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Wirtschaft

Enorme Preise, geringe Erträge, zu hohes Risiko?

Was Hochpreiser für die Apotheken bedeuten

„Hochpreiser“, also Präparate mit einem Herstellerpreis (ApU) über 1200 Euro, machen den Apotheken mehr und mehr zu schaffen. Oder sehen wir vor allem die Probleme und weniger die Chancen? Beleuchten wir also die Hochpreiser aus verschiedenen, vornehmlich wirtschaftlichen und praxisrelevanten Perspektiven und ermitteln, wie hoch das unternehmerische Risiko wirklich ist. | Von Reinhard Herzog

Blättern wir zwei, drei Ausgaben der Beilage „Neue Arzneimittel“ (monatlich in der Deutschen Apotheker Zeitung) durch: 90 Filmtabletten für 8739,65 Euro (seltene Bluterkrankung), 
1 Durchstechflasche zu 33.764,37 Euro (Methotrexat-Antidot), 1 Durchstechflasche zu 16.315,30 Euro (sehr seltene Krebserkrankung), 60 Filmtabletten für 10.476,07 Euro (ein weiterer Tyrosinkinasehemmer). Bei Neueinführungen sind solche Preise eher die Regel denn die Ausnahme!

4,3 Mio. Rx-Hochpreiser (nur Fertigarzneimittel) zulasten der GKV weisen die Auswertungen des Deutschen Arzneiprüfungsinstitutes e. V. (DAPI) für 2021 aus. Das sind 0,70 Prozent der Rx-Packungen. Ihr Wert beläuft sich auf gut 17 Mrd. Euro zu Brutto-Taxumsätzen, das ist ein Anteil von 37,5 Prozent am Rx-Umsatz mit der GKV. Rund 145.000 ­Packungen überschreiten dabei sogar die Grenze von 10.000 Euro brutto. Um auf den Gesamtmarkt mit Privatverordnungen hochzurechnen, kann man die absoluten Werte in guter Näherung mit einem Faktor von etwa 1,14 multiplizieren (Verhältnis von allen Einwohnern zu den GKV-Versicherten). Somit können wir von fast 5 Mio. Hochpreis-Packungen in deutschen Apotheken ausgehen, statistisch 270 Stück je Betrieb und Jahr, im Wert von etwa 16,5 Mrd. Euro zu Netto-Apothekenverkaufspreisen. Das ergibt einen durchschnittlichen Umsatz je Betrieb von fast 900.000 Euro. In den letzten fünf Jahren hat sich der Hochpreiser-Markt nach Menge um rund 70 Prozent und nach Wert um etwa 90 Prozent erhöht. Viel wichtiger als Umsätze sind jedoch Erträge. Hier schafft es dieses Spezialsegment auf knapp 9 Prozent Anteil am durchschnittlichen Rx-Rohertrag (nicht Gesamtertrag) der Apotheken mit steigender Tendenz. Die üblichen gewährten Einkaufsrabatte sind hier enthalten.

An über 3800 Pharmazentralnummern haftet inzwischen das Etikett „Hochpreiser“, nicht wenige davon werden nur im dreistelligen Bereich bundesweit pro Jahr verordnet. Die sprießenden Biosimilars treiben die Zahl der Präparate nochmals an. Demzufolge erhöhen sich die Anforderungen in der Apotheke an die gewissenhafte, kassenkonforme Auswahl und die Lagerhaltung bzw. Logistik. Letzteres beschäftigt auch den Großhandel.

Schaut man auf die häufiger verordneten Einzelpräparate, ist der Spezialcharakter unverkennbar: Onkologie, Auto­immunerkrankungen und Orphan Diseases dominieren. Aber selbst Augenärzte machen durch die intravitreale Applikation von VEGF-Inhibitoren (Klassiker Lucentis® und Eylea®) von sich reden. Ehemals eher wenig bedeutsame ­Niedrigverordner, haben sie sich auf der Umsatz-Rangliste kräftig hochgearbeitet. Nur: Dieses Beispiel illustriert, dass davon ziemlich wenige Apotheken etwas mitbekommen. ­Augenärzte sind schon nicht allzu zahlreich (6500 ambulant, 2200 davon Angestellte in den Praxen). Und davon verabreichen mitnichten alle diese Antikörper. Und so geht es vielen dieser Spezialpräparate: Sie kommen aus der Feder von hoch spezialisierten Fachärzten. In entsprechenden Ärztehaus-Apotheken machen die teuersten Präparate also noch einmal einen höheren Anteil aus und beeinflussen den dortigen Alltag entsprechend. Die Folge sind teilweise sehr niedrige Handelsspannen von weit unter 20 Prozent netto. Das muss nicht bedeuten, dass diese Betriebe gewinnschwach sind. Am Ende zählen konkrete Euro und weniger die Prozente – siehe Exkurs: Hinter die Erträge geblickt.

Exkurs: Hinter die Erträge geblickt

Beim Blick auf die absoluten Stückerträge relativiert sich die Aussage, dass an Hochpreisern nichts verdient ist (Tabelle 1). Die typischen Großhandelsrabatte machen vor allem im „Medium-Segment“ den Kohl fett. Bei Billigpackungen ist es der Rx-Festzuschlag, der den Stückertrag maßgeblich bestimmt. Im Höchstpreisbereich verblasst wieder die Wirkung eines hier meist als Festbetrag von z.B. 30 Euro gewährten Großhandelsnachlasses, der 3-Prozent-Zuschlag bestimmt den Ertrag. Zusätzlich ist es hier oftmals günstiger, nach Skonti im Rahmen einer Direktbestellung Ausschau zu halten.

Da auch die Krankenkassen um diese Erträge wissen, würden sie am liebsten einen Deckel auf die Hochpreiser-Vergütung legen, ähnlich wie beim Großhandel. Selbst mit z.B. 40 Euro Ertrag könnte jedoch der Versandhandel noch leben. Für die Apotheken wäre das ein zwar nicht existenzbedrohendes, aber doch sehr empfindliches Kürzungsprogramm, es sei denn, man würde die Ersparnis anderweitig ausschütten (z.B. in eine allgemein erhöhte Rx-Packungspauschale). Tatsächlich reden wir von fast 500 Mio. Euro Ertrag, welche der gesetzliche 3-Prozent-Aufschlag im Hochpreissegment ausmacht. Deckelt man z.B. bei 40 Euro plus Beratungspauschale wie bisher, würde das die Kassen (gesetzlich wie privat) um größenordnungsmäßig an die 300 Mio. Euro entlasten. Insoweit ist dieses Segment durchaus ein Politikum, welches in eine kommende Gesundheitsreform einfließen könnte, zumal die Summen im Zuge des weiter rollenden Innovationszuges weiter steigen sollten.

Tab. 1: Ausgewählte Stückerträge vom Niedrig- bis Höchstpreissegment
AEP netto
10 Euro
100 Euro
1.250 Euro
3.250 Euro
20.000 Euro
3-Prozent-Aufschlag
0,30 Euro
3,00 Euro
37,50 Euro
97,50 Euro
600,00 Euro
Festzuschlag GKV
6,86 Euro
6,86 Euro
6,86 Euro
6,86 Euro
6,86 Euro
Rabatt Großhandel*
0,40 Euro
4,00 Euro
30,00 Euro
30,00 Euro
30,00 Euro
= Stückertrag
7,56 Euro
13,86 Euro
74,36 Euro
134,36 Euro
636,86 Euro
… in Prozent (Nettospanne)
43,1 %
12,2 %
5,84 %
3,97 %
3,09 %
= Netto-Verkaufswert
17,56 Euro
113,86 Euro
1324,36 Euro
3.384,36 Euro
20.636,86 Euro
Skonto Direkt-EK min.
(---)
(---)
4,00 %
1,54 %
0,25 %

* marktrealistische Annahme von 4,0 Prozent vom Apothekeneinkaufspreis AEP effektiv nach Ausschlüssen, Spannenausgleich etc. bei Normal-Rx. Bei Hochpreisern Festrabatt; Alternative dort ggf. prozentuale Skonti der Industrie, für das angegebene Mindestskonto ist ein Vorteil von mindestens 20 Euro unterstellt

Was machen Hochpreiser im Alltag?

Es ist nicht zuletzt den teuren Packungen geschuldet, dass Rückforderungen und Beanstandungen der Krankenkassen einen solchen Einschlag haben, mit der Konsequenz eines bisweilen grotesken Kontrollaufwandes in den Apotheken. So erfordern die durchschnittlich 80 bis 90 „Kassenrezepte“ in der „Otto-Normal-Apotheke“ gern einen täglichen zusätzlichen Prüfaufwand am Abend deutlich jenseits einer Stunde, nicht selten auch von teuren Approbierten erbracht. Für einen verhinderten, ansonsten „durchgerutschten“ und ­retaxierten Hochpreiser im Brutto-Taxwert von zurzeit durchschnittlich fast 4000 Euro (Einkaufswert rund 3250 Euro netto, die entscheidende Verlustgröße) kann man schon an die 100 Kontrollstunden aufwenden, bei einem 50/50-Stundenkostenmix aus PTA und Approbierten. Umgekehrt müsste man erst einmal wieder 24 derartige Hochpreis-Packungen anstandslos absetzen, um den Verlust einer Vollretaxation zu kompensieren (Annahme 135 Euro Rohertrag inklusive 30 Euro Großhandelsnachlass). Geht ein Präparat zu 50 Euro Einkaufswert (AEP) durch die Lappen, kompensiert man das mit rund 5 Packungen, bei 7,50 Euro AEP ist das mit der nächsten Packung wieder drin (Abbildung 1). Deshalb lohnt es, die Rezeptnachkontrolle – sofern man nicht aus pharmazeutischen Gründen eine 100-Prozent-Kontrolle anstrebt – rein wirtschaftlich betrachtet in Risikoklassen zu gestalten:

  • 1. Schwelle: wirtschaftlich verschmerzbar und daher keine wirtschaftlich motivierte Kontrolle (Richtwert: 20 Euro Brutto-Taxpreis je Packung, 55 Prozent der Rx-Packungen liegen unter dieser Schwelle),
  • 2. Schwelle: durchschnittliches Kontrollniveau (ab 20 Euro Packungswert),
  • 3. Schwelle: intensivste Prüfung; keine Scheu, im Team bei jedweden Zweifeln Rücksprache zu halten (spätestens mit Erreichen der Hochpreiser-Schwelle von brutto rund 1500 Euro, kann aber auch schon niedriger ab z. B. 250 oder 500 Euro angesetzt werden; Abwägung Verlustrisiko gegen Zeit!).

Individuell können Sie die Schwellen anders definieren. Wenn Sie den wirtschaftlich-risikobasierten Ansatz wählen, sollte sich das schon erheblich bemerkbar machen (z. B. mindestens eine halbe Stunde weniger Aufwand pro Tag, mal 35 Euro je Stunde mal 300 Tage = 5250 Euro jährlich, gerne mehr). Da ist schon einmal eine kleinere Retaxation locker bezahlt. Auch dieses „Kleinvieh“ kann indes ausufern, ein solches Konzept muss also Hand in Hand mit einer sorg­fältigen Arbeit bereits am HV-Tisch gehen. Hochpreiser durchlaufen jedoch stets die höchste Stufe der Prüfung auf formale Fehler. Experimente verbieten sich hier.

Abb. 1: So viele Packungen müssen Apotheken anstandslos 
absetzen, um eine Vollabsetzung wieder zu kompensieren.

Der Versand freut sich …

Man könnte jetzt meinen, Hochpreispräparate sind vor allem Risiko und kaum Chance. Doch ist zu bedenken, dass bei Stückerträgen von zumeist über 100 Euro die gefährlichsten Wettbewerber – nämlich die Versandapotheken – leuchtende Augen bekommen. Das Auf-den-Weg-Bringen eines einzelnen Päckchens kostet bereits rein operativ (ohne Gewinn und Overheadkosten) gern gegen 10 Euro oder sogar etwas mehr. Bei 20 Prozent Marge im Versandhandel mit rezeptfreien Produkten kann man schnell überschlagen, welche Päckchenwerte nötig sind, um überhaupt die Kosten zu ­erwirtschaften. Schon bei einem klassischen Rezept mit zwei Rx-Rezeptpositionen dreht sich das Blatt ins Positive. Ein Hochpreiser ist für den Versand in jedem Fall ein Glücksfall. Eine stringente Prozessführung minimiert das Verlustrisiko, und bei diesen Stückerträgen ist sogar ein temperaturgeführter Transport gegebenenfalls drin.

Schlussfolgerungen

Hochpreis-Arzneimittel sind in mehrerlei Hinsicht ein „heißes Eisen“. Für die Krankenkassen stellen sie sich als hochdynamisch entwickelnder Kostenblock dar. Rund 6,5 Prozent der GKV-Leistungsausgaben entfallen heute auf dieses Segment (ohne Kliniken). Die Therapiekosten enteilen in teils abenteuerliche Dimensionen. Ein Reformbedarf ist ­unverkennbar. Die Frage, was welcher therapeutische Fortschritt kosten darf, steht wie der weiße Elefant im Raum. Vor Antworten schreckt man aus nachvollziehbaren Gründen (noch) zurück. So wird man es einstweilen bei den bekannten „Kostendämpfungsmaßnahmen“ in Form von Sonder­abschlägen und -rabatten belassen.

Die Apotheken stehen in dieser Wertschöpfungskette mit gut 3 Prozent Anteil am Ende (allein der Staat profitiert mit 16 Prozent Mehrwertsteueranteil am Endverkaufspreis), können aber indirekt durch Absenkung des (Listen-)Preisniveaus getroffen werden. Ihr Hauptproblem besteht indes darin, dass Ertrag und Risiko in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. Es wäre somit vorrangig darauf hinzuarbeiten, die Apotheken aus der Haftung für die überbordenden Herstellerpreise herauszunehmen und ihr Risiko auf ihren Wertschöpfungsanteil, allenfalls den Vertriebsanteil insgesamt (also einschließlich Großhandelsaufschlag, der ja zum Teil zugunsten der Apotheken rabattiert wird) zu begrenzen. Praktisch vor Ort heißt es bis dahin: Hochpreis-Medikamente sind ein „heißes Eisen“, welches man mit „Schutzhandschuhen“ anfasst, aber nicht einfach ziehen lässt. Einige Handreichungen finden Sie im Kasten „Praktische Handling-Tipps“.

Praktische Handling-Tipps

  • Hochpreiser sind Wertgegenstände, vergleichbar mit einer teuren Uhr oder hochwertigem Schmuck, bisweilen gar der Gegenwert eines Mittelklasse-Pkw. Schauen Sie einmal, wie ein Juwelier mit seiner Ware umgeht und wie es demgegenüber in Ihrer Apotheke gehandhabt wird. Stichworte: Präparate auf dem Nachlieferbrett auch über Nacht, achtloses Einlagern im Kommissionierautomaten, mechanisches Handling, Thema Botendienst = im Grunde ein Werttransport. Welche Verluste wären, unter welchen Bedingungen, von Ihrer Apotheken-Versicherung gedeckt?
  • Augen auf vor der Packungsabgabe – was zwar immer gelten sollte, trifft hier besonders zu. Jedem sollte ein teures Präparat sofort auffallen, indem er grundsätzlich ein Auge auf den Preis hat – und sich im Zweifelsfall über die Abgabe- und ­Erstattungsmodalitäten im Team rückversichert. Sorgfalt geht vor Schnelligkeit!
  • Hochpreiser an Lager nehmen? Apotheken mit Spezial-Fachärzten im Umfeld können in Einzelfällen bei stabilem Verordnungsgeschehen darüber nachdenken. Die eine oder andere (Hochpreis-)Packung entschwindet in Fachärztehäusern gern in Richtung heimischer Stammapotheke, weil die Facharzt-Patienten aufgrund der bisweilen beträchtlichen Entfernung zum Wohnort nicht mehr wiederkommen möchten und auch ein Botendienst dann grenzwertig ist. Die immer zahlreicheren Biogenerika machen die Bevorratung allerdings nicht ­gerade leichter. Sinn macht das nur, wenn die Packungen nicht lange liegen (allenfalls wenige Wochen).
  • Wertesenke „Kühlschrank“: Viele Hochpreis-Präparate konzentrieren sich dort. Es sollte sich herumgesprochen haben, dass Zuverlässigkeit, konsequentes Temperaturmonitoring mit Fernabfrage- und Warnoption und idealerweise ein Schutz gegen Stromunterbrechungen viel Ärger und wirtschaftlichen Schaden verhindern können.
  • Direkt oder Großhandel? Der Großhandel bietet meist einen Festrabatt je Hochpreiser-Packung – z.B. 30 Euro – an, eine leicht kalkulierbare Sache. Bisweilen wird aber dieser Rabatt im Höchstpreisbereich ab einer gewissen Grenze weiter ­gekappt. Bei Direktbestellungen winken jedoch, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher, Skonti teils jenseits 1 Prozent. Jeder Mitarbeitende sollte das sofort kurz überschlagen können! Die Differenz kann leicht etliche zehn Euro und mehr ausmachen, sodass sich die Direktbestellung lohnt. Patienten sind meist eine gewisse Lieferzeit gewohnt.
  • Hochpreiser können je nach Großhandelsvereinbarungen empfindlich auf die Retourenquote durchschlagen und so ­indirekt einigen „Schaden“ anrichten. Finden Sie ein Übereinkommen mit dem Großhandel, wie sie Hochpreiser abseits der normalen Quote behandeln.

Unter versorgungspolitischen Aspekten macht es einen denkbar schlechten Eindruck, wenn Patienten drei oder vier Apotheken abklappern müssen, bevor sich jemand eines ­teuren Präparates „erbarmt“. So leicht sollten Sie es unseren Hauptkonkurrenten gerade in Holland nicht machen – die lauern nur auf ihre Chance, Stichwort E-Rezept. Oder es ist schlicht die vollversorgende, oftmals damit marktführende Vor-Ort-Apotheke gegenüber, die konsequent das gesamte Leistungsspektrum abdeckt und Risiken klug managt, statt sie zu scheuen. |

Autor

Apotheker Prof. Dr. Reinhard Herzog, Tübingen

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