Arzneimittel und Therapie

Endlich einschlafen mit Daridorexant?

Zulassungsempfehlung für neuartiges Schlafmittel

cel/mab | Mit Daridorexant sollen schlaflose Menschen leichter ein- und durchschlafen: Könnte der Orexin-Antagonist damit zu einer Alternative für Benzodiazepine und Z-Substanzen werden? Die EMA empfiehlt die Zulassung von Quvivic®. Wie sieht es mit Abhängigkeit und Nebenwirkungen aus?

Das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA hat am 24. Februar 2022 die Zulassung eines neuen Schlafmittels empfohlen: Daridorexant in Quviviq® (Idorsia Pharmaceuticals). Die vollständige Indikation von Daridorexant der EMA beinhaltet auch die Dauer der bestehenden Beschwerden: „Quviviq® ist für die Behandlung erwachsener Patienten mit Schlaflosigkeit indiziert, die durch Symptome gekennzeichnet ist, die seit mindestens drei Monaten bestehen und erhebliche Auswirkungen auf das Tagesgeschehen haben“.

Foto: vetre/AdobeStock

In den USA nicht der erste Vertreter seiner Wirkstoffklasse

Mit seiner Überzeugung von Daridorexant befindet sich der europäische Ausschuss für Humanarzneimittel in guter Gesellschaft, hat die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) Daridorexant doch erst am 7. Januar 2022 zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Schlaflosigkeit beim Einschlafen und / oder Schwierigkeiten beim Durchschlafen zugelassen. Die Markteinführung in den USA ist ab Mai dieses Jahres geplant. Bevor Daridorexant auch in der EU vertrieben werden darf, muss die Europäische Kommission zunächst noch der Zulassungsempfehlung des CHMP zustimmen. Aus der gleichen Wirkstoffgruppe (Duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten, s. u.) sind in den Vereinigten Staaten zur Behandlung von Schlafstörungen bereits zwei Substanzen zugelassen: seit 2014 Suvorexant (Belsomra®) und seit 2019 Lemborexant (Dayvigo®). In der EU hingegen gibt es beide Substanzen nicht.

30 Minuten vor dem Schlafen

Daridorexant wird als Tabletten in zwei Stärken auf den Markt kommen, 25 mg und 50 mg, die die schlaflosen Patienten laut amerikanischer Packungsbeilage etwa 30 Minuten vor dem Zubettgehen einnehmen sollen. Dabei sollten sie mindestens sieben Stunden bis zum geplanten Aufwachen einplanen. Die Gebrauchsinformation weist zudem darauf hin, dass sich der Beginn der Wirksamkeit ­verzögern kann, wenn die Patienten Daridorexant mit oder kurz nach einer Mahlzeit einnehmen.

Daridorexant: ein dualer Orexin-Rezeptorblocker

Zur Behandlung der Schlaflosigkeit greift Daridorexant an einem völlig anderen System an, als es bereits etablierte und als Schlafmittel zugelassene Wirkstoffe wie Benzodiazepine (z. B. Oxazepam), Z-Substanzen (z. B. Zopiclon) oder Antihistaminika (z. B. Doxylamin) tun: Daridorexant blockiert das Orexin-System, indem es als dualer Antagonist an Orexin-Rezeptoren die Bindung der wachmachenden Orexine verhindert. Idorsia zufolge soll Daridorexant dadurch „nicht allgemein sedieren“, sondern lediglich die „übermäßige Wachsamkeit verringern“.

Orexin und das Schlafverhalten

Die Neuropeptide Orexin A und Orexin B spielen eine wichtige Rolle sowohl beim Essverhalten wie auch beim Schlafrhythmus: Sie wirken stoffwechselfördernd, erhöhen Körpertemperatur und Wachheit und fördern die Gewichtsabnahme. Bezogen auf das Essverhalten wirkt Orexin zudem appetitsteigernd. Den Effekten von Orexin entgegen wirkt Leptin, ein Hormon aus den Fettzellen. Leptin vermittelt Sättigung und hemmt die Ausschüttung von Orexin aus dem Hypothalamus.

Beim Schlaf-Wach-Rhythmus fördern Orexine Aufmerksamkeit und Wachheit. Die Effekte der Neuropeptide auf das Schlaf-Wach-Verhalten zeigen sich unter anderem beim Krankheitsbild der Narkolepsie: So zeigen Untersuchungen, dass bei Patienten mit Narkolepsie Orexin-Neurone im Hypothalamus zugrunde gehen; in anderen Studien (an Hunden) konnte gezeigt werden, dass Mutationen am Orexin-Rezeptor mit Narkolepsie in Verbindung stehen. Ob durch Verlust von Orexin-Neuronen oder Mutationen beim Orexin-Rezeptor: Beide Zustände bedingen eine geringere Aktivität der Orexine und führen zu erhöhter Müdigkeit und erhöhtem Körpergewicht – bekannten Symptomen von Narkolepsie.

Wie gut hilft Daridorexant bei Schlaflosigkeit?

Die FDA (die EMA hat bislang keine Informationen zu ihrer Zulassungsempfehlung veröffentlicht) stützt ihre Zulassung von Quvivic® auf über 160 klinische Studien, an denen insgesamt 1.845 Erwachsene mit Schlafstörungen teilgenommen hatten. Zulassungsrelevant waren zwei Phase-III-Studien, in denen Idorsia über drei Monate die einmal tägliche Einnahme von Daridorexant doppelblind gegen Placebo untersuchte. Veröffentlicht wurden die Daten im Fachjournal „The Lancet Neurology“. In der ersten Studie erhielten 930 Patienten mit Schlaflosigkeit entweder Daridorexant mit 50 mg (310 Teilnehmer) oder 25 mg (310 Teilnehmer) oder Placebo (310 Teilnehmer), in der zweiten Studie erhielten 924 Patienten entweder 25 mg Daridorexant (309 Teilnehmer), eine reduzierte Dosis von 10 mg (307 Teilnehmer) oder ebenfalls Placebo (308 Teilnehmer).

Schnelleres Einschlafen und kürzeres Wachliegen

Ziel der Studie war herauszufinden, wie stark Daridorexant verglichen mit Placebo die Einschlafzeit verkürzt und das Durchschlafen verbessert (gemessen an der Wachzeit nach der ersten Schlafphase), wobei die Werte zu Beginn der Studie, einen Monat nach und drei Monate nach Therapiestart im Schlaflabor erhoben wurden. Dabei konnte Daridorexant sowohl in Dosierungen mit 25 mg wie auch mit 50 mg überzeugen: Verglichen mit Placebo verbesserte der Orexin-Rezeptorblocker signifikant die Einschlafdauer, die Durchschlafzeit bis zum Aufwachen und auch die von den Studienteilnehmern selbstberichtete Gesamtschlafdauer. In Zahlen bedeutet das (Studie 1): Die Wachzeit nach dem ersten Schlafstadium (WASO, Wake after Sleep Onset) verringerte sich mit 50 mg Daridorexant um 22,8 Minuten, die Zeit bis zum Einschlafen (LPS, Latency to persistent Sleep) um 11,7 Minuten (einen Monat nach Therapiebeginn) – jeweils verglichen mit Placebo. Drei Monate nach Therapie­beginn lagen die Patienten nach der ersten Schlafphase 18,3 Minuten weniger wach, und sie schliefen 11,7 Minuten schneller ein. Und wie sieht es mit der 25-mg-Dosierung aus? Einen Monat nach Therapiebeginn klappte mit der geringeren Dosierung das Einschlafen 8,3 Minuten schneller, das Wachliegen nach dem ersten Schlafstadium reduzierte sich um 12,2 Minuten (jeweils verglichen mit Placebo). Im dritten Monat war die Einschlafzeit um 7,6 Minuten verkürzt, die Wachphase um 11,9 Minuten.

Melatonin in aller Munde – was das Hormon bewirken kann

Das körpereigene Hormon Melatonin nimmt Einfluss auf zahlreiche zirkadiane Vorgänge unseres Organismus. So wirkt es stabilisierend auf den Schlaf-wach-Rhythmus und unterstützt die Schlafbereitschaft des Körpers. Es liegt daher nahe, Melatonin auch therapeutisch einzusetzen. Zu beachten ist aber, dass es – anders als klassische Hypnotika – nicht schlaf­erzwingend wirkt. Während es als Arzneimittel zur Behandlung von Schlafstörungen nur bestimmten Patientenpopulationen in Deutschland verschrieben werden darf, erfreuen sich Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel (NEM) seit einigen Jahren stark zunehmender Beliebtheit.

Zunächst war das „Schlafhormon“ vor allem unter Jetlag-geplagten Vielfliegern und aus dem Takt geratenen Schichtarbeitern ein Insidertipp und wurde aus dem Ausland bezogen. Dank einer rechtlichen Grauzone gibt es mittlerweile unzählige Melatonin-haltige NEM auf dem deutschen Markt. Sie werden gerne mit pflanzlichen Hypnotika und Sedativa kombiniert und erwecken den Eindruck, ein „natürliches Schlafmittel“ zu sein. Da entsprechende Produkte stark beworben werden, sind mittlerweile breite Bevölkerungsgruppen auf Melatonin aufmerksam geworden. Doch Vorsicht, die Nahrungsergänzungsmittel sind weder für jeden geeignet, noch können sie die teilweise hohen Erwartungen ermatteter Schäfchenzähler erfüllen.

Der Vortrag soll Apotheker bei der kritischen Auseinandersetzung mit dem „Mythos Melatonin“ unterstützen und gibt wichtige Tipps für die Beratung.

Dr. Verena Stahl: „Melatonin in aller Munde“, am 25. März 2022, 15:50 bis 16:35 Uhr bei der Interpharm, Programm und Tickets unter www.interpharm.de

Verbesserte Gesamtschlafdauer

Daneben hatten auch die Patienten das Gefühl eines besseren und längeren Schlafes: Ihre Gesamtschlafdauer verbesserte sich eigenen Angaben zufolge um 22,1 Minuten und 19,8 Minuten (Monat eins und Monat drei) unter 50 mg Daridorexant. Nahmen die Patienten 25 mg Daridorexant ein, gaben sie an, 12,6 Minuten und 9,9 Minuten (Monat eins und Monat drei) mehr zu schlafen. Die zweite Studie untersuchte auch die 10-mg-Dosierung von Daridorexant – allerdings genügte diese Dosis nicht, um die Wachzeit oder die Einschlafzeit signifikant zu verbessern. Aus diesem Grund ist Daridorexant mit 10 mg in den USA nicht zu­gelassen und in der EU nicht zur Zulassung empfohlen.

Nasopharyngitis und Kopfschmerzen als Nebenwirkungen

Zu den häufigsten berichteten Nebenwirkungen in den Studien zählten Nasopharyngitis, Kopfschmerzen (50 mg: 7%; 25 mg: 6%; Placebo: 5%) und Müdigkeit (50 mg: 5%; 25 mg: 6%; Placebo: 4%) – in allen Behandlungsgruppen. Auch war den Studienautoren zufolge die Gesamthäufigkeit der unerwünschten Ereignisse zwischen den Studienarmen vergleichbar: Je 38% der Probanden mit Daridorexant 50 mg und 25 mg berichteten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen während der Behandlung, in der Placebogruppe waren es mit 34% fast gleich viele (Studie 1). Ähnliche Werte zu Nebenwirkungsmeldungen förderte Studie 2 zutage (25 mg: 39%; 10 mg: 38%; Placebo: 33%). Zudem kam es zu einem Todesfall aufgrund eines Herzstillstands in Studie 1 unter 25 mg Daridorexant, allerdings wurde kein kausaler Zusammenhang zur Behandlung gesehen.

Erhöhte Selbstmordgefahr und Tagesschläfrigkeit?

Beim ersten zugelassenen und bereits seit Jahren in den USA eingesetzten Orexin-Rezeptor-Antagonisten Suvorexant gibt es mittlerweile Hinweise, dass er zu erhöhter Tagesmüdigkeit und Suizidgedanken führen könnte. Inwieweit dies ein Klasseneffekt ist und auch beim neuen Wirkstoff Daridorexant auftreten könnte, wird sich zeigen. Idorsia informiert aber bereits, dass es möglicherweise zu einer Verschlimmerung von Depressionen und Selbstmordgedanken unter Daridorexant kommen könne.

Macht Daridorexant abhängig?

Eine berechtigte Frage bei Schlafmitteln lautet stets: Wie hoch ist das Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial? Von Benzodiazepinen sowie von Z-Substanzen sind gewisse Gewöhnungseffekte bekannt. Idorsia ließ dies sodann in präklinischen Modellen auch für Daridorexant untersuchen, und zwar bei Personen mit Schlaflosigkeit und Menschen, die Beruhigungsmittel nicht therapeutisch, sondern zum Freizeitgebrauch anwenden. Verglichen mit 30 mg Zolpidem und 150 mg Suvorexant zeigte Daridorexant in einer Stärke von 50 mg signifikant weniger „Drug liking“-Bewertungen bei 63 Freizeitkonsumenten. Erhöhte man Daridorexant auf 100 mg und 150 mg (doppelte und dreifache Menge der empfohlenen Dosis), bewerteten die Freizeitkonsumenten das „Drug-liking“ ähnlich wie bei Zolpidem und Suvorexant. |

Literatur

Idorsia receives US FDA approval of QUVIVIQ (daridorexant) 25 and 50 mg for the treatment of adults with insomnia. Pressemitteilung der Idorsia Pharmaceuticals, 10. Januar 2022

Mignot P et al. Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. The Lancet Neurology 2022. doi:10.1016/S1474-4422(21)00436-1

Novel Drug Approvals for 2022. Informationen der Food and Drug Administration (FDA), Stand: 3. Januar 2022

Quviviq. Informationen der European Medicine Agency (EMA), www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/quviviq, Abruf 1. März 2022

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