Arzneimittel und Therapie

Paxlovid unter Beobachtung

Selektionsdruck fördert Mutanten – AkdÄ fordert weitere klinische Studien

Die zunehmenden Verordnungen von PaxlovidTM – in den USA sind es derzeit mehr als 160.000 pro Woche, im April waren es lediglich 40.000 pro Monat – erhöhen den Selektionsdruck auf das Virus. Bereits jetzt wurden einige Virusvarianten gefunden, die bereits bei infizierten Individuen zirkulieren. Da jeder Infizierte sehr viele Kopien von SARS-CoV-2 erstellt, hat das Virus mannigfache Möglichkeiten, während seiner Replikation verschiedene Mutationen zu testen und Resistenzmechanismen zu entwickeln. Ein in Science veröffentlichter Beitrag weist auf diese Problematik hin.
Grafiken: GEMINI/AdobeStock

Jüngste Studien weisen auf eine beginnende Resistenzentwicklung hin. So zeigen etwa zwei auf BioRxiv, einem Preprint-Server für Biowissenschaften, erschienene Studien, dass SARS-CoV-2 sich rasch der antiviralen Aktivität von Nirmatrelvir entziehen kann. Unter Laborbedingungen wurden nur zwölf Zellpassagen benötigt, um drei Mutationen hervorzurufen – mit dem Ergebnis einer um den Faktor 20 reduzierten Empfindlichkeit auf Nirmatrelvir [1]. In der zweiten Studie wurde eine Mutante gefunden, die nur zwei Mutationen bedurfte, um sich dem Zugriff von Nirmatrelvir zu entziehen. Traten diese zwei Mutationen gemeinsam auf, sank die Empfindlichkeit gegenüber Nirmatrelvir um rund 80% [2].

Die Liste potenzieller Mutationen, die die Resistenzbildung fördern, wächst. So wurde unlängst (ebenfalls auf ­BioRxiv) von 66 Mutationen berichtet, die sich in der Nähe der Nirmatrelvir-Bindungsstelle auffinden – darunter fünf hot-spot-Varianten [3]. Einige dieser Mutationen wurden bereits vor dem breiteren Einsatz von PaxlovidTM beobachtet, andere sind neu. Dies veran­lasste den Studienautor zu der Mutmaßung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Resistenzen auftreten. Zu der Frage, warum es bislang zu keiner auffallenden Resistenzbildung gekommen ist, können derzeit nur Spekulationen geäußert werden. Eine Vermutung liegt in dem insgesamt noch geringen Einsatz von PaxlovidTM. Des Weiteren werden vermutlich multiple Mutationen erforderlich sein, um zu einem therapeutischen Versagen von PaxlovidTM zu führen. Das beobachtete Rebound-­Phänomen nach einer Therapie mit PaxlovidTM scheint nicht mit einer Resistenzbildung erklärbar zu sein.

Foto: picture alliance / abaca

Kombinationen als Alternative?

Eine mögliche Strategie, um Resistenzen zu verhindern, ist die Kombination unterschiedlich angreifender Wirkstoffe. Dieser Weg wird beispielsweise erfolgreich bei der HIV-Behandlung eingeschlagen. Doch welcher Kombinationspartner kommt infrage? Eine Kombination mit Remdesivir wäre wirksam, jedoch in der Praxis nur schwer umzusetzen, da Remdesivir infundiert werden muss. Eine andere Alternative ist Molnupiravir (Lagevrio®) in Kombination mit Nirmatrelvir, die im Tierversuch eine hohe Aktivität zeigte [4].

Bis mehr antivirale Wirkstoffe zur Verfügung stehen, bleibt dem Studienautor zufolge PaxlovidTM die stärkste Waffe, und somit wächst auch die Gefahr, dass seine Wirksamkeit früher oder später nachlässt. Bei seinem Einsatz als Monotherapeutikum ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich das Virus der Wirksamkeit von PaxlovidTM entzieht. „If it can happen, it will happen. And at least according to the latest lab results, it can happen“, so ein Virologe [5].

PaxlovidTM und Lagevrio® – wo liegen die Unterschiede?

Bis mögliche weitere Kombinationspartner gefunden werden, stehen als Oralia lediglich PaxlovidTM und Lagevrio® zur Verfügung: ein Anlass, die beiden Wirkstoffe kurz vorzustellen und auf ihre Unterschiede hinzuweisen. Für beide gilt, dass mit einer möglichst frühen Verabreichung schwere Verläufe und Krankenhauseinweisungen verhindert werden können. Ihre Wirksamkeit wird unterschiedlich bewertet.

  • Lagevrio® (Molnupiravir) ist das orale Prodrug eines synthetischen Nukleosid-Analogons, das als falscher Baustein in die virale RNA eingebaut wird und deren Replikation hemmt.
  • PaxlovidTM ist eine Kombination aus Nirmatrelvir und Ritonavir; Nirmatrelvir ist der erste bedingt zugelassene peptidomimetische Inhibitor der SARS-CoV-2-like Protease (= Nsp5-Protease oder Mpro). Die Kombination mit Ritonavir, einem potenten Inhibitor von Cytochrom P450 3A (vor allem 3A4) und P-Glykoprotein, ermöglicht die perorale Anwendung von Nirmatrelvir mit ausreichend hohem Wirkspiegel. Aufgrund der Ritonavir-Komponente ist jedoch auf zahlreiche klinisch ­relevante Arzneimittelinteraktionen zu achten.

In den Zulassungsstudien beider Präparate wurde die Wirksamkeit bei symptomatischen, nicht hospitalisierten Patienten gezeigt. Ihr möglicher Einsatz orientiert sich auch an unterschiedlichen Parametern, etwa an der Nieren- oder Leberfunktion des Betroffenen sowie an möglichen Wechselwirkungen. So sind bei Vorliegen von Leber- und Nierenfunktionsstörungen unter einer Therapie mit Lagevrio® keine Dosisanpassungen erforderlich, hingegen beim Einsatz von PaxlovidTM. Nehmen Männer Lagevrio® ein, sollten sie während der Therapie und bis zu drei Monate danach kein Kind zeugen. Unter der Einnahme von PaxlovidTM müssen zahlreiche potenzielle Interaktionen beachtet werden. So ist PaxlovidTM kontraindiziert bei gleichzeitiger Einnahme von Wirkstoffen, die durch CYP3A metabolisiert werden oder CYP3A induzieren. Eine Gegenüberstellung wichtiger pharmakologisch-therapeutischer Kriterien für die Anwendung von PaxlovidTM und Lagevrio® wurde von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker zusammengestellt (s. Tab.). Zudem stellt die AMK wichtige Arbeitshilfen zum Wechselwirkungsmanagement bei Therapie mit PaxlovidTM zur Verfügung [6]. Hilfreich ist auch eine im Deutschen Ärzteblatt erschienene Publikation zu dieser Problematik [11].

Tab.: Perorale COVID-19-Arzneimittel. Gegenüberstellung der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker von wichtigen pharmakologisch-therapeutischen Kriterien für die Anwendung von Lagevrio® und PaxlovidTM. (nach: Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker [AMK], Berlin, Stand: 29. Januar 2022 [6])
Merkmal / Variable
Lagevrio®, MSD (Molnupiravir, MK-4482)
PaxlovidTM, Pfizer (Nirmatrelvir [PF-07321332] + Ritonavir)
+/-
Anmerkungen
+/-
Anmerkungen
Zeit (Tage) seit Symptombeginn
max. 5
Einschlusskriterium der Zulassungsstudie
max. 5
Einschlusskriterium der Zulassungsstudie
Alter ≥ 65 Jahre
+
keine Dosisanpassung
+
keine Dosisanpassung
Alter < 18 Jahre
nicht untersucht
nicht untersucht
Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2)
+
keine Dosisanpassung
+
keine Dosisanpassung
Nierenfunktionsstörungen
+
keine Dosisanpassung
(+)
keine Dosisanpassung bei leichter Nierenfunktionsstörung. Dosisreduktion Nirmatrelvir (auf 300 mg/Tag) bei mäßiger Nierenfunktionsstörung, nicht bei schwerer Nierenfunktionsstörung
Dialyse
(+)
nicht untersucht
(+)
nicht untersucht
Leberfunktionsstörungen
+
keine Dosisanpassung
(+)
keine Dosisanpassung bei leichter oder mäßiger Leberfunktionsstörung; nicht bei schwerer Leberfunktionsstörung
weibliches Geschlecht
(–)
nur mit wirksamer Kontrazeption (hormonell + Barriere) und / oder sexueller Abstinenz (für fünf Tage Therapie + vier weitere Tage); ­vorab Schwangerschaftstest im Urin
(+)
Frauen sollten während der Therapie und sieben Tage danach nicht schwanger werden. Cave orale Kontrazeptiva; alternative, wirksame (mechanische) Kontrazeption erwägen oder sexuelle Abstinenz
Schwangerschaft
vorab Schwangerschaftstest im Urin
(-)
nicht empfohlen; es sei denn, die klinische Situation erfordert die Behandlung
Stillen
Stillen nicht empfohlen während Therapie und vier Tage danach
Stillen nicht empfohlen während Therapie und (vorsichtshalber) sieben Tage danach
männliches Geschlecht
(+)
während der Behandlung und für drei Monate danach kein Kind zeugen (ca. 74 Tage; Spermatogenese + Sicherheitszuschlag)
+
Komedikation ­(Wechselwirkungen)
+
bisher keine Hinweise auf Arzneimittelinteraktionen
(-)
zahlreiche Interaktionen mit Ritonavir; s. „Maßnahmen bei Wechselwirkungen unter Paxlovid“
medikamentöse Immunsuppression (wie Glucocorticoide ≥ 20 mg Prednison-Äquivalent, Ciclosporin A, Everolimus, ­Sirolimus, Tacrolimus) nicht pausierbar
+

Einschätzung der AkdÄ

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sieht für die Arzneimittel Nirmatrelvir/Ritonavir (PaxlovidTM) und Molnupiravir (Lagevrio®) den therapeutischen Stellenwert nicht ausreichend geklärt, um einen unkritischen Einsatz bei allen zur Zielpopulation gehörenden Patienten zu rechtfertigen, zu der beispielsweise alle Patienten mit einem Alter ab 60 Jahren unabhängig von Begleiterkrankungen zählen. Die absoluten Werte der Risikoreduktion seien gering, und die Nebenwirkungsprofile müssten besser definiert werden, so die AkdÄ. Darüber hinaus sei die Wirksamkeit der Arzneimittel bei den zurzeit dominierenden Omikron-Varianten von SARS-CoV-2 vollkommen unklar. Auch zum Nutzen der Arzneimittel in der Behandlung von COVID-19 bei geimpften Patienten sei derzeit nichts bekannt. Daher sollten weitere klinische Studien vornehmlich untersuchen, welche Subgruppen von Patienten von den Arzneimitteln profitieren [9].

Wichtige Ergebnisse der ­Zulassungsstudien

MOVe-OUT-Studie für Lagevrio®
Daten aus der Phase-III-MOVe-OUT-Studie zeigen, dass die Gabe von Molnupiravir über fünf Tage (2 × 800 mg/Tag) die Hospitalisierungs- und/oder Sterberate gegenüber Placebo von 9,7% auf 6,8% reduziert. Die Risikoreduktion liegt damit bei rund 30%. Die 1433 Teilnehmer der Studie waren symptomatische, nicht hospitalisierte Patienten mit COVID-19 ohne zusätzlichen Sauerstoffbedarf, die mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf aufwiesen.
Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen unter Molnupiravir gehörten Durchfall, Übelkeit und Schwindel, alle in milder oder mäßig schwerer Ausprägung [7].

EPIC-HR-Studie für PaxlovidTM
Daten aus der Phase-II / III-Studie EPIC-HR zeigen, dass PaxlovidTM das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 89% (Einsatz innerhalb von drei Tagen nach Auftreten der Symptome) beziehungsweise 88% (Einsatz innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome) senkte, wobei in der Behandlungsgruppe keine Todesfälle beobachtet wurden.
An der Studie nahmen 2246 nicht hospitalisierte Erwachsene ab 18 Jahren mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf teil.
Die unerwünschten Ereignisse, die bei der Behandlung auftraten, waren zwischen Verum (23%) und Placebo (24%) ähnlich und meistens leicht ausgeprägt [8].

Kritisch betrachtet wird auch die rasche Zulassung von Molnupiravir. Unter der Überschrift „Molnupiravir’s authorisation was premature“ wurde vor Kurzem im BMJ die MOVe-OUT-Studie kommentiert und die vorschnelle Pressemitteilung des Herstellers zur Zwischenanalyse der MOVe-Out-Studie kritisiert [10]. In dieser wurde eine signifikante 50%ige Reduktion von Hospitalisierung oder Tod durch Molnupiravir aufgeführt. Dies führte in Großbritannien und in den USA zur bedingten bzw. Notfall-Zulassung. Die in der Endauswertung von MOVe-Out publizierte Risikoreduktion war mit rund 30% wesentlich geringer und nur grenzwertig signifikant [9]. |

 

Literatur

 [1] Jochmans et al. The substitutions L50F, E166A and L167F in SARS-CoV-2 3CLpro are selected by a protease inhibitor in vitro and confer resistance to nirmatrelvir. The preprint server for biology, www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.07.495116v1

 [2] Zhou et al. Nirmatrelvir Resistant SARS-CoV-2 Variants with High Fitness in Vitro. The preprint Server for biology, www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.06.494921v1

 [3] Hu Y et al. Naturally occurring mutations of SARS-CoV-2 main protease confer drug resistance to nirmatrelvir. The preprint Server for biology, www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.28.497978v1

 [4] Jeong JH et al. Combination therapy with nirmatrelvir and molnupiravir improves the survival of SARS-CoV-2 infected mice. The preprint Server for biology, www.biorxiv.org/content/10.1101/2022.06.27.497875v1

 [5] Service R. Bad news for Paxlovid? Coronavirus can find multiple ways to evade ­COVID-19 drug. 29. Juni 2022, www.science.org/content/article/bad-news-paxlovid-coronavirus-can-find-multiple-ways-evade-covid-19-drug, doi: 10.1126/science.add7226

 [6] Informationen und Begleitdokumente zu oralen COVID-19-Therapeutika. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), www.abda.de/fuer-apotheker/arzneimittelkommission/hinweise-apotheken/informationen-und-begleitdokumente-zu-covid-19-therapeutika/

 [7] Jayk Bernal A et al., MOVe-OUT Study Group. Molnupiravir for oral treatment of covid-19 in nonhospitalized patients. N Engl J Med 2022;386:509-520, DOI: 10.1056/NEJMoa2116044

 [8] Hammond J et al. EPIC-HR Investigators. Oral Nirmatrelvir for High-Risk, Nonhospitalized Adults with Covid-19. N Engl J Med 2022;386(15):1397-1408, doi: 10.1056/NEJMoa2118542

 [9] Mühlbauer B et al. Zum klinischen Nutzen von Molnupiravir und Nirmatrelvir in der Behandlung nicht hospitalisierter Patienten mit COVID-19 und einem Risiko für einen schweren Verlauf. Arzneiverordnung in der Praxis Band 2022;49(1–2):54-57

[10] Brophy JM. Molnupiravir‘s authorisation was premature. BMJ 2022;376:o443, doi: 10.1136/bmj.o443, PMID: 35241455

[11] Mikus G, Foerster KI, Terstegen T, Vogt C, Said A, Schulz M, Haefeli WE: Oral drugs against COVID-19-management of drug interactions with the use of nirmatrelvir/ritonavir. Dtsch Arztebl Int 2022;119:263-269, DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0152

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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