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Atemwegsinfektionen

Die Welle rollt

Das RSV-Infektionsgeschehen bei Kleinkindern hat früher begonnen als vor der Corona-Pandemie

Neugeborene, Kleinkinder und insbesondere Frühgeborene sowie ältere Patienten mit relevanten Grunderkrankungen sind bei einer Infektion mit dem respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) besonders gefährdet. Die Erkrankung nimmt bei ihnen nicht selten einen schweren, möglicherweise letalen Verlauf. Kinder, die in den Jahren mit Corona-Beschränkungen auch vor einer RSV-Infektion geschützt wurden, haben oft keine Antikörper bilden können. Durch diesen „Rückstau“ erkranken zurzeit mehr Kinder an einer RSV-Infektion als in den Jahren vor der Corona-Pandemie. Grundsätzlich gilt: Fast jeder Mensch infiziert sich bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres mindestens einmal mit RSV. | Von Christine Vetter

Die Inzidenz von RSV-Infektionen war während der Corona-Pandemie weltweit stark rückläufig. Seit dem vergangenen Jahr steigt die Infektionsrate und die Krankheitsfälle treten schon deutlich früher im Jahresverlauf auf als vor der Corona-Pandemie üblich (s. Abb.). Während die RSV normalerweise hierzulande vom November bis April „Saison“ haben, wurden im vergangenen Jahr schon im Sommer zahlreiche Fälle berichtet [1]. In Israel wurde ein völlig untypischer und unerwarteter Anstieg der Infektionszahlen ab Mai/Juni registriert [2, 3].

Abb.: Saisonales Auftreten von RSV-Infektionen Die Woche mit dem RSV-Infektions-Höchststand ist orange markiert [14]. Eine Saison zählt von der Kalenderwoche (KW) 40 bis zur KW 20 des folgenden Jahres. Nicht dargestellt sind daher die Zahlen der aktuellen Saison 2022/2023: Von KW 40 bis 48 in 2022 wurden im Sentinelsystem der Arbeitsgemeinschaft Influenza am RKI 271 positive RSV-Tests gemeldet, 2021 waren es im gleichen Zeitraum 531. Zwar ist die aktuelle Zahl im Vergleich zum Vorjahr niedriger, trotzdem hält die RSV-Aktivität an und führt insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren vermehrt zu Arztkonsultationen und Krankenhauseinweisungen [13].

Gefährdet sind vor allem Kleinkinder, Säuglinge und insbesondere Frühgeborene: So gehen weltweit mehr als 30 Millionen Atemwegsinfekte bei Kindern auf das Konto der RSV und es kommt zu mehr als drei Millionen stationären Einweisungen und 50.000 Todesfällen bei Kindern unter fünf Jahren [4]. Bei rund 0,2% der an einer RSV-Infektion verstorbenen Kinder war zuvor kein erhöhtes Risiko bekannt [5]. Ein generell erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf besteht laut Leitlinie bei Frühgeburtlichkeit, chronischer Lungenerkrankung, angeborenen Herzfehlern, neuromuskulären Erkrankungen, Immundefekten und chromo­somalen Aberrationen wie der Trisomie 21 [6].

Anstieg der Inzidenz im Herbst

Die Aktivität der akuten Atemwegserkrankungen (ARE) wird aktuell hauptsächlich durch Influenzavirus-Infektionen bestimmt, die auch zu steigenden Krankenhauseinweisungen und Todesfällen führen. Ähnlich wie bei der Influenza zeigt sich auch bei den RSV-Infektionen ein saisonaler Verlauf mit üblicherweise einem Anstieg der Inzidenz ab November und einem Peak in den Monaten Januar und Februar. Besonders hoch ist laut Robert Koch-Institut (RKI) die Gefährdung von Frühgeborenen. Denn Neugeborene und junge Säuglinge können in den ersten vier bis sechs Lebenswochen durch diaplazentar übertragene Antikörper vor einer RSV-Erkrankung geschützt sein, während Frühgeborene infolge einer geringeren Versorgung mit mütterlichen Antikörpern auch in den ersten Lebenswochen bereits schwer an einer RSV-Infektion erkranken können [5]. Bei älteren Säuglingen und Kleinkindern ist eine RSV-Infektion laut RKI die häufigste Ursache von Erkrankungen des unteren Respirationstraktes und von damit verbundenen Krankenhauseinweisungen. Immerhin erkranken im ersten Lebensjahr rund 50 bis 70% und bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres praktisch alle Kinder an einer RSV-Infektion. Die Kinder entwickeln keine langfristige Immunität, sodass häufig Reinfektionen auftreten [5].

Charakteristisches Bild einer Atemwegsinfektion

Die Infektion zeigt das charakteristische Bild einer Atemwegsinfektion. Das Spektrum reicht dabei von der einfachen Infektion bis hin zur beatmungspflichtigen Erkrankung. Die Behandlungsmöglichkeiten der RSV-Infektion sind begrenzt, ein kausal wirksamer Ansatz existiert nicht. Zwar gibt es mit Ribavirin ein Virostatikum, ein eindeutig positiver Effekt auf die Häufigkeit der Beatmungspflicht, die Entwicklung von Komplikationen, sowie der Dauer der intensiv­medizinischen Behandlung und generell des erforderlichen Klinikaufenthalts war laut RKI für diesen Wirkstoff in Studien aber nicht zu sichern. Die Therapie basiert daher auf symptomatischen und supportiven Maßnahmen wie einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr zur Sekretmobilisation und dem Freihalten des Nasopharynx mit Kochsalzspülungen oder -tropfen. Bei Patienten mit Atemnot kann ferner die Inhalation mit Bronchodilata­toren sinnvoll sein, sie beeinflusst jedoch nicht den Krankheitsverlauf. Je nach Schweregrad kann ferner eine Sauerstoffgabe indiziert sein, sowie möglicherweise eine Atemunterstützung mit einer CPAP-Maske oder einer anderen Beatmungsform [5].

Das respiratorische Synzytial-Virus

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Das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein RNA-Virus aus der Familie der Pneumoviridae. Es besitzt eine doppelschichtige Lipidhülle, in die Glyko­proteine eingelagert sind, darunter ein Fusionsprotein (F-Protein) sowie ein Adhäsionsprotein (G-Protein). Es werden die beiden Virusgruppen RSV-A und RSV-B differenziert, die sich in der Antigenstruktur des G-Proteins unterscheiden. Bei der Infektion können Virusstämme beider Gruppen gleichzeitig im Organismus zirkulieren, RSV-A dominiert jedoch in den meisten Jahren [5]. Zur Virusreplikation kommt es in den Epithelzellen der Schleimhäute der Atemwege. Durch eine vom F-Protein verursachte Synzytienbildung und die körpereigene Immunreaktion werden die Epithelien reversibel geschädigt. Es entstehen zelluläre Zerfallsprodukte (Zelldetritus), die zusammen mit einwandernden unspezifischen und spezifischen Abwehrzellen sowie Mukus die Bronchien verlegen. Die Infektion ist normalerweise selbstlimitierend, die Epithelien regenerieren sich innerhalb von vier bis acht Wochen.

Impfstoffe in Entwicklung

Eine aktive Impfung gegen RSV existiert laut Leitlinie derzeit nicht. Ein erster Aktiv-Impfstoff mit einem Formalin-inaktivierten Virus in den 60er-Jahren hatte zu Todesfällen geführt und ein gegen das F-Protein des RSV immunisierender Impfstoff wurde nicht zur Anwendung bei RSV-naiven Kindern weiterentwickelt [6].

Neben hygienischen Maßnahmen ist zur Prävention einer RSV-Infektion bislang nur eine passive Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis®) möglich. Dieser ist nach Angaben des Herstellers Astra­Zeneca gegen das F-Protein des RSV gerichtet und zur Prophylaxe von RSV-Erkrankungen bei Frühgeborenen ≤ 35 Schwangerschaftswochen im ersten Lebensjahr und zusätzlich im zweiten Lebensjahr für behandlungsbedürftige Frühgeborene mit bronchopulmonaler Dysplasie zugelassen [6, 7]. Der Impfstoff wird bei entsprechender Indikation in der Zeit der RSV-Saison monatlich intramuskulär verabreicht [5]. Eine gewisse Schutzwirkung stellt sich bereits nach der ersten Impfung mit dem monoklonalen Antikörper ein, dieser erreicht sein Wirkmaximum aber erst nach der zweiten Gabe.

Die intensive Forschungstätigkeit im Hinblick auf eine aktive Immunisierung verdeutlicht die Tatsache, dass bereits 19 Impfstoffe das Stadium der klinischen Testung erreicht haben. Voraussichtlich wird mindestens einer dieser Impfstoffe innerhalb der nächsten drei Jahre die Marktreife erreichen, so die Einschätzung von Experten [8].

Vielversprechende Ergebnisse zeigen sich laut Bundes­ministerium für Bildung und Forschung beispielsweise bei einem neuen Impfansatz, bei dem die Immunisierung durch eine Sprayapplikation über den Mund-Rachen-Raum erfolgt [8]. Die bislang vorliegenden Ergebnisse sollen im Rahmen des „RSV-Protect“-Verbundes in einer multizentrischen, konfirmatorischen, präklinischen Studie validiert werden. Geplant ist eine Replikationsstudie im Primatenmodell, um die Wirksamkeit des neu entwickelten Impfansatzes gegen RSV zu bestätigen. Darüber hinaus wird untersucht, ob diese neue Impfstrategie bei Rhesusaffen ebenfalls eine Wirksamkeit gegen Influenza-A-Viren erzielt, heißt es bei der Beschreibung der Fördermaßnahme [9].

Passive Immunisierung über die Mutter

Erfolge in puncto Impfstoffentwicklung gegen RSV berichtet auch das Unternehmen Pfizer in einer Pressemitteilung [10]. Demnach hat eine Studie mit rund 7400 Schwangeren in 18 Ländern gezeigt, dass die Impfung von werdenden Müttern mit dem Impfstoff RSVpreF schwere RSV-Infektionen der unteren Atemwege bei Säuglingen in den ersten 90 Lebenstagen zu fast 82% verhindern kann. Bis zum Alter von sechs Monaten erwies sich der Impfstoff immer noch zu 69% wirksam gegen schwere Erkrankungen. Die Frauen erhielten während des späten zweiten bis dritten Trimesters ihrer Schwangerschaft eine Einzeldosis von 120 µg RSVpreF. Es gab keine Anzeichen für Sicherheits­probleme bei Müttern oder Säuglingen. Die Studie wurde vielmehr aufgrund der guten Ergebnisse vom zuständigen Data Safety Monitoring Board nach Erreichen eines zuvor definierten Erfolgskriteriums vorzeitig abgebrochen und die Daten wurden der US-Gesundheitsbehörde FDA für die Prüfung einer Zulassung des Vakzins übermittelt. Der Antrag bei weiteren Zulassungsbehörden soll laut Pressemitteilung des Unternehmens in den kommenden Monaten folgen [10].

Kinder in Not

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin schrieb 130 Kinderkliniken in einer Umfrage zur aktuellen Bettenauslastung an. Die 110 Krankenhäuser, die geantwortet haben, gaben 367 betreibbare Betten an: Aufgrund von Personalmangel können von insgesamt 607 aufstellbaren Betten für Kinder 240 nicht betrieben werden. Die Ergebnisse der Befragung der pädiatrischen Kliniken zur aktuellen Situation: 83 freie Betten sind auf Kinderintensivstationen in deutschen Krankenhäusern noch verfügbar. 43 Kliniken melden 0 verfügbare Betten auf Normalstation, 44 ein freies Bett. 51 Krankenhäuser mussten bereits Patienten wegschicken (Stand 1. Dezember 2022) [12].

Es handelt sich bei der während einer Schwangerschaft verabreichten Impfung allerdings um eine sogenannte maternale Immunisierung: Die durch den Impfstoff erzeugten Antikörper werden im Mutterleib und später über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben.

Impfstoffkandidat für ältere Patienten

Nicht bei Säuglingen, sondern bei Erwachsenen ab 60 Jahren strebt der Hersteller GSK aktuell die Zulassung eines RSV-Impfstoffkandidaten an, nachdem eine vordefinierte Zwischenanalyse der Phase-III-Studie AReSVi 006 ein positives Ergebnis gezeigt hat. In der randomisierten, Placebo-kontrollierten, Beobachter-verblindeten Studie wurde eine Einzeldosis des adjuvantierten RSVPreF3-OA-Impfstoffkandidaten bei rund 25.000 Erwachsenen in 17 Ländern untersucht. Der primäre Studienendpunkt wurde laut GlaxoSmithKline übertroffen, wobei keine unerwarteten Sicherheitsrisiken beobachtet wurden. Außerdem habe die aktuelle Phase-III-Studie, die die Immunogenität, Sicherheit, Reaktogenität und Persistenz des Impfstoffkandidaten bei älteren Erwachsenen geprüft hat, gezeigt, dass bei Teilnehmern ab 60 Jahren eine Dosis des RSV-Impfstoffkandidaten starke humorale und zelluläre Immunreaktionen induziert. In der AReSVi-006-Studie wird entsprechend untersucht, inwieweit bei älteren Erwachsenen durch eine jährliche Wiederholungsimpfung eine Schutzwirkung über mehrere Saisons nach nur einer Verabreichung des RSV-Impfstoffkandidaten zu erzielen ist [11]. |

 

Literatur

 [1] Lange M et al. Non-appearance of the RSV season 2020/21 during the COVID-19 pandemic – prospective, multicenter data on the incidence of respiratory syncytial virus (RSV)infection. Dtsch Arztebl Int 2021;118:561-562

 [2] Weinberger Opek M et al. Delayed respiratory syncytial virus epidemic in children after relaxation of COVID-19 physical distancing measures. Ashdod, Euro Surveill, 26. Juli 2021;26(29):2100706, doi: 10.2807/1560–7917.ES.2021.26.29.2100706

 [3] Lenzen-Schulte M. RSV und respiratorische Infekte: Der Virenwinter beginnt schon im Sommer. Dtsch Arztebl 2021;118(35-36):A 1574/B-1309

 [4] Europaweite Studie zu RSV-Infketion für bessere Forschung und Überwachung. Respiratory Syncytial virus Consortium in Europe - Sofia ref.: 116019, Informationsdienst der Gemeinschaft für Forschung und Entwicklung (CORDIS), Stand: 31. Januar 2021, https://cordis.europa.eu/article/id/413356-pan-european-study-on-rsv-infection-fuels-future-research-and-surveillance/de

 [5] Ratgeber Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Robert Koch-Institut (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_RSV.html

 [6] Liese J et al. S2K-Leitlinie Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, 30. Oktober 2018, AWMF-Registernummer 048-012012

 [7] DGPI: Beginn der RSV-Prophylaxe bei Risikokindern ab sofort. Pressemitteilung der AstraZeneca GmbH, 24. Oktober 2022

 [8] VIPER – Vergleich von Impfstrategien zur Prävention von Erkrankung durch Respiratorische Synzytial-Viren: Auswirkungen auf Krankheitslast und Kosten. Robert Koch-Institut (RKI), 9. Mai 2019, www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Forschungsprojekte/VIPER/VIPER.htm

 [9] RSV-Protect – Bestätigung der Wirksamkeit eines neuartigen Immunisierungsregims gegen das Respiratorische Synzytial Virus. Informationen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/rsv-protect-bestatigung-der-wirksamkeit-eines-neuartigen-immunisierungsregims-gegen-das-13354.php

[10] Pfizer Announces Positive Top-Line Data of Phase 3 Global Maternal Immunization Trial for its Bivalent Respiratory Syncytial Virus (RSV) Vaccine Candidate. Pressemitteilung der Pfizer Inc., 1. November 2022

[11] GSK veröffentlicht positive Phase-III-Zulassungsdaten für seinen Impfstoffkandidaten gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) für ältere Erwachsene. Pressemitteilung der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, 10. Juni 2022

[12] Aktuelle Klinik-Umfrage belegt: Durchschnittlich kein freies Intensivbett für kritisch kranke Kinder – Notfallmediziner fordern neue Strukturen. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, 1. Dezember 2022, www.divi.de/aktuelle-meldungen-intensivmedizin/aktuelle-klinik-umfrage-belegt-durchschnittlich-kein-freies-intensivbett-fuer-kritisch-kranke-kinder-notfallmediziner-fordern-neue-strukturen

[13] Wochenberichte der AGI von 2017 bis 2022 für KW 48. Robert Koch-Institut (RKI), https://influenza.rki.de/Wochenberichte.aspx

[14] Cai W et al. Determination of respiratory syncytial virus epidemic seasons by using 95% confidence interval of positivity rates, 2011–2021, Germany. Influenza Other Respi Viruses 2022;16:854–857, doi:10.1111/irv.12996

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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