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Management
Ein Thema – zwei Perspektiven
Personalnot in Apotheken aus Sicht des Arbeitgeberverbands und der Gewerkschaft
Auch für die Apothekengewerkschaft Adexa ist der Fachkräftemangel in Deutschlands Apotheken omnipräsent, auch wenn man aus Angestelltensicht eher ein anderes Bild auf die Lage haben könnte. Der Arbeitsmarkt ist zu einem Arbeitnehmermarkt geworden. Apothekerinnen und Apotheker, PTA sowie PKA könnten demnach freie Auswahl haben, in welchem Betrieb sie sich zu welchen Konditionen anstellen. Doch Adexa-Bundesvorstand Andreas May berichtet gegenüber der DAZ, dass die Personalnot der Inhaberinnen und Inhaber die Angestellten sehr deutlich zu spüren bekommen: „Wir hören verstärkt, dass Apotheken nicht ausreichend bzw. nicht ordnungsgemäß besetzt sind“, so May. Das führe im Extremfall dazu, dass beispielsweise PTA die Apotheke öffnen sollen, obwohl noch keine approbierte Kraft anwesend ist. Oder dass die Filialleitung bzw. einzige angestellte Approbierte deutlich mehr als die Hälfte der Notdienste übernehmen müsse – oder auch, dass PKA im HV aushelfen sollen.
Daneben würden die Apothekenangestellten aber auch schon im Regelbetrieb feststellen, dass ihre jeweilige Chefin oder ihr jeweiliger Chef ein Personalproblem hat. „Kolleginnen und Kollegen müssen sich häufiger und länger gegenseitig vertreten bei Krankheit; die Urlaubsplanung wird noch schwieriger“, erläutert May und ergänzt: „Viele Angestellte arbeiten am Limit oder sogar darüber. Und auch für die Betreuung von Praktikanten oder Azubis ist dann nicht genug Zeit, was zu einem Teufelskreis bei der Nachwuchssuche führen kann.“
Auch für den Vorsitzenden des Arbeitgeberverbands Deutscher Apotheken Thomas Rochell zeigt sich, dass der Personalmangel immer auch ein gesamtbetriebliches Problem darstellt: „In der Konsequenz bedeutet dies auch, dass das verbliebene Personal häufig Überstunden macht bzw. der Versuch unternommen wird, Teilzeitmitarbeiter in Vollzeit zu überführen.“ Auf den Stellenmarktseiten sei seit Längerem sehr gut sichtbar, dass die Nachfragen nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oftmals um den Faktor zehn bis 20 höher sind als die Angebote. Stellen neu zu besetzen, werde immer schwieriger. Geeignetes Personal könne nur schwer gefunden werden.
Wurde aus der Corona-Krise eine Personalkrise?
Die Corona-Pandemie hat zu einer Belastung in den Betrieben geführt, darin sind sich Adexa und ADA einig. „Zwar hat sich das Personal durch die Pandemie nicht verringert, jedoch ist der Arbeitsumfang des vorhandenen, oft schon knapp bemessenen Personals durch die Übernahme zusätzlicher pandemiebedingter Aufgaben wie Testen, Ausstellen von digitalen Impfausweisen und teilweise auch Impfen erheblich angewachsen“, so ADA-Chef Rochell. Dies habe dazu geführt, dass inzwischen viele Apothekeninhaber aber auch die Mitarbeiter über die individuelle Belastungsgrenze hinausgehen.
Adexa-Vorstand May dazu: „Die Belastung der Kolleginnen und Kollegen ist durch die Corona-Vorschriften noch einmal gewachsen. Das hat dann oft den letzten Anstoß gegeben, sich anderweitig umzusehen. Arbeitsplätze mit günstigeren Arbeitszeiten und besserem Verdienst kann man in vielen Bereichen finden.“
Die Arbeitgeber haben laut Rochell feststellen müssen, dass es bei dem ein oder anderen Angestellten zu einer Neujustierung der eigenen Work-Life-Balance gekommen ist. Und May prophezeit im Hinblick auf die Abwanderung von Personal: „Für die betroffenen Apothekenteams wird es danach noch anstrengender. Denn freie Stellen können oft über Monate nicht nachbesetzt werden.“
Die Babyboomer gehen in Rente
Doch die Corona-Krise kann nicht alleine für die verschärfte Situation verantwortlich gemacht werden. Von ADA und Adexa wollten wir erfahren, welche Entwicklungen der letzten Jahre oder Jahrzehnte deren Meinung nach darüber hinaus für den Fachkräftemange entscheidend ist. Thomas Rochell sieht hierfür den demografischen Wandel auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich: „Die ersten PTA, die Anfang der 1970er-Jahre ausgebildet wurden, gehen nun in Rente. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren verstärken, da zahlreiche Mitarbeiter der ‚Babyboomer-Generation‘ angehören, die in nächster Zukunft das Rentenalter erreichen.“
Adexa-Bundesvorstand May adressiert die fehlenden Ausbildungskapazitäten: „Man denke an den Kampf um den Abbau von Studienplätzen zum Beispiel in Leipzig oder auch an die zahlreichen geschlossenen Schulen für PKA und PTA. Das weit verbreitete und zum Teil sehr hohe Schulgeld hat den PTA-Beruf unattraktiv gemacht – zum Glück tut sich hier langsam etwas in Richtung einer flächendeckenden Schulgeldfreiheit. Bei den PKA gibt es mittlerweile so wenige Fachschulen und Klassen, dass Azubis sehr lange Wege auf sich nehmen müssen – da überlegt sich eine Schulabgängerin dreimal, ob sie sich das bei den vergleichsweise niedrigen PKA-Gehältern nach der Ausbildung zumuten will. Für beide Berufsgruppen fehlen auch in den Apotheken die Aufstiegschancen.“ Rochell nimmt dabei auch die öffentliche Hand in die Pflicht: „Aufgrund von Schulschließungen von Schulen in kommunaler Trägerschaft werden weniger PKA und PTA ausgebildet, sodass ein Rückgang von ausgebildeten Fachkräften für den Apothekenbetrieb festzustellen ist, der sich in den nächsten Jahren eklatant verstärken wird.“
Können Apotheken auf Quereinsteiger setzen?
Wenn schon nicht genügend eigene Fachkräfte ausgebildet werden (können), lässt sich die Frage stellen, wie es andere Branchen mitunter geschafft haben, die Personalnot zu kompensieren. Könnten Quereinsteiger den Mangel in den Apotheken beseitigen? Hierzu May: „Mit der Ausbildung in einem Apothekenberuf hat man als Quereinsteiger in anderen Branchen vielfältige Optionen und gute Chancen, gerade auch, was die Aufstiegsmöglichkeiten angeht. Die öffentlichen Apotheken dagegen können selbst kaum von Quereinsteigern profitieren. Denn hier werden Fachkräfte gebraucht, die über die richtige Ausbildung mit anspruchsvollen Qualifikationen verfügen.“ Das sieht auch Rochell so. Quereinsteigen „mag für PKA möglich sein, aber aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht für die PTA und schon gar nicht für den Apothekerberuf“.
Wo bleibt der Nachwuchs?
Zwischen 2010 und 2020 kamen rein rechnerisch rund 13 Prozent mehr Apothekerinnen und Apotheker auf den Arbeitsmarkt. Der Berufsstand „stirbt“ also keinesfalls aus. Gleichzeitig nimmt die Apothekenzahl seit Jahren kontinuierlich ab. Weshalb profitieren nicht alle verbliebenen Apotheken von diesen gegenläufigen Entwicklungen? Bei Adexa vertritt man dazu die folgende Meinung: „Zum einen wollen gar nicht alle Berufsanfänger in die öffentliche Apotheke. Und zum anderen wandern immer mehr Fachkräfte ab – unterm Strich gibt es daher kein Plus. Und natürlich können sich die verfügbaren Bewerberinnen und Bewerber die Apotheken mit den attraktivsten Bedingungen und Standorten aussuchen. Wer wenig bietet oder bieten kann, hat dann das Nachsehen“, meint Tanja Kratt, Leiterin der Adexa-Tarifkommission, und liefert direkt dazu ein konkretes Beispiel: „Bei der Auswahl zwischen zwei Apotheken entscheidet man sich als Approbierte vermutlich eher für diejenige mit der höheren Zahl an vertretungsberechtigten Beschäftigten, weil man dann selbst weniger Notdienste übernehmen muss.“ Aus Sicht der angestellten Approbierten sei das ein nicht zu vernachlässigendes Auswahlkriterium – „vor allem, solange noch die 13-Prozent-Klausel im Bundesrahmentarifvertrag gilt, nach der mit mindestens 13 Prozent übertariflicher Bezahlung alle Notdienste bereits abgegolten sind“, so Kratt.
Die stärker in den Fokus geratene Work-Life-Balance hält auch Arbeitgebervertreter Rochell für nicht zu unterschätzen: „Wer möchte denn heute noch 40 Stunden pro Woche arbeiten inkl. Notdienstbereitschaft und Samstagsarbeit?“ Dies gelte auch für Betriebsübernahmen, also für die Selbstständigkeit: „Wie attraktiv ist eine Selbstständigkeit, die sich selbstausbeuterisch und im ‚Bürokratiewahnsinn‘ verschleißend darstellt?“ Darüber hinaus seien nicht nur die öffentlichen Apotheken untereinander im Personalgewinnungswettbewerb, so Thomas Rochell. „Insbesondere buhlen mit uns vermehrt Krankenhäuser, Krankenkassen, pharmazeutische Industrie und Verwaltung um die Fachkräfte.“
Inwiefern ausländische Fachkräfte eine mögliche Lösung des Personalproblems in den Apotheken Deutschlands darstellen, wagen sowohl ADA als auch Adexa zu bezweifeln. „Kurzfristig wird dies keine Lösung sein“, heißt es von den Arbeitgebervertretern mit der gleichzeitigen Einschränkung: „Gleichwohl können mittel- und langfristig mit einer entsprechenden Anwerbeoffensive gezielt ausländische Fachkräfte angesprochen werden. Die gesetzlichen Regelungen zur Fachsprachenausbildung und die Anerkennung nach EU-Recht sind aber nur durch großen individuellen Einsatz der Betriebe umzusetzen.“ Einen Enthusiasmus im Hinblick auf die Heranziehung ausländischer Apothekenmitarbeiter bremst auch Tanja Kratt von Adexa: „Man braucht auch Zeit und Energie, um Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland gut einzuarbeiten und in das Team zu integrieren. Dazu können auch Kosten für Schulungen hinzukommen.“
Die Rolle der Tarifverträge
Anfang Januar einigten sich Adexa und ADA auf einen neuen Gehaltstarifvertrag für Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Nun dürfen sich Apothekenangestellte über ein Gehaltsplus von 200 Euro, PKA sogar über 225 Euro freuen – rückwirkend zum 1. Januar 2022. Im nächsten Jahr wird dann noch einmal erhöht. Ist das ein positives Signal an alle potenziellen Bewerberinnen und Bewerber? Steigert das die Attraktivität des Arbeitsplatzes Apotheke? Die Leiterin der Adexa-Tarifkommission ist davon überzeugt: „Wollen die öffentlichen Apotheken über ihren individuellen Einzugsbereich hinaus Signale für attraktivere Arbeitsbedingungen senden und wollen sie Schulabgängerinnen und -abgänger überzeugen, dann sind Tarifverträge die entscheidende Messlatte“, so Tanja Kratt. Zu übertariflichen Gehältern vertritt sie dagegen eine differenzierte Meinung: „Wenn Inhaberinnen und Inhaber in ihren Apotheken 20 Prozent über Tarif bezahlen, ist das zwar für sie selbst ein Wettbewerbsvorteil, aber nicht für die Branche. Und wenn in einem Ort alle Apothekenleitungen in ähnlichem Maße über Tarif bezahlen müssen, weil sie sonst kein Personal bekommen, bleibt nicht einmal mehr dieser unternehmerische Vorteil bestehen“, gibt sie zu bedenken.
Für Thomas Rochell ist erwiesen, „dass Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis kein Tarifvertrag zugrunde liegt, länger arbeiten und weniger verdienen als die Mitarbeiter, die auf der Grundlage eines Tarifvertrages tätig sind“. Ein 13. Monatsgehalt etwa werde häufig in vielen Branchen nicht mehr gezahlt. Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis auf der Grundlage eines Tarifvertrages beruht, seien zufriedener als Mitarbeiter ohne Tarifvertrag. Daher haben für den ADA-Chef beide Instrumente ihren Effekt, sowohl der Bundesrahmentarifvertrag als auch die übertarifliche Bezahlung.
Dennoch plädiert er dafür, die hohe Flexibilität aufseiten der Inhaber aber auch bei den Mitarbeitern trotz Tarifverträgen zu bewahren. Dies sei einerseits das jeweilige Zeitmanagement, andererseits „aber auch die Chance, einen verantwortungsvollen Beruf mit persönlicher Betreuung von Patienten und Kunden familienfreundlich und möglichst vor Ort ausüben zu können.“ Diese Vorteile des Arbeitsplatzes Apotheke gerade für Frauen müssen eindeutig kommuniziert werden. Die betrieblichen Strukturen müssen aber auch hinterfragt und ggfs. flexibel auf die sich ändernden Bedürfnisse des Umfelds angepasst werden, findet der Arbeitgebervertreter.
Geld ist nicht alles
Dass Geld nicht alles ist in einem Tarif- oder Arbeitsvertrag, betont Tanja Kratt. So fordert die Adexa-Tarifkommission, in den Rahmentarifverträgen eine niedrigere tarifliche Wochenarbeitszeit festzulegen sowie den Urlaubsanspruch – schrittweise – auf die in anderen Branchen üblichen sechs Wochen zu erhöhen. Denn im Vergleich würden die öffentlichen Apotheken auch hier nicht gut genug abschneiden. Eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden sei nicht mehr zeitgemäß. Die Wochenarbeitszeiten vieler anderer Branchen liegen oft weit darunter.
Außerdem müsse das 13. Tarifgehalt zum Standard ohne Minderungsmöglichkeit werden. Darüber hinaus müssen Notdienste unabhängig von übertariflichen Gehältern extra vergütet werden. Auch eine Honorierung von Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden soll nach Ansicht von Adexa diskutiert werden.
Fazit
Adexa-Bundesvorstand Andreas May blickt mit gemischten Gefühlen auf die vergangene Zeit: „Letztlich leiden alle Apothekenberufe unter den niedrigen Tarifabschlüssen der letzten zehn, fünfzehn Jahre.“ Das wiederum habe auch mit der ungenügenden Honorierung der Apotheken durch die Politik bzw. die Krankenkassen zu tun. Bei den Apotheken sei, viel stärker als bei den Ärzten, immer wieder der Einsparhebel angesetzt worden. Und diese Haltung des Bundesgesundheitsministeriums sei leider bis heute nicht überwunden. Tanja Kratt ergänzt: „Wir sind hier in einer Umbruchphase – und es ist möglich, dass das notwendige Umsteuern für einzelne, gerade kleinere Apotheken auch schmerzhaft sein kann.“ Die Apothekengewerkschaft sieht sich als Sozialpartner, der dafür sorgen muss, „dass die Apotheken bundesweit genügend qualifiziertes Personal finden und halten können, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen“.
Arbeitgebervertreter Thomas Rochell weist abschließend auf die Individualität der Apotheken hin: „Jeder Betrieb ist anders und auch die Bedürfnisse des dort arbeitenden Personals. Die Gründe, warum Betriebe geschlossen werden und es nicht zu einer Übernahme kommt, sind äußerst komplex und vielfältig. Als Unternehmer muss man dies alles mit bedenken.“ |
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