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Arzneimittel und Therapie
Paxlovid – wie stabil ist es eigentlich?
Stichproben-Prüfungen untermauern Sicherheit der neuen Haltbarkeitsangaben
Gegen das sich seit knapp drei Jahren schnell ausbreitende Corona-Virus war es dringend erforderlich, neben Impfstoffen Virustatika zu entwickeln. Mit Paxlovid®, einer Kombination aus Nirmatrelvir und Ritonavir, kam im Januar 2022 ein Arzneimittel zur Behandlung einer Corona-Infektion auf den Markt. Die antivirale Substanz in diesem Medikament ist Nirmatrelvir, ein 3-Chymotripsin-like-Corona-Endopeptidase-Hemmer, dessen Konzentrationen im Gewebe zum Erreichen einer ausreichenden Wirksamkeit durch gleichzeitige Gabe des Proteasehemmers Ritonavir erhöht werden müssen; dieser blockiert den Abbau von Nirmatrelvir.
Der normale Gang der Dinge bis zur Zulassung eines neuen Arzneimittels ist das Durchlaufen der drei klinischen Phasen; aufgrund der Dringlichkeit kam es zu einer schnellen Zulassung (fast-track) von Paxlovid®, um infizierten Patienten zügig helfen zu können. Diese wurde getragen von der Tatsache, dass in ersten klinischen Studien in der Verumgruppe kein Patient gestorben war, während in der Placebogruppe sieben Patienten verstarben. Außerdem wurde das Risiko eines schweren Verlaufs bei stark gefährdeten Patienten um fast 90 Prozent gesenkt, bei guter Verträglichkeit. In Anbetracht dieser guten klinischen Ergebnisse kann es nur Kopfschütteln hervorrufen, dass diese Substanz nicht die ihr zustehende Beachtung in der Therapie der SARS-CoV-2 Infektion findet [1].
Fast-track und die Qualität
So weit die therapeutische Seite. Aber was bedeutet diese schnelle Zulassung für die Qualität des Fertigarzneimittels, im Wesentlichen für Aussagen zur Stabilität? Die Richtlinie Q1A der „International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use“ (ICH) zur Überprüfung der Stabilität beschreibt einen definierten Prozess, bei dem nach dem Auffinden einer neuen Substanz Stress-Tests und beschleunigte Stabilitätsuntersuchungen vorgenommen werden sollen, um zu prüfen, ob bei der Lagerung ggf. Zersetzungsreaktionen auftreten können. Zumeist während der klinischen Phasen werden Langzeit-Stabilitätsstudien bei kontrollierter Einlagerungstemperatur und Feuchtigkeit durchgeführt. Letzteres richtet sich nach der Klimazone, für die das Arzneimittel zugelassen werden soll. Ergebnis dieser Untersuchungen ist u. a. die Festlegung von Verfallsdaten. Die Hersteller haften für die Qualität und damit auch für die Stabilität der Fertigarzneimittel während der Lagerung bis zum Verfallsdatum. Wenn es nun aber zu einer beschleunigten oder „Notzulassung“, wie es die FDA nennt, kommt, kann die Zeit für entsprechende Langzeitstudien fehlen, und damit liegen dann auch keine Stabilitätsdaten (für zumeist einen Zeitraum von fünf Jahren) vor. Deshalb wurde Paxlovid® als Arzneimittel mit nur kurzer Haltbarkeitsdauer, d. h. zwölf Monate (der Hersteller hatte anfänglich sogar nur neun Monate angegeben), zugelassen. Daran ist nichts zu kritisieren.
Drohender Verfall
Wie aus vielfältigen Berichten in der Presse bekannt ist, überschreiten im November 2022 und im Januar 2023 die ersten Chargen von Paxlovid® das auf den Packungen angegebene Verfallsdatum. Deshalb erfolgen derzeit begleitende Stabilitätsstudien unter regulatorischen Bedingungen, um die bisher nicht benutzten Chargen an Paxlovid® weiter nutzen zu können. Es versteht sich, dass der Hersteller Pfizer solche Untersuchungen vornimmt. Diese haben dazu geführt, dass die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die britische Medicines and Healthcare Product Regulatory Agency (MHRA), die australische Therapeutic Goods Administration (TGA) und auch die European Medicines Agency (EMA) die Haltbarkeitsdauer vorerst auf 18 Monate heraufgesetzt haben.
Aufgedrucktes Verfallsdatum | Aktualisiertes Verfallsdatum |
---|---|
November 2022 | Mai 2023 |
Dezember 2022 | Juni 2023 |
Januar 2023 | Juli 2023 |
Februar 2023 | August 2023 |
März 2023 | September 2023 |
April 2023 | Oktober 2023 |
Mai 2023 | November 2023 |
Real-world-Informationen
Die von der Bundesregierung eingekauften Chargen lagern derzeit bei Ärzten, bei Großhändlern, in Apotheken und ggf. auch bei Patienten. Nicht in allen Fällen können wir von einer kontrollierten Lagerung bei Temperaturen unter 25° C ausgehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir einen sehr heißen Sommer hatten. Neben den regulatorischen Daten sind also „Real-world“-Informationen bezüglich der Stabilität von Interesse. Dies hat die „Frankfurt Foundation – Quality of Medicines“ veranlasst, einige Packungen Paxlovid® zu sammeln, um sie bei uns analysieren zu lassen. Diese Untersuchungen sollten helfen, der Bevölkerung die herrschende Verunsicherung um Paxlovid® zu nehmen.
Im Institut für Pharmazeutische und Biomedizinische Forschung wurden 10 Nirmatrelvir-Tabletten näher untersucht. Alle Tabletten hatten nahezu das gleiche Gewicht (Masse), und zwar zwischen 0,76352 und 0,78036 g. Mittels einer selbst entwickelten Hochleistungsflüssigkeits-Chromatografie mit einer Umkehrphasensäule und Gradient (aus Ameisensäure und Acetonitril) wurde der Gehalt mit einem Tandem-Massenspektrometer bestimmt. Eine Nirmatrelvir-Tablette muss 150 mg Wirkstoff enthalten; das Europäische Arzneibuch (10.0) schreibt in Kapitel 2.9.6 für die Gleichförmigkeit des Gehaltes Grenzen von 85 bis 115 Prozent vor, wobei nur eine von 10 zu testenden Tabletten außerhalb dieser Grenzen liegen darf, und zwar zwischen 75 und 125 Prozent, in letzterem Fall müssen weitere 20 Tabletten untersucht werden. Unsere Dreifachbestimmungen der 10 Tabletten ergaben Gehalte zwischen 95 und 105 Prozent, mit einem Mittelwert von 100,3% und einer Standardabweichung von 3,6%. Wir wissen natürlich nicht, ob es in den letzten Monaten eine Veränderung der Tabletten gegeben hat, aber wir können feststellen, dass die untersuchten Tabletten den Test auf Gleichförmigkeit des Gehaltes erfüllen und noch immer den gewünschten Gehalt aufweisen, d. h. dass kein Abbau stattgefunden hat.
Offensichtlich stabil
Zum heutigen Zeitpunkt kann also festgestellt werden, dass Nirmatrelvir-Tabletten offensichtlich stabil sind und die von der Bundesregierung gekauften Chargen weiter verabreicht werden können. Von der Seite her gibt es also keinen Anlass, sich verunsichern zu lassen oder dieses wichtige Medikament gar nicht erst einzunehmen [1]. Übrigens sind viele Arzneimittel wesentlich stabiler, d. h. haltbarer, als die auf den Packungen aufgedruckten Verfallsdaten vermuten lassen, wie eigene Untersuchungen ergeben haben, die wir 2019 in einem Artikel in der DAZ zusammengefasst haben [2]. |
Autoren
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Institut für Pharmazie, Universität Würzburg
Prof. Dr. Fritz Sörgel, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg
Dr. Martina Kinzig, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg
Literatur
[1] Verschmähter Hoffnungsträger. Gastbeitrag von Fritz Sörgel in der Frankfurter Rundschau (11.10.2022). https://www.fr.de/wissen/verschmaehter-hoffnungstraeger-91841966.html
[2] M. Zilker, U. Holzgrabe, F. Sörgel: Überraschend stabil – Analyse von Altarzneien lässt auf deutlich längere Haltbarkeiten schließen. Deutsche Apotheker Zeitung 2019;159:1646-1653
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