Pandemie Spezial

„Entsetzt über das Ordnungsdilemma!“

Simon Krivec hat zwei Jahre Pandemie aus Apothekensicht beleuchtet

du | Die Corona-Pandemie hat den Apotheken schon bislang viel abverlangt, und sie macht dies bis heute. Apotheker Dr. Simon Krivec, Inhaber der Adler Apotheke in Moers, hat die ersten zwei Jahre der Pandemie Revue passieren lassen. Seine Erkenntnisse sind in dem Buch „Das Corona-Chaos. Ein Apotheker packt aus“ nachzulesen. Wir wollten von ihm wissen, was ihn besonders umgetrieben hat, was ihn weiter umtreibt und welche Konsequenzen er gezogen haben möchte.
Foto: Martin Barth fotobarth.de

Apotheker Dr. Simon Krivec prangert das Corona-Chaos an.

DAZ: Mehr als zwei Jahre Pandemie haben uns vieles gelehrt. In Ihrem Buch listen Sie eine Reihe von Kuriositäten auf. Nennen Sie uns doch einfach mal in Kürze ein paar Beispiele, die Sie besonders bewegt haben.
Krivec: Da gibt es mehrere Beispiele mit unterschiedlichen Facetten. Zunächst war es mir ein besonderes Anliegen, zu Pandemiebeginn für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien trotz Schul- und Kitaschließungen mit einem Betreuungsangebot zur Seite zu stehen. ­Gemeinsam mit meinem ­Bruder Julius, selbst Apo­theker, haben wir dann eine betriebsinterne Kindertagesstätte eingerichtet.
Wie viele Kolleginnen und Kollegen sicher auch, habe ich mit großer Ohnmacht verfolgt, wie unvorbereitet der Staat war. Das betrifft nicht nur das Regelungschaos in der Apotheke, sondern in allen Gesellschaftsbereichen. Vor allem das Thema „Persönliche Schutzausrüstung“ und deren Beschaffung kann allein ganze Bücher füllen. Vor diesem Hintergrund bin ich heute noch immer völlig verwundert über das Agieren unseres Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, vor allem in Bezug auf die Gratis-Abgabe in der Vorweihnachtszeit 2020. Das gesamte Versagen bei der Maskenbeschaffung wurde dort mit einem Handstreich an die Apotheken weiterdelegiert.
Auch das Thema Corona-Tests hat mich besonders bewegt. Bis zum heutigen Tag kann ich es nicht verstehen, warum man nicht spätestens nach den zahlreichen Abrechnungsbetrugsfällen den Kreis der Teststellenbetreiber auf die schon bisher im Gesundheitswesen tätigen Leistungserbringer beschränkt hat.

Literaturtipp

Was passiert, wenn gesunder Menschenverstand, seriöser Geschäftssinn und Behörden-Wahnsinn aufeinandertreffen? Die Jahre der Pandemie haben vor allem die Defizite in unserer Verwaltung aufgezeigt. Apotheker Dr. ­Simon Krivec kann darüber etliche abenteuerliche, absonderliche und ­abstruse Anekdoten erzählen, die ­einen fassungslos zurücklassen.

Von Simon Krivec unter Mitarbeit von Ralf Meutgens.
Das Corona-Chaos. Ein Apotheker packt aus
240 Seiten, Klappenbroschüre 20,00 €
ISBN 978-3-7776-3245-2 (Print)
ISBN 978-3-7776-3281-0 (E-Book, epub)
Hirzel Verlag Stuttgart 2022

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DAZ: Was treibt Sie in Sachen Corona derzeit am meisten um?
Krivec: Auch nach zwei Jahren Pandemiegeschehen bin ich immer noch entsetzt darüber, unter welchem Ordnungsdilemma unser Staat leidet. Das hat die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Bis heute vermisse ich einen roten Faden und eine bundesweit abgestimmte Pandemiestrategie. Zielorientiertes und vorausschauendes Handeln steht zumeist immer noch hinter parteipolitischem und föderalistischem Hickhack an. Unser Land hat sich zu einem Flickenteppich an Regelungen, Maßnahmen und Gegenmaßnahmen entwickelt. Ich habe nun den großen Wunsch, dass ich gemeinsam mit meinem Team die kommenden Wochen und Monate überstehe und wir alle gesund bleiben. Und natürlich sind die derzeit geltenden Quarantäneregelungen bei gleichzeitig großflächigen Öffnungstendenzen eine große Belastung für das Unternehmen. Durchschnittlich 10% der Beschäftigten sind in unserem Unternehmen derzeit in der Quarantäne ­gefangen.

„Wie viele Kolleginnen und Kollegen sicher auch, habe ich mit großer Ohnmacht verfolgt, wie unvorbereitet der Staat war.“

DAZ: Welche Lehren müssen im Hinblick auf die Rolle der Apotheken aus der Pandemie unbedingt gezogen werden?
Krivec: Die Rolle und der Wert der Apotheke sind über Jahre nicht beachtet worden. In der Pandemie haben wir gezeigt, dass wir „Krise“ können. Natürlich haben wir auch in unserer Apotheke viele Fehler gemacht, manche Planungen wurden über den Haufen geworfen. Aber grundsätzlich hat das „Team Apotheke“ funktioniert. Ich bezeichne es auch deshalb als Team, weil ich einen so ­intensiven und vor allem vorurteilsfreien Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen noch nie erlebt habe. Ausnahmen sind möglich. Aber zumindest ich für meinen Teil habe einen veränderten kollegialen Austausch erleben können.

„In der Pandemie haben wir gezeigt, dass wir ‚Krise’ können.“

DAZ: Können Sie der Pandemie im Hinblick auf die Rolle der Apotheken auch etwas Positives abgewinnen?
Krivec: Wenn jemand in der Pandemie gezeigt hat, dass seine Rolle und sein Wert in der Gesellschaft bisher völlig unterschätzt worden sind, dann ist das die deutsche Apotheke vor Ort. In vielen persönlichen Gesprächen in unterschiedlichsten Konstellationen spüre ich diese Anerkennung. Es liegt aber an uns und vor allem auch an unserer Standesvertretung, dieses gewonnene Vertrauen auf der politischen Ebene zu nutzen. Das vermisse ich derzeit völlig! Vor allem vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation und den gestiegenen Energiekosten ist dringend eine Aufwertung der Vergütung der Apotheke vor Ort notwendig. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt dafür. Ohne unsere unbürokratische und vor allem praktische Herangehensweise in vielerlei Bereichen wäre unser Land nicht so gut durch die Pandemie gekommen!

„Vor allem vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation und den gestiegenen Energiekosten ist dringend eine Aufwertung der Vergütung der Apotheke vor Ort notwendig.“

DAZ: Die Pandemie geht weiter, wird es Stoff für einen zweiten Band Ihres Buches geben?
Krivec: Das von Ralf Meutgens und mir verfasste Buch bildet genau zwei Jahre Pandemiezeit ab. Wir haben nur die Spitze des Eisberges angesprochen. Vieles von dem, was wir erlebt haben, werden viele Kolleginnen und Kollegen in gleicher oder ähnlicher Form ebenfalls erlebt haben. Wie auch das Virus sich permanent verändert, kann ich nicht ausschließen, dass auch wir gezwungen sein werden, ­weiter in der Pandemie tätig zu sein. Persönlich hoffe ich, dass es nicht dazu kommt, dass wir das Coronavirus in unserem Alltag beherrschen können und es daher kein zweites Buch geben muss.

DAZ: Herr Dr. Krivec, besten Dank für das Gespräch! |

Dr. Simon Krivec, Adler Apotheke,Kirchstraße 4 – 6, D-47441 Moers

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