Versorgung

„Eine sehr wertvolle Therapieoption“

Cannabis-Versorgung aus Sicht der VCA-Apotheker

eda | Im Januar 2019 gründeten vier Apotheker den Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), um sich für bessere Bedingungen in der Cannabis-Medizin einzusetzen. Zu den Kernforderungen gehört es von Anfang an, Komplexität und Bürokratie abzubauen. Wie sich die Cannabis-Versorgung im Laufe der letzten fünf Jahre aus Sicht des Verbands entwickelt hat, erläutert Dr. Dennis Stracke, Apotheker und Mitglied des VCA-Vorstands.
Foto: VCA

DAZ: Welche Verbesserung ergab sich für die Patientinnen und Patienten vor fünf Jahren, als Cannabinoid-basierte Arzneimittel wieder verkehrs- und verschreibungsfähig wurden?
Stracke: Zunächst einmal muss man festhalten, dass sich mit dem Cannabis-Gesetz vor fünf Jahren das Portfolio Cannabis-basierter Rezepturarzneimittel erheblich vergrößerte. Davor war nur eine Verschreibung Dronabinol- bzw. Cannabidiol-haltiger Zubereitungen – im Fall von Dronabinol nach individueller Antragsstellung im Rahmen eines Off-Label-Use – möglich. Cannabis-Blüten konnten von den Patientinnen und Patienten nur im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung bezogen werden. Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften wurde demnach auch der Zugang zu Cannabis-basierten Fertigarzneimitteln erleichtert, sodass seit 2017 erheblich mehr Patientinnen und Patienten von dieser wichtigen Therapieoption profitieren. Mittlerweile existieren neben Dronabinol und Cannabidiol, Cannabis-Blüten und Cannabis-Extrakten auch oromukosale Applika­tionsformen auf Cannabis-Basis, die in Apotheken zubereitet werden können.

DAZ: Was waren die Herausforderungen in der Anfangszeit?
Stracke: Die größte Herausforderung war sicherlich die Tatsache, dass das Cannabis-Gesetz innerhalb kürzester Zeit umgesetzt wurde, sodass kaum Zeit für eine Vorbereitung blieb. Ende 2016 einigte man sich auf das Gesetz, um einem Eigenanbau durch schwer­betroffene Patientinnen und Patienten entgegenzuwirken, und Anfang März 2017 wurde das Gesetz verabschiedet. Vielen Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apothekern, die bis dahin nur wenige bis gar keine Berührungspunkte mit Cannabinoiden hatten, fehlte eine ausreichende Expertise und Routine im Umgang mit Cannabis-basierten Arzneimitteln – vor allem in Bezug auf mögliche Einsatzmöglichkeiten. Es fehlte an ausreichenden und zufriedenstellenden Informationen zu Dosierungen, Dosistitrationen, Wechsel- und Nebenwirkungen, die sich zum Teil grundlegend zwischen Cannabis-Blüten und -Extrakten unterscheiden. Man tat sich schwer, Cannabis indikationsbezogen einzusetzen, da die Bedeutung „Rezepturarzneimittel“ nicht jedem vertraut war.

DAZ: Und weiter?
Stracke: Außerdem hatte man in den ersten zwei Jahren mit massiven Versorgungsengpässen bei den Cannabis-Blüten zu kämpfen, die eine lückenlose Versorgung von betroffenen Patientinnen und Patienten erschwerte. All diese Umstände führten dann konsequenterweise zur Gründung unseres Fachverbandes VCA, um Erfahrungswerte und Wissen – auch interdisziplinär – auszutauschen.

DAZ: Die Einführung von Medizinalcannabis in der Regelversorgung wird seitdem auch medial sehr aufmerksam begleitet. Dabei stehen die Blüten gefühlt im Mittelpunkt fast jeder Berichterstattung. Führt dies Ihrer Meinung nach dazu, dass es Extrakte oder Cannabinoid-basierte Fertigarzneimittel vergleichsweise schwierig haben in der Akzeptanz bei Verordnern und ­Patienten?
Stracke: Die Berichterstattung ist tatsächlich eher zugunsten oraler Darreichungsformen zu bewerten. Für die Einstellung neuer Patientinnen und Patienten – insbesondere Ältere und Personen mit motorischen Störungen – auf eine Cannabis-Therapie eignen sich Cannabis-basierte Rezepturarzneimittel, die besser dosierfähig und damit gut steuerbar sind, wie z. B. eingestellte Cannabis-Extrakte oder standardisierte Dronabinol-Lösungen. Dasselbe gilt auch für Cannabis-basierte Fertigarzneimittel. Cannabis-Blüten hingegen lassen sich mit den aktuell verfügbaren Vaporisatoren nur unzureichend dosieren, eröffnen jedoch Patientinnen und Patienten dennoch sehr individuelle Dosierungsschemata und damit eine selbstbestimmte Therapie. Unter Berücksichtigung der Pharmakokinetik eines schnellen Wirkungseintritts ist das Risiko für Nebenwirkungen allerdings hier etwas höher als bei einer oralen Darreichungsform. Dennoch existieren viele Indikationen, bei denen eine inhalative Applikation – entweder von Cannabis-Blüten oder ethanolhaltigen Cannabis-Extrakten – sinnvoll ist.

DAZ: Welche Therapieform wäre die ideale? Gibt es überhaupt die eine?
Stracke: Es existiert nicht die eine Therapieform. Die Applikationsform orientiert sich an der Indikation oder krankheitsbelastenden Symptomatik, die es zu behandeln gilt. Einschießende Spastiken oder Durchbruchschmerzen erfordern eine schnelle Wirkung, die nur mittels einer inhalativen Therapie erreicht wird. Bei anderen Schmerzsymptomatiken, zur Spastikprophylaxe oder bei Bewegungsstörungen eignen sich orale Darreichungsformen mit einer längeren Wirkung. Ähnlich wie in der Opiat-Therapie ist auch eine Kombination aus inhalativer und oraler Medikation denkbar. Zukünftig werden sich sicherlich auch noch weitere Applikationen, wie beispielsweise trans­dermale, nasale oder rektale Darreichungsformen, etablieren.

DAZ: Wie hat sich die Versorgung mit Hanfblüten, Extrakten und Cannabinoid-basierten Fertigarzneimitteln in den letzten fünf Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt?
Stracke: Die Versorgung mit Cannabis-Blüten und Extrakten hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Aktuell können wir von ca. 80.000 bis 100.000 GKV-Patienten ausgehen, die von einer Cannabis-basierten Therapie profitieren. Unter Einbeziehung der PKV-Patienten und Selbstzahler muss man allerdings von mehr als 150.000 bis 200.000 Patienten ausgehen. Während laut GAMSI (GKV-Arzneimittel-Schnellinformation) 2018 insgesamt 185.370 Verordnungen über Cannabis-basierte Rezeptur- und Fertigarzneimittel zulasten der GKV ausgestellt wurden, so betrugen die Verordnungszahlen von Januar bis einschließlich September 2021 schon 262.996. Jeweils ein Drittel der Verschreibungen gehen dabei auf das Konto von Cannabis-Büten, verarbeitet und unverarbeitet, und Cannabinoid-haltigen Stoffen oder Fertigarzneimitteln in Zubereitungen, vor allem Dronabinol-Zubereitungen.

DAZ: Welches Potenzial sehen Sie für das deutsche Gesundheitswesen?
Stracke: Cannabis und Cannabinoid-haltige Arzneimittel stellen eine sehr wertvolle Therapieoption dar. Es hat sich gezeigt, dass Cannabinoide nicht nur gezielt bei bestimmten Indikationen und Symptomen wirkungsvoll eingesetzt werden können, sondern sich auch positiv auf die Lebensqualität vieler chronisch-kranker Patientinnen und Patienten auswirken. Durch den Einsatz von Cannabinoiden können auch Dosierungen bestimmter therapiebegleitender Medikationen reduziert werden. Dies ist insbesondere bei Arzneimitteln, die mit einer engen therapeutischen Breite und einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Wechselwirkungen einhergehen, günstig. Somit können Einsparungen konkomitanter Medikationen erreicht werden – bei einem gleichzeitig verbesserten Outcome und Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten. Beispiele hierfür können Einsätze in der Schmerz- oder Spastik­therapie sein.

DAZ: Blicken wir auf die pharmazeutischen Aspekte rund um Medizinalcannabis: Wie steht es um Lieferfähigkeit, Qualität und Sicherheit?
Stracke: Während der Bedarf anfänglich nur von zwei Anbietern mit acht bis zehn Blütensorten gedeckt wurde, nahm die Zahl der Cannabis-Anbieter und Importeure von Cannabisblüten und Extrakten in den letzten Jahren stark zu. Aktuell können wir auf über hundert Cannabis-Blütensorten und mehr als 30 Cannabis-Extrakte zurückgreifen, die in der Regel derzeit lieferfähig sind. Der Anbau und die Produktion von Medizinalcannabis unterliegt strengsten Anforderungen und höchsten Qualitätsstandards. Dabei müssen die international anerkannten Regeln von Good Agricultural and Collection Practice (GACP) und der Good Manufacturing Practice (GMP) eingehalten werden. Eine letzte – durchaus sehr arbeits- und zeitintensive – Qualitätskontrolle in Form einer Identitätsprüfung erfolgt darüber hinaus in der Apotheke, um eine maximale Sicherheit für die Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.

DAZ: Wie groß ist der Anteil von Selbstzahlern unter den Cannabis-Patienten? Haben Sie die Hoffnung, dass durch niedrigere Preise die Schwarzmarkt­aktivitäten wirksam eingedämmt werden können?
Stracke: Der Anteil der Selbstzahler kann nur geschätzt werden. Man kann aber davon ausgehen, dass dieser in der Größenordnung der GKV-Patientinnen und -Patienten liegt. Wir hoffen, dass mit der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken der Schwarzmarkt eingedämmt wird. Allerdings gehört die Versorgung mit Medizinalcannabis auch für Selbstzahler unbedingt in die Apotheke und nicht in einen lizenzierten Shop.

DAZ: Was halten Sie von den Bestrebungen der aktuellen Bundesregierung Cannabis zukünftig auch zu Genusszwecken verfügbar zu machen? Wäre die Abgabe eine Aufgabe, die Ihrer Meinung nach ausschließlich Apotheken übernehmen sollten?
Stracke: Aus drogenpolitischer Sicht ist dieser Schritt sicherlich längst überfällig. Ob und inwiefern ausschließlich Apotheken für die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken prädestiniert sind, ist sicherlich noch nicht final entschieden und muss noch diskutiert werden. Dennoch ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Apotheken auf eine mittlerweile fünfjährige Expertise im Umgang mit Cannabis zurückgreifen können – insbesondere in puncto Aufklärung, unabhängiger Beratung und Qualitätssicherung. Deshalb setzen wir uns als VCA auch dafür ein, dass fachkompetente Apothekerinnen und Apotheker auf dem Gebiet von Medizinalcannabis in der Ausgestaltung und Umsetzung dieser Bestrebung berücksichtigt werden. Allerdings sollte die Abgabe aus unserer Sicht nicht in der Offizin einer Apotheke, sondern – sofern Apotheken für die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken vorgesehen sind – in separaten Räumlichkeiten erfolgen. Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Medizinalcannabis muss strikt von den Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis zu Genusszwecken getrennt erfolgen, um die medizinische Versorgung der zum Teil schwer betroffenen Patientinnen und Patienten zu bewahren und zu schützen. |

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