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Diskussion um Haltbarkeit von Paxlovid

FFQM fordert Follow-up-Stabilitätsprüfung statt Vernichten

daz | Ende 2021 hatte das Bundes­gesundheitsministerium große Mengen des COVID-19-Arzneimittels Paxlovid® bestellt. Ein Großteil der Packungen liegt noch beim Pharmagroßhandel, da die Ärzte das Arzneimittel nur zurückhaltend verordneten. Nun droht ihnen der Verfall und es stellt sich die Frage, wie man mit den Packungen verfahren soll. Die Frankfurt Foundation Quality of Medicines (FFQM) hat sich zu dieser Frage positioniert und ein Statement verfasst, das wir im Folgenden abdrucken. Die Forderung der Stiftung: Follow-up-Stabilitätsprüfung statt Vernichten abgelaufener Packungen.

Für Arzneimittel zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie wurden sowohl von der US-FDA als auch von der europäischen Arzneimittelagentur EMA beschleunigte Verfahren initiiert und in Europa eine „bedingte Zulassung“ („Conditional Marketing Authorisation“) bzw. in den USA eine sog. „Not­zulassung“ („Emergency use authorization“) erteilt. Ziel war es, möglichst zeitnah wirksame therapeutische Möglichkeiten für besonders gefährdete Patienten zur Verfügung zu stellen, um diese im Falle einer COVID-19-Infektion effizient behandeln zu können. Deshalb wurde Paxlovid® im Januar 2022 von der US-FDA und der EMA nach kurzer Entwicklungszeit zugelassen.

Foto: abaca/Picture Alliance

Kurz vor dem Verfall sind aktuell „hunderttausende“ Packungen Paxlovid®. Sie zu vernichten, ist aus Sicht des FFQM allerdings der falsche Weg.

Angesichts der raschen Entwicklung mit parallel durchgeführten klinischen Prüfungen konnten die Unter­su­chun­gen zur Lagerstabilität bis zur Markteinführung nur einen relativ kurzen Zeitraum umfassen. Entsprechend waren auch die Haltbarkeits­fristen für die zur Vermarktung freigegebenen Chargen auf zunächst nur neun Monate in den USA bzw. zwölf Monate in Europa begrenzt. Der pharmazeutische Unternehmer wurde im Rahmen der „bedingten“ Zulassung von der EMA verpflichtet, weitere Stabilitätsuntersuchungen durchzuführen mit anfangs sogar monatlichen Prüfungen.

Nach einschlägigen Medienberichten hatte die Bundesregierung Ende 2021 vorsorglich eine große Menge des Fertigarzneimittels Paxlovid® bevorratet, von denen nach einer Meldung der Ärzte Zeitung vom 13. September 2022 „erst rund 64.000 Einheiten ausgeliefert wurden und noch mehr als 600.000 Packungen im Pharmagroßhandel liegen“. Darunter befanden sich offenbar zum Teil auch solche Packungen, die ursprünglich für die klinische Prüfung vorgesehen waren, wie aus dem Umstand abzuleiten ist, dass auf den Packungen noch die während der Entwicklung übliche Prüfnummer des neuen antiviralen Wirkstoffs (Kombi­nationspartner des schon lange bekannten Ritonavir) angegeben wurde und nicht der inzwischen festgelegte interna­tionale Frei­name Nirmatrelvir.

Aus Äußerungen in öffentlichen Diskussionen (wie beispielsweise Fernseh-Talkshows) wurde bekannt, dass auch die für Deutschland gekauften Paxlovid®-Packungen nur eine relativ kurze Laufzeit aufweisen, die angeblich bereits im Februar 2023 ablaufen würde. Dies konnten wir inzwischen anhand von am Markt besorgten Packungen verifizieren, wobei diese mit 11/2022 bzw. 01/2023 sogar noch frühere Verfalldaten („Expiry Date“) aufwiesen.

In der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ am 2. September 2022 wurde festgestellt, dass angesichts des Ablaufs der Haltbarkeitsfrist „hunderttausende“ der noch nicht für die Therapie von Patienten eingesetzten Packungen vernichtet werden müssten. Eine solche Konsequenz muss jedoch aus Sicht der pharmazeutischen Wissenschaften nicht zwangsläufig resultieren. Vielmehr erlauben die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Zulassung von Fertigarzneimitteln durchaus eine alternative Vorgehensweise, die nachfolgend beschrieben und für den „Paxlovid®-Fall“ empfohlen werden soll.

Untersuchungen zur Lagerungsstabilität

Die Stabilität eines Fertigarzneimittels muss vom pharmazeutischen Unternehmen über die gesamte geplante Verwendungsdauer durch experimentelle Untersuchungen belegt werden. Dabei werden Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen angewendet, die für die relevanten Klimazonen repräsentativ sind. Außerdem werden Untersuchungen unter Stressbedingungen („accelerated stability tests“) durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Prüfungen werden mit der Zulassungsdokumentation den Behörden eingereicht und nach entsprechender Überprüfung zur Festlegung der Verwendungsdauer zugrunde gelegt. Die Untersuchungen zielen auf chemische, physikalische und mikrobiologische Instabilitäten der Arzneiform sowie der enthaltenen Arzneistoffe ab. Besonderes Augenmerk wird darüber hinaus auf die Wirkstofffreisetzung gelegt, da deren Veränderung während der Lagerung zu einer Beeinflussung der Bioverfügbarkeit und als Folge dessen zu einer Beeinträchtigung der Wirksamkeit der Produkte führen könnte. Ziel der Untersuchungen ist in den meisten Fällen, eine Haltbarkeit über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zu belegen. Bisweilen reicht aber die Spanne vom Zeitpunkt der Entwicklung der Marktformulierung bis zur Einreichung des Zulassungsdossiers nicht aus, um einen solch langen Zeitraum durch Ergebnisse aus entsprechenden Langzeitstabilitätstests zu belegen. In solchen Fällen wird für das Produkt bei der Zulassung zunächst eine kürzere Haltbarkeitsfrist festgelegt, die jedoch später durch Befunde aus weiterführenden („Follow-up“) Stabilitätstests entsprechend verlängert werden kann.

Eine solche Fristverlängerung ist ein übliches und allgemein anerkanntes Vorgehen, welches z. B. auch im Rahmen klinischer Prüfungen häufig(er) zur Anwendung kommt.

Insofern stellt die Situation bei Pax­lovid® keineswegs einen völlig ungewöhnlichen Sonderfall dar. Dieser hat jedoch, anders als andere Fälle, wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Entwicklung von Therapeutika zur Behandlung von COVID-19 den Weg in die öffentliche Diskussion und Berichterstattung gefunden.

Follow-up-Stabilitätsprüfung

Zum Zulassungszeitpunkt können für manche Arzneimittel aufgrund noch nicht ausreichender Daten für eine Bewertung der Langzeitstabilität durch die Behörden zunächst nur kürzere Laufzeiten akzeptiert werden, die später jedoch auf der Basis von Daten aus weiterführenden Stabilitätsuntersuchungen verlängert werden können.

Ein solches Vorgehen wurde von der EMA bei der „bedingten Zulassung“ von Paxlovid® in der EU explizit dem pharmazeutischen Unternehmen auferlegt und zusätzlich gefordert, dass noch weitere Aspekte untersucht werden sollten, z. B. im Hinblick auf mögliche Abbauprodukte.

Insofern ist festzuhalten, dass dieses Vorgehen keineswegs so etwas wie eine „Lex Paxlovid®“ darstellt, sondern durchaus einem üblichen Prozedere entspricht.

Laufzeitverlängerung in Europa – Konsequenz für Deutschland

Inzwischen liegen den Behörden offenbar Ergebnisse aus Follow-up-Langzeitstabilitätstests zu Paxlovid®-Tabletten vor, die eine Laufzeitverlängerung rechtfertigen. Das geht jedenfalls aus entsprechenden Veröffentlichungen einiger Zulassungsbehörden hervor, z. B. von der US-FDA, der englischen MHRA, der australischen TGA oder von Health Canada.

Auch die EMA hat mit einer Notiz vom 4. Oktober 2022 eine Verlängerung der Laufzeiten auf 18 Monate angekündigt. Während dies in den anderen Regionen allerdings unter expliziter Nennung ganz spezifischer Chargen des Fertigarzneimittels geschah, war die Meldung der europäischen Arzneimittelagentur allgemeingültig gehalten, betrifft also nicht nur einzelne Chargen des Fertigarzneimittels.

Da Paxlovid® in der EU über ein zentrales Verfahren zugelassen wurde, gilt die Entscheidung unmittelbar für alle Mitgliedstaaten, also auch für Deutschland.

Stichprobentests am Markt

Angesichts der öffentlichen Diskussion in deutschen Medien zur Frage der nur noch kurzen Haltbarkeitsfrist bei den von der Bundesregierung besorgten Paxlovid®-Chargen hat sich die Frankfurt Foundation Quality of Medicines bereits im September – also schon im Vorfeld der Bekanntmachung der EMA – mit der Frage eines adäquaten Umgangs mit dem zeitnahen Verfallsdatum beschäftigt. Dabei ging es darum, zunächst den aktuellen Status der Qualität von Tabletten am Markt zu analysieren. Dies erschien uns wichtig, da angesichts der bislang nur relativ kurzen Dauer der Stabilitätsuntersuchungen bei der Festlegung der Laufzeit im Zulassungsverfahren zur Sicherheit spezielle Lagerungshinweise angeordnet wurden, nämlich „Nicht über 25°C lagern“ sowie „Nicht im Kühlschrank lagern oder einfrieren“.

Angesichts des extrem heißen Sommers in diesem Jahr mit langen Phasen von deutlich über 30°C könnte es evtl. möglich sein, dass diese Temperatur­bedingungen nicht in jedem Fall kontinuierlich eingehalten werden konnten. Um die aktuelle Situation einschätzen zu können, haben wir ein analytisches Labor, das über die technischen Möglichkeiten einer hoch-sensitiven und -selektiven HPLC-MS/MS-Analyse verfügt, gebeten, Paxlovid®-Tabletten von zwei verschiedenen Chargen (eine mit Verfalldatum 11/2022 und eine mit Verfalldatum 01/2023) auf den aktuellen Wirkstoffgehalt und eventuelle Abbauprodukte zu überprüfen.

Erfreulicherweise zeigen die inzwischen vorliegenden Ergebnisse aus dieser Status-quo-Analyse weder Hinweise auf eine Abnahme des Gehalts an Nirmatrelvir noch auf erhöhte Mengen an Abbauprodukten. Die Befunde sollen zeitnah im Detail publiziert werden.*

Die aktuelle Qualität von Tabletten am Markt unterstützt also trotz der Unsicherheit aufgrund der extremen Temperaturbedingungen im vergangenen Sommer die Annahme, dass diese immer noch den Anforderungen entspricht. Insofern unterstützen diese „Real-life“-Befunde eine Neufestlegung des Verfalldatums aufgrund der Follow-up-Stabilitätsuntersuchungen beim Hersteller, die offenbar Grundlage für die EMA-Mitteilung über die Laufzeitverlängerung gewesen sind. Diese sollten jedoch auch auf bereits an den pharmazeutischen Großhandel, an Apotheken oder an Arztpraxen ausgelieferte Packungen übertragbar sein.

Empfehlungen für die Umsetzung

Während die Umsetzung der verlängerten Haltbarkeit beim Hersteller wenig problematisch sein sollte (z. B. bei neuen Produktionschargen), stellt sich dies für die bereits an die Verteilungsstellen ausgelieferten Packungen schwieriger dar. Diese müssten mit dem aktualisierten Verfalldatum umetikettiert werden, ohne die Chargenbezeichnung zu verändern. Dies ist kein grundsätzlich ungewöhnlicher Prozess – er ist im Rahmen klinischer Prüfungen durchaus Routine –, allerdings sollten die Arbeiten auf der Basis entsprechender Instruktionen von pharmazeutischem Personal vorgenommen und adäquat dokumentiert werden.

Besonders schwierig ist dabei, dass die Änderungen nicht nur auf dem äußeren Umkarton (Sekundärverpackung) vorgenommen werden müssen, sondern in gleicher Weise auch auf den darin befindlichen Blisterstreifen (Primärverpackung). Zu diesem Zweck ist eine Öffnung der Sekundärverpackung erforderlich, die jedoch durch eine Verklebung verschlossen ist, um evtl. Manipulationen zu verhindern (Originalitätsverschluss). Nach erfolgter Änderung des Verfalldatums auf den Blisterstreifen, müssen die Packungen wieder so verschlossen werden, dass unbefugtes weiteres Öffnen der Verpackung verhindert bzw. leicht erkennbar wird. Hierzu sollte die Packung mit einem Siegelstreifen gesichert und mit einem entsprechenden Hinweis auf die vorgenommene Änderung versehen werden. Dies entspricht im Übrigen einem in der Apothekenroutine durchaus üblichen Prozess, nämlich der stichprobenartigen Überprüfung von Fertigarzneimitteln, die ebenfalls eine entsprechende Dokumentation erfordert und bei der die Packungen anschließend mit einem Klebeetikett mit z. B. dem folgenden Hinweis wieder verschlossen werden: „Diese Packung wurde von Ihrem Apotheker zum Zweck einer routinemäßigen Kontrolle der Arzneimittelqualität geöffnet.“

Fazit

Die von den Behörden angekündigte Verlängerung der Laufzeit von Paxlovid® wird durch die Stichproben-Untersuchungen zum aktuellen Gehalt von zwei Chargen am Markt mit nur noch kurzer Laufzeit gestützt. Wie in anderen Ländern (z. B. USA, Kanada, Australien) praktiziert, sollte einer solchen Laufzeitverlängerung auch bei den bereits produzierten Chargen und ausgelieferten Packungen nichts entgegenstehen. Dafür müssten diese durch entsprechend instruiertes pharmazeutisches Personal umetikettiert werden, womit natürlich ein Aufwand verbunden ist, der entsprechend kompensiert werden müsste. Vor diesem Hintergrund halten wir ein Vernichten der in Deutschland an Apotheken oder Arztpraxen bereits ausgelieferten Packungen bei Ablauf der ausgewiesenen Haltbarkeitsfrist nicht für zwingend erforderlich. |

Prof. Dr. Henning Blume, Vorstands­vorsitzender der Frankfurt Foundation Quality of ­MedicinesProf. Dr. Peter Langguth, Universität MainzProf. Dr. Werner Weitschies, Universität GreifswaldKorrespondenz: Prof. Dr. Henning Blume, ­­www.frankfurt-foundation.org

 

* Wir danken Frau Professor Dr. Ulrike Holzgrabe, Universität Würzburg, und Herrn Professor Dr. Fritz Sörgel, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung IMBP, Nürnberg-Heroldsberg, für die Vorabinformation über die Ergebnisse der Untersuchung.

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