Foto: Dave Massey/AdobeStock

Lieferdienste

Start-ups für die letzte Meile

Arzneimittel-Lieferdienste drängen auf den Apothekenmarkt

Start-ups haben im Arzneimittelbereich die letzte Meile zwischen Apotheken und Kunden entdeckt. Drei Berliner Jungunternehmen versuchen derzeit, in der Hauptstadt und darüber hinaus in dem Lieferdienst-Geschäft Fuß zu fassen. Kunden sollen so von einer schnellen und punktgenauen Belieferung profitieren, Apotheken Zugang zu reichweitenstarken Online-Plattformen erhalten. Allerdings gibt es diesen Service für sie nicht kostenlos. Doch das ist nicht der einzige Knackpunkt. | Von Thorsten Schüller 

„Deine Medikamente in 30 Minuten geliefert“ – mit diesem Versprechen wirbt das Berliner Start-up Mayd neuerdings im Internet. Zudem verspricht der neue Arzneimittel-Lieferdienst: „Mehr als 2000 Produkte für alle Bedürfnisse.“ Firmen wie Mayd tauchen derzeit vermehrt auf dem Markt auf. Im September 2021 hatte die ebenfalls in Berlin ansässige Jungfirma First A ihr Debut bekannt gegeben. Jüngstes Kind der Branche ist Kurando, das mit dem Slogan „Deine Apotheke kommt jetzt zu Dir“ wirbt.

Alle drei Newcomer verfolgen ein ähnliches Geschäfts­modell: Sie bieten Kunden eine digitale Plattform, auf der diese nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und Gesundheitsprodukte auswählen und kaufen können, die ihnen anschließend innerhalb kurzer Zeit an die Haustür geliefert werden. Die Lieferdienste betreiben dabei natürlich selber keine Apotheken, sondern arbeiten vielmehr mit Vor-Ort-Apotheken zusammen. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob dies allen Kunden immer deutlich und bewusst wird. Haben die Kunden Fragen zu den Produkten, verweisen die Dienste an die entsprechende lokale Apotheke. Fahrradkuriere holen dort die via App bestellten Waren ab und stellen diese den Konsumenten zu. Anders als Versand- bzw. Online-Apotheken wählen die Schnell-Lieferdienste also nicht den Postweg, sondern die direkte Lieferung in der näheren Umgebung – das Modell funktioniert daher derzeit nur in eng besiedelten Ballungsräumen, wo die Lieferdienste die Distanz zwischen Apotheke und Kunden schließen, die sogenannte letzte Meile.

Aktuell OTC, künftig auch Rx

Die Lieferzeiten sind dabei meist sehr großzügig ausgelegt: An 365 Tagen im Jahr, von 8:00 bis 24:00 Uhr, sind die Mayd-Fahrer unterwegs; ähnlich bei First A und Kurando. Die Produktpalette umfasst derzeit verschreibungsfreie OTC- und Gesundheitsprodukte vom Hustensaft über Mundschutzmasken bis zu Ernährungszusätzen. Mit Einführung des E-Rezeptes wollen die neuen Marktteilnehmer allerdings auch verschreibungspflichtige Arzneimittel in ihr Repertoire aufnehmen. Auffällig ist, dass alle drei Dienste in Berlin gestartet sind, der kreativen Start-up-Szene Deutschlands. Von dort aus wollen sie Schritt für Schritt andere Städte und Regionen Deutschlands erobern oder sind bereits dabei. Wirtschaftlich begeben sich die Unternehmen auf ein eher margenschwaches Feld. Umsätze generieren die neuen Dienste vor allem über eine Liefergebühr der Kunden oder durch Provisionszahlungen der Apotheken. Viel finanzieller Spielraum dürfte hier nicht bestehen, denn die Kunden werden kaum akzeptieren, für austauschbare Standardprodukte deutlich mehr als bei anderen Anbietern zu zahlen. Und bei Arzneimitteln, die unter Festbeträge fallen, dürften die teilnehmenden Apotheken nur in begrenztem Umfang bereit sein, von der eigenen Marge einen Teil für Lieferprovisionen abzuzwacken. Die Lieferdienste wiederum müssen mit diesen Umsätzen nicht nur ihre Kosten für Verwaltung, Technik und Marketing abdecken, sondern auch die Kurierfahrer bezahlen. Die Millionen, die ihnen anfangs durch Investoren zufließen, sind also für den unternehmerischen Aufbau und zur Finanzierung der ersten Monate und Jahre zwingend erforderlich.

Mayd: Schnelles Wachstum

Das Unternehmen wurde im April 2021 von Hanno Heintzenberg und Lukas Pieczonka gegründet. Nach Angaben von Heintzenberg gegenüber der DAZ kennen sich die beiden seit ihrer Schulzeit in Düsseldorf, beide haben zudem in St. Gallen studiert. Anschließend sammelte Pieczonka beim Berliner Beteiligungsunternehmen Rocket Internet-Erfahrungen, während Heintzenberg in den Diensten der Boston Consulting Group (BCG) stand. Gemeinsam gründeten sie 2015 McMakler, nach eigenen Angaben heute Deutschlands führendes Maklerunternehmen. Die Erfahrungen bei McMakler kommen Heintzenberg und Pieczonka nun bei Mayd zugute. Rasch bauten sie ihr Geschäft aus. In einer ersten Finanzierungsrunde sammelten sie drei Millionen Euro von 468 Capital ein, im Herbst folgte eine weitere Finanzierung über zehn Millionen Euro, die im Wesentlichen von den Geldgebern Early Bird und Target Global getragen wurde. Darüber hinaus, so Heintzenberg, seien verschie­dene Business Angels beteiligt. Vor wenigen Tagen dann der finanzielle Befreiungsschlag: Unter Führung des US-Investors Lightspeed Venture Partners sicherte sich das Unternehmen weitere 30 Millionen Euro. Damit vergrößert Mayd seinen finanziellen Spielraum im Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten Kurando und First A deutlich.

Die beiden Entrepreneurs zielen auf schnelles Wachstum. Aktuell ist der Lieferdienst neben Berlin auch in Hamburg, München und Frankfurt aktiv. Seit Anfang 2022 werden auch Kunden in Düsseldorf und Köln beliefert. Mitte des Jahres will Mayd laut Heintzenberg in rund 50 Städten vertreten sein. Darüber hinaus ist in diesem Jahr die Expansion in zwei weitere europäische Märkte geplant. Das spiegelt sich auch in der Belegschaft des jungen Unternehmens wider. Derzeit beschäftigt Mayd laut Heintzenberg mehr als 100 Mitarbeiter, etwa weitere 100 Stellen hat das Unter­nehmen aktuell ausgeschrieben. Darüber hinaus treten an den bisherigen Standorten rund 350 fest angestellte Fahrer im Namen der Firma in die Pedale. „Wir zahlen deutlich über Mindestlohn“, sagt der Gründer. Dafür erwarte man von den Fahrern „null Fehlertoleranz“ bei der Auslieferung der Arzneimittel.

Die Finanzierung von Mayd ist Start-up-typisch angelegt und basiert auf der Erwartung, dass die Umsätze und Ergebnisse, die „langfristig“ kommen sollen, die Investitionen der Kapitalgeber mehr als kompensieren. So nutzt Mayd die Investorengelder für den Aufbau und die laufende Finanzierung des Betriebes und einer möglichst großen Kundenbasis. Diese müssen aktuell keine Liefergebühr bezahlen. Dahingegen leisten die derzeit rund 100 Partnerapotheken einen finanziellen Obolus an Mayd. Dafür, so Heintzenberg, erhalten die Apotheken Zugang zu einer Online-Plattform, die ihnen die sofortige beziehungsweise taggleiche, punktgenaue und nachverfolgbare Arzneimittellieferung zu ihren Kunden ermöglicht. Heintzenberg wörtlich: „Es geht um Superpräzisionslieferung.“

Große Hoffnungen setzt der Mayd-Gründer, ähnlich wie etablierte Online-Apotheken, auf das E-Rezept. Wenngleich dessen Einführung nach der Notbremse durch das Bundesgesundheitsministerium kurz vor Weihnachten 2021 erstmal auf ungewisse Zeit verschoben ist, schätzt Heintzenberg, dass künftig rund 50 Prozent der Erträge auf diesem Wege eingefahren werden, die andere Hälfte mit OTC- und sonstigen Gesundheitsprodukten. Die Ambitionen sind hoch: „Wir wollen schnellstmöglich deutschlandweit präsent sein“, sagt Heintzenberg. Entsprechend selbstbewusst präsentiert sich die Firma auch auf ihrer Webseite: „Wir planen Großes für 2022 und kommen bald auch zu dir.“

Kurando: Stadt für Stadt

Eigentlich wollte Kurando unter dem Namen Phastr auf den Markt kommen, musste sich aber in letzter Minute umbenennen, da Phastr kurzfristig von anderer Seite eingetragen und gesichert worden war – in Branchenkreisen ist die Rede davon, dass Mayd dahinter stecken soll. Im Impressum firmiert das Unternehmen allerdings noch als Phastr GmbH. Der von Niklas Spiegel und Lukas Pfaffernoschke im September 2021 gegründete Lieferdienst arbeitet wie seine Wettbewerber mit lokalen Apotheken zusammen und leitet die Kunden über seine App zum Angebot dieser Apotheken weiter.

Aktuell ist Kurando in ausgewählten Berliner Bezirken und in München aktiv. 50 Apotheken sind nach Auskunft von Spiegel derzeit unter Vertrag, davon seien 15 Apotheken „live“, also operativ aktiv. Ziel sei es, bis Ende des Jahres mehr als 200 Apotheken unter Vertrag zu haben. Zudem plant das Unternehmen für 2022 laut Spiegel den deutschlandweiten „City-by-City“ Roll-out im OTC-Bereich. Zusätzlich wolle Kurando mit der Einführung des E-Rezepts auch ländliche Regionen beliefern. Während die Lieferung für die Kunden versandkostenfrei ist, zahlen die teilnehmenden Apotheken eine Verkaufsprovision an Kurando. Diese ist laut Spiegel „Verhandlungssache“. Benötigen die Kunden eine Beratung, verweist Kurando ebenfalls auf die Apotheken. Auch die Kaufabwicklung läuft über die Apotheken.

Bei den Kurierfahrern arbeitet Kurando laut Spiegel mit dem Partnerunternehmen Fleat zusammen. Die Bezahlung liege dabei „über Industriestandard“. Zu den wesentlichen Finanziers von Kurando zählen die beiden Venture Capital Fonds YZR und Vorwerk Ventures, hinzu kommen einige „Angel-Investoren“ aus der Gesundheitsbranche. Insgesamt hatte das Unternehmen so rund 1,5 Millionen Euro eingesammelt. Nun streben Spiegel und Pfaffernoschke Ende Januar, Anfang Februar eine weitere Finanzierungsrunde an, die ihnen ein Volumen ähnlich wie das bei Mayd in die Kasse spülen soll – also weitere 11 bis 13 Millionen Euro.

First A: Smarte Alternative

Die Berliner Firma, die Anfang 2021 von den Geschwistern Antonie Nissen und Leif Löhde gegründet wurde und im September ihren Betrieb aufnahm, positioniert sich als „smarte Alternative zu herkömmlichen und meist anonymen Online-Apotheken.“ Kunden laden sich eine App auf ihr Smartphone und bestellen darüber die entsprechenden Arzneimittel oder Schönheitsprodukte. Fahrradkuriere holen diese bei Partner-Apotheken ab und liefern die Produkte gegen eine Gebühr von 2,50 Euro (gratis Lieferung ab 30 Euro Bestellwert) zum Kunden – nach Firmenangaben innerhalb von 30 Minuten, jeweils zwischen 8:00 und 22:00 Uhr, auch am Wochenende. Aktuell können Kunden in Berlin, Köln, München, Düsseldorf und Frankfurt den Dienst in Anspruch nehmen.

Wie die anderen Start-ups arbeitet First A mit lokalen Apotheken zusammen. Bei Fragen verknüpft First A die Kunden mit einem Apotheker. Die Firma wirbt vor allem mit nicht verschreibungspflichtigen Produkten gegen Kopfschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Kindererkrankungen oder Allergien. Unter Rubriken wie „Netflix & Chill“ werden Kondome angeboten, offenbar in der Annahme, dass während oder nach dem gemeinsamen Anschauen eines Filmes der Sex folgt. Für Gruppen gibt es das „Party Pack“.

Auf Anfrage der DAZ gab das Unternehmen keine Auskunft. Nach früheren Angaben des Mediums Gründerszene konnte die Firma „einige szenebekannte Investoren“ für sich gewinnen, so die Gorillas-Gründer Jörg Kattner, Felix Chrobog und Ronny Shibley, aber auch die beiden Swoboda-Brüder Felix und Florian, die etwa das Fintech Barzahlen.de aufgebaut haben. Laut First A-Gründerin Nissen kam in dieser Finanzierungsrunde ein „solider sechsstelliger Betrag“ zusammen. Operativ würden die Investoren nicht in das Geschäft einsteigen. Allerdings musste die Firma im November 2021 einen Dämpfer hinnehmen: Per einstweiliger Verfügung wurde dem Unternehmen unter anderem untersagt, zu suggerieren, es handle sich bei First A um eine „lokale Apotheke – online“.

Lieferinitiative von Noweda

Die Idee zu den Arzneimittel-Lieferdiensten ist allerdings nicht ganz neu. Bereits im Sommer 2020 hatte die Apothekergenossenschaft Noweda angekündigt, Apotheken die Organisation des Botendienstes abzunehmen. Spätestens ab Ende 2020 sollten alle Apotheken, die von der Noweda beliefert werden, ihre Botendienste an die Apothekergenossenschaft delegieren können. Entscheidender Unterschied zu den Start-ups ist, dass Noweda nur gegenüber den teilnehmenden Apotheken in Erscheinung tritt und nicht nach außen. So beauftragen die Kunden die jeweilige Apotheke und nicht den Lieferdienst-Anbieter. Auf Nachfrage der DAZ teilt das Unternehmen nun mit, dass die Pilotphase seit geraumer Zeit abgeschlossen sei. Aktiv angeboten werde der Service gegenwärtig nur auf Nachfrage, derzeit nähmen rund 20 Apotheken die Dienstleistung in Anspruch. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr marktfremde Dritte versuchen, sich im Bereich des Botendienstes zu etablieren und so die Schnittstelle zwischen Apotheke und Patienten zu besetzen, hält es Noweda trotz der geringen Teilnehmerzahl beim eigenen Lieferprogramm für wichtig, „diese Option durch ein apothekereigenes Unternehmen verfügbar zu halten“. Zudem dürfte dieses Thema mit Einführung des elektronischen Rezepts „an Bedeutung deutlich zunehmen“. Möglicherweise werden auch die Versandapotheken wie Zur Rose mit ihrer Tochter DocMorris sowie Shop Apotheke Europe diesem Treiben nicht tatenlos zusehen. Schließlich ist die Belieferung der Kunden mit Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten wesentlicher Teil ihres Geschäftes, wenngleich sie dafür überwiegend den Postweg nutzen. Angeblich sollen die Online-Versender bereits mit den neuen Marktteilnehmern Kontakt aufgenommen haben. Möglich, dass die letzte Meile in der Arzneimittelversorgung sich noch zu einem heiß umkämpften Gebiet entwickelt. |

Autor

Thorsten Schüller

ist freier Wirtschaftsjournalist und schreibt u. a. für DAZ, AZ und DAZ.online über den Apotheken-, Pharma- und Großhandelsmarkt.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.