Arzneimittel und Therapie

COVID-19 und Influenza im Doppelpack weniger gefährlich?

Experimentelle Studien zeigen virale Interferenz

Ein Anstieg an SARS-CoV-2-In­fektionen und ein Beginn der ­Grippe-Saison im Herbst können bedroh­liche Szenarien hervorrufen – aber eine Vorhersage ist rein spekulativ. Experimentelle Studien weisen auf günstige virale Inter­ferenzen hin, da das Influenza-A-­Virus die Vermehrung des Corona-Virus beeinträchtigt. Ob sich die im Tierversuch gewonnenen Daten auch auf das mensch­liche Immunsystem übertragen lassen, bleibt abzuwarten.

Ob das Prinzip der viralen Interferenz – eine akute Infektion mit einem Virus schützt für eine gewisse Zeit vor der Infektion mit einem anderen Virus – auch bei Influenza-Viren und SARS-CoV-2 funktioniert, untersuchte eine US-amerikanische Arbeitsgruppe in der Zellkultur und im Tierversuch. Der Versuch mit Goldhamstern bestand aus zwei Blöcken:

  • Zuerst wurden die Tiere gleichzeitig mit Grippe-Viren und SARS-CoV-2 infiziert, was zu einer Replikation beider Viren führte. Die Tiere er­holten sich nach der Koinfektion schneller von der Infektion mit SARS-CoV-2 als nach einer alleinigen Infizierung mit SARS-CoV-2. Die Koinfektion hatte hingegen keinen Einfluss auf die Replikation der Influenza-Viren. Diese hielt gleich lang an wie nach einer alleinigen Inokulation mit den Grippe-Viren.
  • In einem weiteren Experiment wurden die Tiere zunächst mit einer der beiden Virenarten und einige Tage später mit der anderen Virenart in­fiziert. Zu einer Interferenz kam es nur, wenn die Tiere zuerst mit dem Influenza-Virus infiziert wurden. In der Folge blieben die Virustiter von SARS-CoV-2 niedrig. Daraus geht hervor, dass die Infektion mit den Influenza-Viren die Replikation von SARS-CoV-2 verringerte, was auch mit einem höheren Interferonspiegel korrelierte. In die andere Richtung funktionierte die virale Interferenz nicht. Bei Tieren, die zuerst mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, kam es zu einer genauso starken Replikation der Influenza-Viren wie nach einer alleinigen Inokulation mit den Influenza-Viren.

Das Fazit dieser Versuche: Die Influenza-Viren schützten vor einer Infektion mit SARS-CoV-2. Der umgekehrte Weg funktionierte nicht, das heißt eine Infektion mit SARS-CoV-2 schützte nicht vor einer Grippe.

Grafik: Gemini/AdobeStock

Klinische Relevanz unklar

Im Deutschen Ärzteblatt wird dazu angemerkt, dass die klinische Relevanz unklar sei und tierexperimentelle Daten nicht in den klinischen Alltag übertragen werden können. Es wird ferner auf eine unlängst publizierte Studie hingewiesen, die zu dem Ergebnis kam, dass bei einer Koinfektion von SARS-CoV-2 mit Influenza- und Adenoviren die Sterblichkeitsrate steigt. Auch das Science Media Center griff die tierexperimentelle Studie auf und befragte einige Experten zu deren Meinung. Prof. Dr. Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie, Philipps-Universität Marburg, wies darauf hin, dass viele Studien, die sich mit Koinfektionen von Influenza und SARS-CoV-2 beschäftigen, auf höhere Mortalitätsraten hinweisen. Dass obige Studie aber zu einem anderen Ergebnis führt, erklärt Becker folgendermaßen: „Die Grippe versetzt den Organismus des Hamsters quasi in einen antiviralen Status, bei dem nach der Infektion Interferon-stimulierte Gene hochreguliert werden. Für diesen antiviralen Status braucht es noch keine Antikörper. Es ist die natürliche Abwehrreaktion des Körpers auf fremde Organismen oder Stoffe. Diese native Immunantwort hemmt nach den Ergebnissen dieser Studie offenbar SARS-CoV-2 stärker, als es bei Influenza der Fall ist. Es ist bekannt, dass Influenza-Viren Prote­ine kodieren, die die zelluläre Immunantwort sehr effizient unterdrücken.“ Der Experte fügt hinzu, dass ein Hamstermodell aber keine allgemeingültigen Schlüsse für die reale klinische Situation zulasse. Für grundlegende Aussagen zu Koinfektionen brauche es pro- und retrospektive Studien an Menschen, die aber nicht einfach durchzuführen seien. Zudem hätten neue Virusvarianten möglicherweise andere Effekte. Er rät daher, für den Herbst und Winter einen breiten Impfschutz gegen SARS-CoV-2 und ­Influenza aufzubauen, um die Gefahr von möglichen Koinfektionen zu verhindern. Dies gelte vor allem für ältere Menschen. |

Literatur

COVID-19: Koinfektion mit Influenza könnte zu milderem Verlauf führen. Deutsches Ärzteblatt online vom 13. Juli 2022, www.aerzteblatt.de/nachrichten/135905/COVID-19-Koinfektion-mit-Influenza-koennte-zu-milderem-Verlauf-fuehren

Koinfektion mit Influenza könnte SARS-CoV-2 unterdrücken. Informationen des Science Media Center (SMC) vom 12. Juli 2022, www.sciencemediacenter.de

Oishi K et al. The Host Response to Influenza A Virus Interferes with SARSCoV-2 Replication during Coinfection. Journal of Virology 2022, DOI: 10.1128/jvi.00765-22

Swets MC et al. SARS-CoV-2 co-infection with influenza viruses, respiratory syncytial virus, or adenoviruses. Lancet 2022;399(10334):1463-1464, doi: 10.1016/S0140-6736(22)00383-X

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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