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Die Seite 3
Was zu beweisen wäre
Brot vom Vortag gibt es meist für die Hälfte des Preises, denn wer Anreize schafft, kann den Absatz von Ladenhütern fördern. Diese Regel der freien Marktwirtschaft ist inzwischen leider auch im Gesundheitswesen angekommen. Bei den OTC-Arzneimitteln gelten seit fast zwei Jahrzehnten keine festen Preise mehr, und so liegt es an den Apotheken zu kalkulieren – und meistens zu rabattieren, weil sie sich dem Wettbewerb ausgeliefert fühlen.
Für verschreibungspflichtige Präparate hingegen existieren eigentlich noch feste Erstattungspreise. Damit soll eine Überlastung der Solidargemeinschaft verhindert werden. Außerdem sollen die Arzneimittel streng nach medizinischem Nutzen ausgewählt werden und nicht nach irgendwelchen monetären Vorteilen, vor allem aus dem Blickwinkel der verordnenden Ärztinnen und Ärzte.
Karl Lauterbach sprach sich als Berater von Ex-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt für die Freigabe der OTC-Preise aus. In seiner aktuellen Funktion selbst als Minister hat er kurzerhand auch das zweite Tabu gebrochen. Und das kam so: Eine Million Packungen des COVID-19-Arzneimittels Paxlovid liegen wegen ihm auf Halde. Mehr als einem Viertel davon droht Anfang 2023 der Verfall. Die Ärztinnen und Ärzte waren bei den Verschreibungen bisher zurückhaltend. Eingesetzt werden soll Paxlovid nämlich nur bei Patienten mit einem hohen Risiko für schwere Verläufe und das möglichst innerhalb der ersten fünf Tage nach Beginn der Symptome. Hunderttausende der 500 Euro teuren Packungen könnten also unverbraucht in die Tonne wandern und damit zum persönlichen Desaster des Ministers werden.
Um das zu verhindern, hat sich Karl Lauterbach der einfachsten Regel der freien Marktwirtschaft bedient: Absatzförderung durch Anreizschaffung. Mitte August übertrug der Minister den Ärztinnen und Ärzten im Fall von Paxlovid das Dispensierrecht. Als Aufwandsentschädigung winken 15 Euro. Das wirkt offenbar. Aus Statistiken des Bundesgesundheitsministeriums geht hervor, dass der pharmazeutische Großhandel bereits eine Woche nach Inkrafttreten dieses Irrsinns mehr als die dreifache Menge an Paxlovid-Therapieeinheiten ausliefern musste (S. 12). Wer die Arzneimittel tatsächlich an die Patienten abgibt – ob die Arztpraxen direkt oder die Apotheken nach Vorlage eines Rezepts – geht aus den Zahlen nicht hervor. Genauso wenig, ob Paxlovid in jedem Fall medizinisch indiziert ist und ob das ausgeprägte Interaktionspotenzial, die Förderung der Resistenzentwicklung und die Lagerungsbedingungen immer ausreichend Beachtung finden. Doch klar ist, dass die Einführung der Paxlovid-Prämie den Verbrauch signifikant angekurbelt hat und damit eine Steilvorlage für weitere Untersuchungen darstellt. Denn sollte sich zeigen, dass die Brot-vom-Vortag-Methode die sichere Versorgung gefährdet, könnte ein (weiterer) Beweis erbracht werden, wie wichtig es ist, monetäre Anreize aus dem Arzneimittelsystem herauszuhalten und für eine klare Trennung zwischen Verordnung und Abgabe zu sorgen.
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