Die Seite 3

Historisches Datum oder neues Ärgernis?

Dr. Thomas Müller-Bohn, 
DAZ-Redakteur

Am 1. September 2022, an dem Tag, an dem Sie die DAZ in Händen halten sollten, startet das E-Rezept in Westfalen-Lippe. In Schleswig-Holstein läuft der Start ohne die dortige KV. Offiziell sind dort Zahnärzte und Krankenhäuser als elektronische Verordner dabei. Apotheken sollen bundesweit „E-ready“ sein, weil überall E-Rezepte ankommen können. Das ist nicht der ganz große Start, aber eine bedeutende Etappe in der unendlichen Geschichte des E-Rezepts. Doch was ist es für die Apotheken? Ein positives historisches Datum oder ein neues Ärgernis?

Mit einer so umfassenden neuen digitalen Funktion drohen zusätzlicher Stress und neue Fehlerquellen. Internetausfälle legen E-Rezepte komplett lahm. Für die Versorgungssicherheit ist das höchst bedenklich. Trotz Friedenspflicht bringen neue Formvorschriften langfristig neue Retaxsorgen. Den Patienten wird wieder einmal viel zu erklären sein. Das und vieles mehr sind weitere Hürden, die die Apotheken nicht brauchen. Darum ist es nicht traurig, dass alles so lang gedauert hat. Für lange Zeit schien es klug, Gelegen­heiten zur Verzögerung zu nutzen. Doch unter dem Druck der Politik und des Zeitgeistes ist das E-Rezept inzwischen unumkehrbar vorangekommen. Alle Beteiligten sollten einen konstruktiven Weg dafür gefunden haben oder ihn schleunigst suchen. Blockieren nervt jetzt nur noch. Stattdessen gilt es das Beste daraus zu machen, die drohenden Verwerfungen abzuwenden und die Vorteile zu nutzen.

Das gilt besonders für die Apotheken. Ob das E-Rezept der Gamechanger zugunsten der Versender wird, hängt von den Apotheken vor Ort ab. Überall dort, wo E-Rezepte ausgestellt werden, müssen die Apothekenteams jetzt die GKV-Patienten ansprechen und jeder und jedem individuell den passenden Weg zeigen, wie ihr oder sein E-Rezept sicher zur Apotheke vor Ort kommt. Diese persönliche Ansprache und ein praktikables technisches Angebot werden entscheidend sein. Darum ist der heutige Starttermin für die Apotheken so wichtig. Ob es in der Rückschau ein gutes Datum wird, muss sich zeigen. Alles könnte anfangs praktikabler und überzeugender für die Patienten werden, wenn der einfache Übermittlungsweg über die Gesundheitskarte im Apothekenterminal sehr schnell zur Verfügung steht. Langfristig ist dies allerdings auch für die Vor-Ort-Apotheken nicht der Königsweg. Denn der größte Vorteil, den das E-Rezept den Apotheken bringen kann, ist die Möglichkeit, alle Arzneimittel für die Abholung vorzubereiten. Das spart Nerven im Kundengespräch, schafft Zeit für die pharmazeutische Beratung und erübrigt Nachlieferungen. In den Apotheken wird das zu einer grundlegenden Neustrukturierung der Arbeitsabläufe führen. Es entstehen neue Arbeit und zusätzlicher Kommunikationsbedarf im Backoffice, aber die Erleichterung im Handverkauf wird beträchtlich sein. Dann hätte die Digitalisierung tatsächlich einen Nutzen für den Versorgungsablauf. Die Patienten hätten alle Arzneimittel mit einem Gang und die Arbeit im Handverkauf würde pharmazeutischer. Das lässt sich im Prinzip auch beim Papierrezept realisieren. Bis es mit dem E-Rezept geht, wird noch ein weiter Weg.

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