Arzneimittel und Therapie

Paxlovid – wie stabil ist es eigentlich?

Stichproben-Prüfungen untermauern Sicherheit der neuen Haltbarkeitsangaben

Von Ulrike Holzgrabe, Fritz Sörgel und Martina Kinzig | Die Diskussion um den drohenden Verfall der noch in großer Menge vorhandenen Paxlovid®-Packungen zur Therapie von COVID-19 hat mit der Laufzeitverlängerung von 12 auf 18 Monate ein vorläufiges Ende gefunden. Der Hersteller hat aufgrund neuer Haltbarkeitsdaten neue Verfallsdaten der im Handel befindlichen Packungen publiziert (Tab.), die in Apotheken und Arztpraxen kommuniziert werden sollen. Ein Umetikettieren ist nicht vorgesehen. Was sind die Hintergründe, wie ist die Lage?

Gegen das sich seit knapp drei Jahren schnell ausbreitende Corona-Virus war es dringend erforderlich, neben Impfstoffen Virustatika zu entwickeln. Mit Paxlovid®, einer Kombination aus Nirmatrelvir und Ritonavir, kam im Januar 2022 ein Arzneimittel zur Behandlung einer Corona-Infektion auf den Markt. Die antivirale Substanz in diesem Medikament ist Nirmatrelvir, ein 3-Chymotripsin-like-Corona-Endopeptidase-Hemmer, dessen Konzentrationen im Gewebe zum Erreichen einer ausreichenden Wirksamkeit durch gleichzeitige Gabe des Proteasehemmers Ritonavir erhöht werden müssen; dieser blockiert den Abbau von Nirmatrelvir.

Der normale Gang der Dinge bis zur Zulassung eines neuen Arzneimittels ist das Durchlaufen der drei klinischen Phasen; aufgrund der Dringlichkeit kam es zu einer schnellen Zulassung (fast-track) von Paxlovid®, um infizierten Patienten zügig helfen zu können. Diese wurde getragen von der Tatsache, dass in ersten klinischen Studien in der Verumgruppe kein Patient gestorben war, während in der Placebogruppe sieben Patienten verstarben. Außerdem wurde das Risiko eines schweren Verlaufs bei stark gefährdeten Patienten um fast 90 Prozent gesenkt, bei guter Verträglichkeit. In Anbetracht dieser guten klinischen Ergebnisse kann es nur Kopfschütteln hervorrufen, dass diese Substanz nicht die ihr zustehende Beachtung in der Therapie der SARS-CoV-2 Infektion findet [1].

Foto: abaca/Picture Alliance

Fast-track und die Qualität

So weit die therapeutische Seite. Aber was bedeutet diese schnelle Zulassung für die Qualität des Fertigarzneimittels, im Wesentlichen für Aussagen zur Stabilität? Die Richtlinie Q1A der „International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use“ (ICH) zur Überprüfung der Stabilität beschreibt einen definierten Prozess, bei dem nach dem Auffinden einer neuen Substanz Stress-Tests und beschleunigte Stabilitätsuntersuchungen vorgenommen werden sollen, um zu prüfen, ob bei der Lagerung ggf. Zersetzungsreaktionen auftreten können. Zumeist während der klinischen Phasen werden Langzeit-Stabilitätsstudien bei kontrollierter Einlagerungstemperatur und Feuchtigkeit durchgeführt. Letzteres richtet sich nach der Klimazone, für die das Arzneimittel zugelassen werden soll. Ergebnis dieser Untersuchungen ist u. a. die Festlegung von Verfallsdaten. Die Hersteller haften für die Qualität und damit auch für die Stabilität der Fertigarzneimittel während der Lagerung bis zum Verfallsdatum. Wenn es nun aber zu einer beschleunigten oder „Notzulassung“, wie es die FDA nennt, kommt, kann die Zeit für entsprechende Langzeitstudien fehlen, und damit liegen dann auch keine Stabilitätsdaten (für zumeist einen Zeitraum von fünf Jahren) vor. Deshalb wurde Paxlovid® als Arzneimittel mit nur kurzer Haltbarkeitsdauer, d. h. zwölf Monate (der Hersteller hatte anfänglich sogar nur neun Monate angegeben), zugelassen. Daran ist nichts zu kritisieren.

Drohender Verfall

Wie aus vielfältigen Berichten in der Presse bekannt ist, überschreiten im November 2022 und im Januar 2023 die ersten Chargen von Paxlovid® das auf den Packungen angegebene Verfallsdatum. Deshalb erfolgen derzeit begleitende Stabilitätsstudien unter regulatorischen Bedingungen, um die bisher nicht benutzten Chargen an Paxlovid® weiter nutzen zu können. Es versteht sich, dass der Hersteller Pfizer solche Untersuchungen vornimmt. Diese haben dazu geführt, dass die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die britische Medicines and Healthcare Product Regulatory Agency (MHRA), die australische Therapeutic Goods Administration (TGA) und auch die European Medicines Agency (EMA) die Haltbarkeitsdauer vorerst auf 18 Monate heraufgesetzt haben.

 

Tab.: Um sechs Monate verlängerte Haltbarkeit von Paxlovid®. Ab Juni 2023 ist die verlängerte Haltbarkeit bereits berücksichtigt. Die Lagerungsbedingungen bleiben bestehen: „Nicht über 25 °C lagern. Nicht im Kühlschrank lagern oder einfrieren” [Pfizer-Schreiben vom 6. Oktober 2022]
Aufgedrucktes Verfallsdatum
Aktualisiertes Verfallsdatum
November 2022
Mai 2023
Dezember 2022
Juni 2023
Januar 2023
Juli 2023
Februar 2023
August 2023
März 2023
September 2023
April 2023
Oktober 2023
Mai 2023
November 2023

Real-world-Informationen

Die von der Bundesregierung eingekauften Chargen lagern derzeit bei Ärzten, bei Großhändlern, in Apotheken und ggf. auch bei Patienten. Nicht in allen Fällen können wir von einer kontrollierten Lagerung bei Temperaturen unter 25° C ausgehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir einen sehr heißen Sommer hatten. Neben den regulatorischen Daten sind also „Real-world“-Informationen bezüglich der Stabilität von Interesse. Dies hat die „Frankfurt Foundation – Quality of Medicines“ veranlasst, einige Packungen Paxlovid® zu sammeln, um sie bei uns analysieren zu lassen. Diese Untersuchungen sollten helfen, der Bevölkerung die herrschende Verunsicherung um Paxlovid® zu nehmen.

Im Institut für Pharmazeutische und Biomedizinische Forschung wurden 10 Nirmatrelvir-Tabletten näher untersucht. Alle Tabletten hatten nahezu das gleiche Gewicht (Masse), und zwar zwischen 0,76352 und 0,78036 g. Mittels einer selbst entwickelten Hochleistungsflüssigkeits-Chromatografie mit einer Umkehrphasensäule und Gradient (aus Ameisensäure und Acetonitril) wurde der Gehalt mit einem Tandem-Massenspektrometer bestimmt. Eine Nirmatrelvir-Tablette muss 150 mg Wirkstoff enthalten; das Europäische Arzneibuch (10.0) schreibt in Kapitel 2.9.6 für die Gleichförmigkeit des Gehaltes Grenzen von 85 bis 115 Prozent vor, wobei nur eine von 10 zu testenden Tabletten außerhalb dieser Grenzen liegen darf, und zwar zwischen 75 und 125 Prozent, in letzterem Fall müssen weitere 20 Tabletten untersucht werden. Unsere Dreifachbestimmungen der 10 Tabletten ergaben Gehalte zwischen 95 und 105 Prozent, mit einem Mittelwert von 100,3% und einer Standardabweichung von 3,6%. Wir wissen natürlich nicht, ob es in den letzten Monaten eine Veränderung der Tabletten gegeben hat, aber wir können feststellen, dass die untersuchten Tabletten den Test auf Gleichförmigkeit des Gehaltes erfüllen und noch immer den gewünschten Gehalt aufweisen, d. h. dass kein Abbau stattgefunden hat.

Offensichtlich stabil

Zum heutigen Zeitpunkt kann also festgestellt werden, dass Nirmatrelvir-Tabletten offensichtlich stabil sind und die von der Bundesregierung gekauften Chargen weiter verabreicht werden können. Von der Seite her gibt es also keinen Anlass, sich verunsichern zu lassen oder dieses wichtige Medikament gar nicht erst einzunehmen [1]. Übrigens sind viele Arzneimittel wesentlich stabiler, d. h. halt­barer, als die auf den Packungen aufgedruckten Verfallsdaten vermuten lassen, wie eigene Untersuchungen ­ergeben haben, die wir 2019 in einem Artikel in der DAZ zusammengefasst haben [2]. |
 

Autoren

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Institut für Pharmazie, Universität Würzburg

Prof. Dr. Fritz Sörgel, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg

Dr. Martina Kinzig, Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg
 

Literatur

[1] Verschmähter Hoffnungsträger. Gastbeitrag von Fritz Sörgel in der Frankfurter Rundschau (11.10.2022). https://www.fr.de/wissen/verschmaehter-hoffnungstraeger-91841966.html

[2] M. Zilker, U. Holzgrabe, F. Sörgel: Überraschend stabil – Analyse von Altarzneien lässt auf deutlich längere Haltbarkeiten schließen. Deutsche Apotheker Zeitung 2019;159:1646-1653

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