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„Da fehlt der komplette Kompass“
Noweda-Chef Michael Kuck kritisiert aktuelle Gesundheitspolitik
„Amnesie“, „leere Worte“, „Tiefschläge für die Arzneimittelversorgung in Deutschland“ – mit deutlichen Worten hat der Vorstandsvorsitzende des genossenschaftlich organisierten Pharmagroßhändlers Noweda, Michael Kuck, das Agieren von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SDP) kritisiert. Auf der 84. Generalversammlung sprach er in Essen vor erstmals seit zwei Jahren wieder physisch anwesenden Mitgliedern von einer „kognitiven Dissonanz“, die man schmerzvoll spüre, wenn man das Agieren von Lauterbach verfolge. Einerseits habe dieser die „wichtige Rolle der Vor-Ort-Apotheken“ in der Pandemie gelobt und gesagt, dass Apotheken zentraler Bestandteil einer besseren Versorgung in der Zukunft seien. Andererseits sollte Lauterbach wissen, dass jedes Jahr rund 300 Apotheken für immer schließen, diese seit Jahren keine Erhöhung ihres gesetzlichen Honorars bekämen und für ihre Gesundheitsleistungen weniger Geld erhalten, als die Krankenkassen für reine Verwaltungstätigkeit. Trotzdem wolle der Gesundheitsminister mit seinem neuen Spargesetz „ausgerechnet bei den Apotheken in den nächsten beiden Jahren 240 Millionen Euro einsammeln.“ Kucks Schlussfolgerung: „Dieser Gesundheitsminister wird der Verantwortung, die er für die Arzneimittelversorgung in unserem Land trägt, nicht gerecht.“
In die gleiche Kerbe schlug Aufsichtsratsvorsitzender Matthias Lempka. Mit Blick auf das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sagte er: „Es geht in die komplett falsche Richtung. Da fehlt einigen Akteuren nicht nur die Orientierung, sondern gleich der komplette Kompass.“
Weitere Einsparungen befürchtet
Kuck fürchtet allerdings, dass es bei den bereits beschlossenen Einsparungen nicht bleiben wird. So habe das Bundesgesundheitsministerium bereits angekündigt, bis zum 31. Mai nächsten Jahres Empfehlungen für „eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Kranken-Versicherung“ vorzulegen. Dabei solle auch die Ausgabenseite der GKV betrachtet werden. Das klinge „schon wieder verdächtig nach neuen Sparmaßnahmen“, so Kuck.
Warnung vor Apothekenketten
Eine deutliche Warnung sprach er auch vor der Ausbreitung von Apothekenketten aus. Sollte es „zu echten Lücken“ in der Versorgung kommen, werde die Politik „ganz schnell“ Ideen entwickeln, die sich kein selbstständiger Apotheker wirklich wünschen könne. „Dann nämlich müssen wir damit rechnen, dass den Apothekenketten, die heute so weit weg scheinen, Tür und Tor geöffnet wird.“ Wettbewerber der Noweda würden solche Ketten im Ausland schon lange betreiben. Kuck: „Die haben Erfahrung. Für die ist es dann nur ein ganz kleiner Schritt in den deutschen Markt. Deshalb ist jede Apotheke, die verschwindet, eine Apotheke zu viel.“
Um auf die Belastungen der Apotheken aufmerksam zu machen, will Noweda eine neue Kampagne mit dem Titel „Lass das Licht an, Karl“ starten. Diese soll in den kommenden Wochen und Monaten die Öffentlichkeit informieren, was es für die Arzneimittelversorgung bedeutet, wenn immer mehr Apotheken verschwinden.
Zuwachs bei Umsatz und Gewinn
Ungeachtet der Herausforderungen steht die Genossenschaft wirtschaftlich solide da. So steigerte die Noweda-Gruppe ihren Umsatz im Geschäftsjahr 2021/2022 um 783 Millionen Euro auf 8,97 Milliarden Euro. Damit wuchs Noweda stärker als der Markt: Während der deutsche Pharmagroßhandelsmarkt im abgelaufenen Geschäftsjahr um 7,84 Prozent zulegte, lag das Umsatzwachstum von Noweda bei 9,4 Prozent. Der Rohertrag lag mit 421 Millionen Euro um 31,5 Millionen Euro über dem des Vorjahres. Der Gruppen-Jahresüberschuss betrug 41,1 Millionen Euro und notierte damit ebenfalls über dem Niveau des Vorjahres von 40,1 Millionen Euro. Ein Plus auch beim Eigenkapital, das um 27 Millionen Euro auf 538,7 Millionen Euro zulegte. Die Investitionen in Höhe von 22,9 Millionen Euro flossen laut Kuck vor allem in den Ausbau und die Modernisierung der Niederlassungen.
Die Generalversammlung beschloss für die Mitglieder eine Bardividende in Höhe von 7,23 Prozent (brutto 8,5 Prozent) auf die Grundanteile und 8,5 Prozent (brutto 10 Prozent) auf freiwillige Anteile auszuschütten.
Leichtes Plus bei Mitgliederentwicklung
Ein leichtes Plus gab es im abgelaufenen Geschäftsjahr bei der Mitgliederentwicklung. 305 Abgängen standen 322 Neuzugänge gegenüber. Damit betrug die Gesamtzahl der Mitglieder zum Geschäftsjahresende 9358. Kuck zeigte sich insbesondere „vor dem beunruhigenden Hintergrund der weiter sinkenden Apothekenzahlen“ erfreut über diese Entwicklung. „Genossenschaft ist attraktiv für Apothekerinnen und Apotheker, in der aktuellen Zeit vermutlich mehr denn je.“
Keine Abstriche an der Qualität
In diesem Zusammenhang betonte der Vorstandschef, dass Noweda auch in der Wirtschaftskrise nicht an Umfang und Qualität der Leistungen sparen werde. „Wir glauben, dass Apotheken gerade jetzt einen verlässlichen Partner brauchen, bei dem sie keine Angst haben müssen, dass das Lager ausgedünnt wird, dass sich der Service verschlechtert oder dass sogar Niederlassungen geschlossen werden.“
Apotheken an die Spitze der digitalen Entwicklung
Um im Wettbewerb bestehen zu können, müssen sich die Apotheken nach Ansicht Kucks an die Spitze der digitalen Entwicklung setzen. Er wies darauf hin, dass der deutschlandweite Onlineservice der lokalen Apotheken „IhreApotheken.de“ um eine App für Android und iOS erweitert worden sei. Zudem seien weitere starke Partner gewonnen worden, unter anderem der ADAC, der seinen Mitgliedern Gesundheitsangebote in einer Medical App anbiete. Ein weiterer bedeutender Schritt sei die Beteiligung von Hubert Burda Media an IhreApotheken.de.
Kuck betonte, dass IhreApotheken.de keine Internetplattform im klassischen Sinne sei, die sich zwischen Apotheke und deren Kunden schiebe. Vielmehr handele es sich um eine digitale Infrastruktur, die von Apothekenkunden genutzt werden könne, um ihre Bestellungen an ihre Wunschapotheke zu übermitteln. Darüber hinaus sei IhreApotheken.de so entwickelt worden, dass es mit den Gesundheitsanwendungen und Apps anderer Anbieter verzahnt werden könne.
E-Rezept: Geschichte des Missvergnügens
Die Einführung des elektronischen Rezepts bezeichnete Kuck als „eine scheinbar unendliche Geschichte des Missvergnügens“, warnte allerdings davor, es angesichts der technischen und organisatorischen Hürden bereits abzuschreiben. Tatsächlich biete es ein großes Einsparpotenzial und manchen Vorteil für die Patienten. Zudem habe das Bundeskabinett vor wenigen Wochen beschlossen, das E-Rezept bis zum Jahr 2025 zum Standard in der Arzneimittelversorgung zu machen. Kuck: „Das zeigt sehr deutlich, dass sich die Politik trotz aller Rückschläge nicht davon abhalten lassen wird, die Einführung des E-Rezepts voranzutreiben. Es kann also keine Entwarnung geben. Die eine oder andere Atempause mag möglich sein. Aber kommen wird das E-Rezept.“
Aufsichtsratsmitglieder wiedergewählt
Satzungsgemäß schieden Apothekerin Sylke Bergmann und Apotheker Arnt Heilmann, sowie die Ersatzmitglieder, Apothekerin Nicole Glowig-Nellesen und Apothekerin Ulrike Puhlmann, aus dem Aufsichtsrat aus. Alle stellten sich zur Wiederwahl und wurden von der Generalversammlung erneut berufen. |
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