ApothekenRechtTag online

Die Ampel und die Apotheken – was ist geplant?

BMG-Referatsleiter Steinrücken gibt Überblick zum Koalitionsvertrag

cr/jb | Den Auftakt bei der zweiten Veranstaltung der Interpharm online machte Thiemo Steinrücken, Apotheker und Leiter des Referats 121 „Grundsatzfragen Apotheken­gesetz, Pharmaberufe, Apothekenbetrieb“ im Bundesministerium für Gesundheit, mit einem Überblick über die apothekenrelevanten Pläne der Ampel-Koalition gut 100 Tage nach Antritt der neuen Bundes­regierung.

Durch den zwei Tage vor dem Apo­thekenRechtTag bekannt gewordenen Referentenentwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes erlangte der Vortrag Steinrückens besondere Brisanz. Nach dem Entwurf soll für die Dauer von zwei Jahren der Kassenabschlag auf zwei Euro erhöht werden – bei gleichzeitig unbefristeter Absenkung der Mehrwertsteuer bei Arzneimitteln auf sieben Prozent. In Kombination würden diese beiden Maßnahmen, wie Thomas Müller-Bohn in Beiträgen in der DAZ zeigte, bei Apotheken zu einer beträchtlichen Doppelbelastung führen – ein, wie es ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening ausdrückte, herber Schlag für die Branche. Und so war es wenig verwunderlich, dass der Vortrag Steinrückens mit besonderer Spannung erwartet wurde.

Foto: DAV/Hahn

Thiemo Steinrücken, Referatsleiter im BMG für den Bereich Apothekenwesen, lobte die Leistungen der Apotheken in der Pandemie und erläuterte die Pläne der Koalition. Dr. Christian Rotta führte als Moderator durch den ApothekenRechtTag (v. l.).

Viel Lob für Apothekenteams

Steinrücken lobte zunächst nachdrücklich die Leistungen der Apotheken während der Corona-Pandemie. Das große Engagement der Apotheken und ihrer Teams in den beiden letzten Jahren sei von der Politik in Berlin sehr bewusst wahrgenommen worden. Steinrücken nannte in diesem Zusammenhang die unter großem Zeitdruck erfolgte Verteilung von Schutzmasken, die Erbringung von Botendiensten zur Verringerung von Kontakten und Ansteckungsgefahren, die Mitwirkung an Informationskampagnen, die Herstellung und Abgabe von Desinfektionsmitteln, die Durchführung von Antigentests, die Ausstellung von Impfzertifikaten und die Durchführung von Impfungen. Die Übernahme der vielen zusätzlichen Aufgaben, „ohne groß zu diskutieren und zu murren“, habe der Branche viel Respekt und ein hohes Maß an Glaub­würdigkeit verschafft. Dies könne den Apotheken bei den anstehenden Reformen und Veränderungen nutzen: „Sie haben jetzt bei der Politik eine gute Position. Es hat sich gezeigt, dass es funktioniert, wenn man Apotheken Aufgaben kurzfristig überträgt“, so Steinrücken. Jetzt werde im Ministe­rium geprüft, welche der Corona-bedingten Ausnahmeregelungen, die sich im Apothekenbereich bewährt haben, gegebenenfalls verlängert oder verstetigt werden sollten.

Noch kein abgestimmter Entwurf

Auf den bekannt gewordenen Referentenentwurf zum GKV-Finanzierungsgesetz ging Steinrücken nur kurz ein. Dabei handle es sich um einen Entwurf, der noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei. Noch finde eine Abstimmung zwischen den Ressorts statt. Es werde alsbald einen offiziellen Entwurf geben, zu dem dann auch die Verbände um Stellungnahmen gebeten würden. Steinrücken: „Noch ist nichts entschieden, und ich kann Ihnen versichern, dass im Ministerium die kritischen Anmerkungen und auch die Berechnungen von Herrn Müller-Bohn in der DAZ zur Kenntnis genommen werden. Wir müssen sehen, was sich ergibt, wobei ich Ihnen andererseits aber natürlich auch keine konkreten Zusagen machen kann.“

Klarer äußerte sich Steinrücken in Richtung Pharmaindustrie hinsichtlich der Sparmaßnahmen zur Schließung der GKV-Finanzierungslücke: Hohe Mehrausgaben durch patentgeschützte Arzneimittel und die Corona-Pandemie verbunden mit gravierenden Mindereinnahmen erforderten – wenig überraschend – die weitere Beibehaltung des Preismoratoriums. Ganz oben auf der Agenda stehe die nationale und EU-weite Bekämpfung der Lieferengpässe bei Arzneimitteln sowie eine effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten in einem Gesundheitssicherstellungsgesetz. Zudem solle es regelmäßige Ernstfallübungen für Angehörige im Gesundheitswesen geben, um auf kommende Gesundheitskrisen vorbereitet zu sein.

„Gesundheitskioske“, innovative Versorgungsverträge und Notfallzentren

Die Pläne der Koalition zum Thema „Versorgung“ dürften, so Steinrücken, auch Apotheken betreffen. Laut Koalitionsvertrag werden in dieser Legislaturperiode der Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren in Angriff genommen. Dabei solle die Zusammenarbeit der Heilberufe intensiviert und der Spielraum für Verträge zu innovativen Versorgungsformen und zu bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen erweitert werden. Hier könnten Apotheken durchaus eine wichtige Rolle spielen. Entsprechendes gelte ins­besondere im ländlichen Raum für niedrigschwellige Beratungsangebote („Gesundheitskioske“). Man müsse sehen, welchen konkreten Beitrag Apotheken dabei leisten könnten. Bei der im Koalitionsvertrag genannten Einrichtung integrierter Notfallzentren in unterversorgten Gebieten, bei der auch (Notfall-)Apotheken beteiligt sein könnten, müssten möglicherweise die Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung flexibilisiert werden. Zu denken sei in diesem Zusammenhang auch an die Verordnungsfähigkeit von Notfallbotendiensten in der ambulanten Notfallversorgung. Allerdings: „Hier gibt es noch viele Fragen. Alles ist relativ offen. Die Planungen sind noch nicht weit gediehen“, so Stein­rücken. Er kündigte aber an, dass noch in diesem Jahr ein Teil der Notfallreform angestoßen werden solle.

Novellierung des VOASG

Außerdem stellte Steinrücken eine Novellierung des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) in Aussicht, mit der die Honorierung pharmazeutischer Dienstleistungen verbessert und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems genutzt werden sollten. Den Start pharmazeutischer Dienstleistungen erwartet das BMG übrigens Mitte des Jahres. Steinrücken: „Es wäre wichtig, dass sich die Schiedsstelle bald entscheidet, damit wir einen Anhaltspunkt haben, um weiterarbeiten zu können.“ Denn ob eine eventuelle (teilweise) Abkehr von der rein packungsbezogenen Vergütung überhaupt denkbar ist, hängt nach Auffassung Steinrückens auch von der Ausgestaltung der pharmazeutischen Dienstleistungen ab.

Vom NNF zum Sicherstellungsfonds

Im Zusammenhang mit der Etablierung pharmazeutischer Dienstleistungen denkt man im BMG auch über einen Ausbau des Nacht- und Notdienstfonds (NNF) hin zu einem „Sicherstellungsfonds“ nach. Schon in den letzten Monaten erfolgte ja bezüglich der Pauschalen im Rahmen der Anbindung an die Telematikinfrastruktur, bei der Abwicklung mehrerer Pandemie-bedingter Einmalaufgaben und Einmalzahlungen sowie bei der Rückerstattung von Kosten für nicht abgegebene Grippeimpfstoffe der Saison 2020/2021 eine Erweiterung der Beleihung des Deutschen Apothekerverbands e. V. Die Weiterentwicklung müsse im Zusammenhang mit anderen Projekten gesehen werden. Grundsätzlich habe sich der NNF bewährt: „Er ist zu einem sehr vielseitigen Instrument geworden – mit der Abrechnung der Dienstleistungen als neuem Feld“, konstatierte Stein­rücken. Zudem gibt es im BMG viele Projekte zur Weiterentwicklung der Heilberufsausbildung, die auch Auswirkungen auf die Apotheken bzw. den Apothekerberuf haben. So ist ein allgemeines Heilberufegesetz angedacht, das eine verstärkte Kooperation zwischen den Heilberufen ermöglichen soll. Auch mit dem neuen Berufsbild der Community Health Nurse, das die Koalition etablieren möchte, könnten sich laut Steinrücken für Apotheken neue Felder der Zusammenarbeit ergeben. Eine vereinfachte oder beschleunigte Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse soll zudem helfen, Fachkräfte zu gewinnen.

Freie Apothekenwahl sichern

Bei der Digitalisierung unterscheidet sich die aktuelle Regierung von der Vorgängerkoalition in der Herangehensweise. Entscheidend sei für sie die Nutzer-Perspektive. Das flächendeckende Rollout des E-Rezepts werde erst erfolgen, wenn die festgelegten Qualitätskriterien erreicht seien und alle Prozess-Schritte problemlos funktionieren würden. Das Makel- und Zuweisungsverbot wird Stein­rückens Worten zufolge auch vom BMG als wichtiges Element zur Ab­sicherung der freien Apothekenwahl und zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch wohnortnahe Apotheken betrachtet. Daher soll es auch bei elektronischen Verordnungen gewährleistet sein und müsse gegebenenfalls als Reaktion auf mögliche Umgehungsstrategien weiterentwickelt werden.

Cannabis: Apotheken als „lizenzierte Geschäfte“?

Beim Lieblingsprojekt von FDP und Bündnis 90/Die Grünen, der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken, sieht Steinrücken noch viele offene Fragen. Hier sei eine komplexe Konzeption mit umfangreicher Recht­setzung zu erarbeiten. Mit einer schnellen Umsetzung, so Steinrücken, ist danach nicht zu rechnen. Immerhin wird diskutiert, ob es sich bei Apotheken um „lizenzierte Geschäfte“ zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene handeln soll. |

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