitrag zum Klimaschutz und zu anderen ökologischen Themen zu platzieren.

Ist das Thema Nachhaltigkeit in Apotheken virulent? Hier muss die Antwort eindeutig lauten: zumindest in dem Ausmaß, wie sich das Thema in der Gesellschaft insgesamt verankert. Ist das Thema in Apotheken angekommen und wenn ja, in welcher Form und Intensität? Hier erlebt man als Verbraucher und Beobachter all die Ausprägungen wie an anderen Stellen des Einzelhandels oder der Wirtschaft insgesamt auch. Es kommt auf die Apothekenleiterin, den Apothekenleiter an. Geht es in erster Linie um Energieeffizienz oder um doch noch mehr? Der Begriff Nachhaltigkeit wird seit rund zehn Jahren etwas intensiver gespielt und umfasst mitnichten nur ökologische Fragen. Auch soziale oder ökonomische Nachhaltigkeit sind Teilkomponenten des Begriffs – und dies zu Recht. So ist nachhaltiges Wirtschaften (ökonomische Komponente) auf den Fort­bestand des Unternehmens aus­gerichtet und dies im bestverstan­denen Sinne auch für Mitarbeiter und Verbraucher. Diese Punkte sind jedoch sicher nicht gemeint, wenn zwar spürbar nachlassend, aber bis heute vor allem junge Menschen demonstrieren und sich für Fragen der Nachhaltigkeit einsetzen. Hier geht es in allererster Linie um Klimaschutz, Müllvermeidung und die Reduktion von für die Umwelt besonders schädlichen Materialien wie Plastik usw. Dies spricht die ökologische Perspektive der Nachhaltigkeit an. In sozialer Hinsicht geht es bei der Nachhaltigkeitsdebatte darum, ob und wenn ja wie sozial Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die breite Öffentlichkeit behandelt oder ob diese in welcher Form auch immer ausgebeutet werden. Die Relevanz von Nachhaltigkeitsthemen erkennt man an eingereichten Bachelor- und Master­arbeiten, an Werbespots und redaktionellen Beiträgen in den diversen Medien, hier haben insbesondere Klimathemen ohne Zweifel Konjunktur.

Ganz konkret können Apotheker werden, wenn sie die Arzneimittelpackungen nicht noch zusätzlich verpacken und nur bei ausdrück­lichem Wunsch eine Papiertüte verwenden. Das wirkt harmlos, ist aber immerhin ein erster Schritt und ein starkes Zeichen. Es kommt nicht von ungefähr, wenn es zunehmend Läden unter dem Siegel „Unverpackt“ gibt und Lebensmittelhändler unter der Rubrik Vermindern und Vermeiden Initiativen zur Reduktion von Verpackungsmaterial auch werbetechnisch nutzen. Verbraucher achten aber stark darauf, ob dies ernstzunehmende Initiativen sind oder ob es sich um „Greenwashing“ handelt, also nur getan wird, was gut ankommt, um daraus Nutzen zu ziehen. Muss die Apotheke abends und nachts nach Dienstschluss beleuchtet sein? Muss man wirklich am Tag fünf- oder sechsmal beliefert werden? Aber was brächte es, wenn man selbst verzichtet, die Tour vom pharmazeutischen Großhandel dennoch gefahren werden muss, weil die anderen Apotheken nicht darauf verzichten können oder wollen? Sind es nicht viel eher die zahlreichen gesetzlichen Regelungen, die Apotheken dazu zwingen, oftmals wenig nachhaltig zu agieren, obwohl sie nicht selten überflüssig sind oder scheinen? Die Bonpflicht-Verordnung war beispielsweise Ausdruck dieser auch politischen Schizophrenie. Die vielen oft wichtigen, aber nicht immer erforderlichen Dokumen­tationspflichten, die Archivierungsanforderungen und vieles mehr hindern die Apotheken daran, mehr für den nachhaltigen Umweltschutz und den Klimawandel zu tun als getan werden könnte. Dass der Botendienst nun hoffähig ist, mutet ökonomisch und ökologisch sinnvoll an, denn es ist besser, wenn ein Auto zehn Auslieferungen macht, als wenn zehn Autos jeweils ein Präparat abholen. Bei alledem kommen aber berechtigte Zweifel auf. Sind es nicht ganz andere Player, die den Klimaschutz befördern oder verhindern? Haben Apothekerinnen und Apotheker nicht von jeher ihren Beitrag geleistet und damit ist es gut?

Die Nachhaltigkeitsdiskussion ist richtig und wichtig, die Ausschweifungen aber nicht. Wer von uns verzichtet final auf Flugreisen, wer fährt nicht selbst Auto, wenn es bequem ist, und wo könnte der Einzelne durch sein Handeln Plastikmüll vermeiden, Energie sparen und die Umwelt schonen? Die Debatte führt in jedem von uns zu Abwägungen – so wichtig das Thema anmutet und so einleuchtend die Botschaften sind, so schwierig ist es gleichermaßen, auf Liebgewonnenes zu verzichten.

Da vieles um den Themenkomplex polemisch diskutiert wird, ist sich der Einzelne nicht mehr sicher, was wirklich ökologisch, klimaneutral oder energieeffizient ist. Studien widersprechen sich und was heute gilt, kann morgen schon wieder falsch sein. Deshalb kann das Fazit gezogen werden, dass bei den ganz dicken Nachhaltigkeitsbrettern gesetzliche Bestimmungen Not tun und Fehlverhalten bestraft und sanktioniert werden muss. Ansonsten ist jedermann aufgefordert, bei sich zu schauen, wie er seinen Beitrag leisten kann. Beides zusammen könnte bereits einen gewaltigen Schub auslösen, der wiederum jeden Einzelnen motiviert, noch mehr zu machen. Wenn Kammern und Verbände für die Apotheken Ideen generieren, an welchen Stellen wie klima­neutral gehandelt werden kann, und dies als gesammelte Bilanz am Ende eines Jahres für den Berufsstand dokumentiert würde, hätten viele Einzelne insgesamt viel erreicht und die Verbraucher würden den Apotheken ein grünes Siegel verpassen, ganz ohne „Washing“ und voll authentisch! |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

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