Arzneimittel und Therapie

Kampf dem plötzlichen Kindstod

Säuglinge versterben dank klarer Empfehlungen seltener

Die Zahl der Neugeborenen, die während ihres ersten Lebensjahres bei augenscheinlich völliger Gesundheit im Schlaf sterben, sank in den letzten Jahren um etwa 90 Prozent auf ca. 2 von 10.000. Ein Grund dafür ist die Identifizierung verschiedener Risikofaktoren, die zu entsprechenden Empfehlungen geführt haben.

Der plötzliche Kindstod, auch als plötzlicher Säuglingstod oder (engl.) sudden infant death syndrome (SIDS) bezeichnet, ist definiert als der rasche, unerwartete Tod eines Kindes im ersten Lebensjahr, meistens während des Schlafs, bei dem

  • sich aus der Auffindesituation und der äußeren Besichtigung des Körpers keine Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod ergeben,
  • auch die Obduktion nach definiertem wissenschaftlichem Protokoll keine Hinweise auf eine Todesur­sache liefert.

Die meisten SIDS-Fälle treten in den ersten fünf Lebensmonaten auf. Vereinzelt kann es aber auch noch nach dem ersten Lebensjahr dazu kommen [1]. Die Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI) verweist in einer Leitlinie darauf, dass die Empfehlungen zur Vorbeugung des plötzlichen Kindstods bereits in den ersten Lebensstunden – bei Entbindung in einer Geburtsklinik also noch im Kreißsaal – zu beachten sind [2].

Foto: famveldman/AdobeStock

Sudden infant death syndrome (SIDS). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes starben im Jahr 2020 in Deutschland 84 Säuglinge an SIDS. Deshalb ist es nach wie vor unerlässlich, dass Eltern Informationen über SIDS-Risikofaktoren und Präventionsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden – und zwar beiden Elternteilen, wie es beispielsweise die britische Wohltätigkeitsorganisation „The Lullaby Trust“ eindringlich fordert [11, 12].

Noch kein Biomarker in Sicht

Als Ursachen des plötzlichen Kindstods wurden in den letzten Jahren verschiedene äußere und innere Faktoren bestimmt. Dennoch existiert bislang noch keine diagnostische Methode, die mit ausreichender Spezifität und Sensitivität besonders gefährdete Kinder identifizieren könnte. Möglicherweise wird in Zukunft eine solche Methode gefunden, denn zahlreiche Forschergruppen sind auf diesem Gebiet aktiv. Ein potenzieller Biomarker könnte die Butyrylcholinesterase (BChE) sein. Dieses Enzym baut neben der Acetylcholinesterase den Neurotransmitter Acetylcholin im parasympathischen Nervensystem ab. Eine australische Arbeitsgruppe hat im Mai dieses Jahres die Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht, wonach bei Kindern, die an SIDS verstorben waren, die Aktivität dieses Enzyms deutlich niedriger lag als bei Non-SIDS-Kindern. Die niedrige BChE-Aktivität bestand bereits zum Zeitpunkt der Geburt, da die Forscher Blutproben verwendet hatten, die den Babys zur Verwendung für das Neugeborenen-Screening aus der Ferse entnommen worden waren [3].

Vielfältige Ursachen diskutiert

Zu den möglichen endogenen Ursachen für den plötzlichen Kindstod zählen eine gestörte Funktion des Atemzentrums, Sauerstoffmangel unter der Geburt, Frühgeburt, schwere Erweckbarkeit der Kinder oder auch Entero­viren, die Herzmuskelentzündungen oder Herzrhythmusstörungen hervorrufen können [4, 5]. Als eine exogene Ursache werden gelegentlich Impfungen im Säuglingsalter diskutiert. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts konnte bisher in umfangreichen Studien kein Zusammenhang zwischen SIDS im ersten Lebensjahr und verschiedensten Impfstoffen nachgewiesen werden [6].

„3-R-Regel“ für die Beratung

Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre konnten verschiedene Risikofaktoren wie das Schlafen in Bauchlage, Rauchen und Überwärmung des Säuglings beim Schlafen aufdecken, die Eingang in Empfehlungen zur Primärprävention des plötzlichen Kindstods gefunden haben. Die minimalistische Variante dieser Empfehlungen ist die „3-R-Regel“ mit den Merkmalen „Rückenlage – Rauchfrei – Richtig gebettet“, die zukünftigen Eltern auch in der Apotheke als Faustregel mitgegeben werden kann [4].

Weitere wichtige Tipps

Ausführlichere Empfehlungen finden sich beispielsweise in einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Sie gelten als gesichert und sollten den Eltern aller Neugeborenen zugänglich gemacht werden [1]. Hier sind folgende Tipps zu finden:

Rückenlage: Legen Sie Ihr Kind zum Schlafen auf den Rücken auf eine feste Unterlage.

Raumtemperatur: Vermeiden Sie Überwärmung: Während der Nacht ist eine Raumtemperatur von 18 °C optimal. Späte Frühgeborene oder hypotrophe Reifgeborene können leichter auskühlen, so dass bis zu einem Körpergewicht von 4 kg zunächst eine höhere Raumtemperatur sinnvoll sein kann. Im Zweifelsfall fühlen Sie zwischen den Schulterblättern, ob sich die Haut warm, aber nicht verschwitzt anfühlt: Dann ist es Ihrem Kind weder zu warm noch zu kalt.

Schlafsack: Anstelle einer Bettdecke empfiehlt sich die Verwendung eines Baby-Schlafsacks in altersentsprechender Größe. Falls Sie keinen Schlafsack verwenden möchten, achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht mit dem Kopf unter die Bettdecke rutschen kann, indem Sie es so ins Bett legen, dass es mit den Füßen am Fußende anstößt.

Richtig gebettet: Verzichten Sie auf Kopfkissen, Fellunterlagen, „Nestchen“, gepolsterte Bettumrandungen und größere Kuscheltiere, mit denen sich Ihr Kind überdecken könnte, und wickeln Sie es zum Schlafen nicht fest ein (Swaddling). Die Empfehlung zur Vermeidung des Swaddlings während des Schlafes basiert auf einer Metaanalyse, die dafür, vor allem in Verbindung mit Bauch- oder Seitenlage, eine deutliche Erhöhung des SIDS-Risikos fand [7].

Schlafumgebung: Lassen Sie Ihr Kind bei sich im Zimmer, aber im eigenen Kinderbett schlafen; dies gilt vor allem für die ersten drei Lebensmonate und wenn die Eltern Raucher sind.

Rauchfrei: Achten Sie auf eine rauchfreie Umgebung für Ihr Kind, auch schon während der gesamten Schwangerschaft.

Stillen: Stillen Sie im 1. Lebensjahr, solange es Ihnen möglich ist.

Schnuller: Bieten Sie Ihrem Kind zum Schlafengehen einen Schnuller an. Wenn es eingeschlafen und der Schnuller herausgefallen ist, sollte er jedoch nicht erneut in den Mund geschoben werden. Die Vermutung, dass eine frühzeitige Verwendung des Schnullers den Stillerfolg bedrohen könnte, wurde in einem Cochrane-Review nicht bestätigt [8]. Sie war jedoch in zwei Studien mit einer 29%igen bzw. 61%igen SIDS-Risikoreduktion verbunden [9, 10].

Nach der Geburt: Da SIDS bereits in den ersten Stunden nach der Geburt auftreten kann, sollten Eltern stets auf freie Atemwege bei ihrem Neugeborenen achten, beispielsweise auch beim initialen Bonding, bei dem das Neu­geborene häufig in Bauchlage auf der Brust der Mutter liegt. |

Literatur

 [1] Prävention des Plötzlichen Säuglingstods. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), Stand 09/2017, AWMF Nr. 063-002

 [2] Betreuung von Neugeborenen in der Geburtsklinik. S2k-Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI) und weiterer Fachgesellschaften, Stand 03/2021AWMF Nr. 024-005

 [3] Harrington CT et al. Butyrylcholinesterase is a potential biomarker for Sudden Infant Death Syndrome. eBioMedicine 2022, 80: 104041, online publiziert am 6. Mai 2022

 [4] Ein schmerzliches Thema: Der Plötzliche Kindstod. https://www.kindergesundheit-info.de/, Hrsg.: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Abruf am 16. September 2022

 [5] Plötzlicher Kindstod. DocCheck Flexikon, https://flexikon.doccheck.com/de/Pl%C3%B6tzlicher_Kindstod?utm_source=www.doccheck.flexikon&utm_medium=web&utm_campaign=DC%2BSearch, Abruf am 16. September 2022

 [6] Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen/Impfkomplikationen mit tödlichem Verlauf. In: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit – Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 1/2020, www.pei.de

 [7] Pease AS et al. Swaddling and the risk of Sudden infant death syndrome: A meta-analysis. Pediatrics 2016, 137:e20153275.

 [8] Jaafar SH et al. Effect of restricted pacifier use in breastfeeding term infants for increasing duration of breastfeeding. The Cochrane database of systematic reviews 2016:Cd007202.

 [9] Hauck FR et al. Do pacifiers reduce the risk of sudden infant death syndrome? A meta-analysis. Pediatrics 2005, 116:e716–723.

[10] Vennemann MM et al. Modifiable risk factors for SIDS in Germany: results of GeSID. Acta paediatrica 2005, 94:655–660.

[11] Ergebnisse der Todesursachenstatistik für Deutschland - Ausführliche vierstellige ICD10-Klassifikation – 2020, erschienen am 29. November 2021, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, https://www.destatis.de/, Abruf am 16. September 2022

[12] The Lullaby Trust, https://www.lullabytrust.org.uk/babies-at-increased-risk-of-sids-during-covid-pandemic-as-survey-shows-less-than-a-third-of-dads-shown-how-to-sleep-their-baby-safely/

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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