Pandemie Spezial

Wenn die aktive Immunisierung versagt

S1-Leitlinie gibt Empfehlungen zur SARS-CoV-2-Präexpositionsprophylaxe

Für vulnerable Patientengruppen wie etwa hämatologisch-onkologische Patienten ist die Gefahr einer SARS-CoV-2-Infektion besonders groß, da sie auch nach einer Impfung oftmals keine ausreichende Immunantwort aufweisen und im Fall einer Infektion besonders schwer erkranken. Wie können ­diese Patienten vor COVID-19 geschützt werden? Eine soeben ver­öffentlichte S1-Leilinie zur SARS-CoV-2-Präexpositionsprophylaxe bietet Orientierung.

Wie die Autoren der Leitlinie einleitend betonen, richten sich ihre Empfehlungen zur SARS-CoV-2-Präexpositionsprophylaxe nur an besondere Patientengruppen und deren Ärzte. Des Weiteren basieren ihre Empfehlungen weder auf klinischen Studien noch auf In-vivo-Untersuchungen. Sie stützen sich vornehmlich auf In-vitro-Versuche zu neutralisierenden Antikörpern und deren Fähigkeit, aktuell zirkulierende Virusvarianten abzufangen. Eine weitere Besonderheit ist eine SARS-CoV-2-Präexpositionsprophylaxe mithilfe einer passiven Immunisierung – im Gegensatz zu einer aktiven Immunisierung durch eine Impfung.

Eine aktive Immunisierung gegen COVID-19 ist neben der Verringerung des Expositionsrisikos die wirksamste Präventionsmöglichkeit, um schwere Verläufe zu verhindern. Dies setzt indes ein intaktes Immunsystem voraus, was bei einigen Patientengruppen nicht immer der Fall ist. Besonders ­gefährdet sind onkologische und immunsupprimierte Patienten sowie ­Risiko­gruppen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie etwa systemischen Vaskulitiden und Kollagenosen oder Patienten unter einer ­Rituximab-Therapie sowie unter der Einnahme höher dosierter Glucocorticoide. Diese Patienten weisen ein hohes Risiko für ein serologisches Impfversagen auf und haben zudem das höchste Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. Für diese Kohorten besteht die Möglichkeit einer passiven Immunisierung durch die Gabe von SARS-CoV-2-neutralisierenden monoklonalen Antikörpern. Der Erfolg dieser Möglichkeit ist wiederum von der vorherrschenden ­Virusvariante abhängig. So war Casirivimab/Imdevimab, der ­erste monoklonale Antikörper mit Zulassung zur SARS-CoV-2-Präexpositionsprophylaxe, gegenüber Delta-Varianten wirksam, zeigt aber gegenüber den derzeit zirkulierenden Omikron-Varianten einen ausgeprägten Wirkverlust. – Dieses Beispiel zeigt, dass die Empfehlungen der Leitlinie ständigen Veränderungen unterworfen sein können und bei der Auswahl eines Präparates berücksichtigt werden müssen.

Foto: curtbauer/AdobeStock

Die Voraussetzungen

In der Leitlinie wird betont, dass eine SARS-CoV-2-Präexpositionsprophy­laxe kein Ersatz für Personen ist, die aktiv und vollständig geimpft werden können. Die passive Immunisierung sollte nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen erfolgen. Darunter fallen Erkrankungen, die mit einer Immundefizienz oder einer Beeinträchtigung der Impfantwort einhergehen, das Vorliegen eines aktuellen negativen SARS-CoV-2-Virusnachweises und ein Mindestalter von zwölf Jahren. Des Weiteren muss ein vollständiger Versuch einer aktiven Immunisierung durchgeführt worden sein und der Nachweis eines serologischen Impfversagens vorliegen. Diesen Negativ-Empfehlungen folgt die Positiv-Empfehlung: Eine Präexpositions­prophylaxe mittels passiver Immunisierung sollte Patienten angeboten werden, die durch relevante Immundefizienz wie etwa bei hämato-onkologischen Erkrankungen, bei einer Therapie mit Zytostatika oder Immunsuppressiva oder aufgrund eines Immundefekts ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion aufweisen. Zudem sollten sie nicht ausreichend auf eine erweiterte aktive Immunisierung mit einem der verfügbaren Impfstoffe angesprochen haben (serologischer Nachweis).

RKI-Informationen beachten

Bevor die Leitlinie auf die Durchführung einer passiven Impfung eingeht, hebt sie die Notwendigkeit hervor, sich über die derzeit zirkulierenden Virusvarianten zu informieren und dann das geeignete Antikörper-Präparat auszuwählen. In Deutschland prävalente SARS-CoV-2-Varianten können den Wochenberichten des Robert Koch-Instituts entnommen werden. Eine Übersicht von Antikörper-Präparaten und deren Wirksamkeit gegenüber den verschiedenen Varianten wird von der Fachgruppe COVRIIN bereitgestellt und regelmäßig aktualisiert. Aktuell liegen ausreichende klinische Daten für die Kombination aus Tixagevimab und Cilgavimab (Evusheld®) vor.

In Deutschland derzeit nur Tixagevimab / Cilgavimab

Die Kombination aus Tixagevimab und Cilgavimab ist derzeit in Deutschland das einzige verfüg­bare und zur prophylaktischen Anwendung zugelassene Antikörper-Präparat mit adäquater Wirksamkeit gegenüber den aktuell zirkulierenden Omikron-Varianten. Diese Aussage beruht auf der Grundlage von In-vitro-Untersuchungen. Das Präparat wird intramuskulär verabreicht, das Dosisintervall ist noch unklar. Eine Wirksamkeit gegenüber BA.2 scheint zumindest für sechs Monate wahrscheinlich. Zu beachten ist, dass Tixagevimab/Cilgavimab bei positivem SARS-CoV-2-Nachweis nicht eingesetzt werden soll.

Steckbrief zur Leitlinie

Federführende Gesellschaft der S1-Leitlinie zur SARS-CoV-2-Prä­expositionsprophylaxe: Deutsche Gesellschaft für Infektiologie unter Mitwirkung weiterer Fachgesellschaften

Adressaten: Niedergelassene und stationär tätige Fachärzte aller Bereiche der Inneren Medizin, Ärzte anderer Fachrichtungen und Hausärzte, die Patienten mit angeborener oder erworbener Immundefizienz betreuen, sowie Patienten mit schwerer Immundefizienz und deren Angehörige

Gründe für die Themenwahl:Bedarf an Aufklärung und Anleitung in der aktuellen pandemischen Situation. Verfügbarkeit von Präpa­raten mit Nutzen für spezielle Risikopopulationen

Ziel der Leitlinie: Rationaler ­Einsatz von verfügbaren mono­klonalen Antikörper-Präparaten zur Primärprophylaxe von Infektionen mit SARS-CoV-2 bei Hochrisikogruppen

Nächste Überprüfung geplant 05/2024

Keine anderen Antikörper

Andere monoklonale Antikörper zur passiven Immunisierung sollten der Leitlinie zufolge derzeit nicht zur Anwendung kommen. So rät die Leitlinie von der Gabe von Casirivimab/Imdevimab ab, da ­damit keine relevante Neutralisa­tion der aktuell zirkulierenden ­Omikron-Varianten erzielt werden kann. Das gilt auch für Sotrovimab, das ausschließlich zur Therapie der SARS-CoV-2-Infektion zugelassen ist.

Durchbruchinfektionen nach und während der Prophylaxe

SARS-CoV-2-Infektionen sind auch während oder nach einer Präexpositionsprophylaxe mittels passiver Immunisierung möglich. Die Therapie solcher Durchbruchinfektionen unterscheidet sich nicht von Infektionen bei Patienten mit fehlendem Impfschutz, die keine Präexpositionsprophylaxe erhalten haben, und soll den aktuellen Leitlinien zur ambulanten und stationären Therapie von COVID-19 folgen.

Kostenerstattung

Die Leitlinie weist auch auf die Kostenerstattung hin. Die SARS-CoV-2- Präexpositionsprophylaxe ist derzeit kein Leistungsbestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung. Tixagevimab/Cilgavimab steht derzeit im Rahmen der Bundesnotfallreserve zur Präexpositionsprophylaxe zur Verfügung. Die Verwendung und Erstattungsfähigkeit der medizinischen Leistung ist in der Verordnung zur Vergütung der ­Anwendung von Arzneimitteln mit monoklonalen Antikörpern (MAKV) geregelt. |

Literatur

S1-Leitlinie SARS-CoV-2 Prä-Expositionsprophylaxe. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/092-002.html (Aufruf am 14.05.2022)

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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