Diskussion

„Wein oder Cognac kauft man doch auch in anderen Läden“

Nikolai Kupsch ist pro Cannabis-Legalisierung, aber gegen den Verkauf in Apotheken

eda | Wenn Nikolai Kupsch mit seinem Hund durch den Park läuft oder morgens aus der S-Bahn steigt, nimmt er regelmäßig wahr, dass das Rauchen von Gras inzwischen zu den Konsumgewohnheiten der Gesellschaft gehört. Dementsprechend sollte die Genussdroge Cannabis auch längst entkriminalisiert werden, meint er. Im Berliner Bezirk Neukölln betreibt Nikolai Kupsch im Wutzky-Center, einem kleinen Nahversorgungszentrum, seine Apotheke. Selbst verkaufen möchte er Cannabis als Genussmittel allerdings nicht. Dagegen spricht seine heilberufliche Verantwortung, wie er gegenüber der DAZ erklärt.
Foto: Konzept und Bild/Cathrin Bach

Beraten ja, abgeben nein – Apotheker Nikolai Kupsch aus Berlin-Neukölln sieht seine heilberufliche Verantwortung nicht im Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken.

DAZ: Herr Kupsch, dass die Apotheken bei der Cannabis-Legalisierung hierzulande mal eine Rolle spielen könnten, haben Sie wann realisiert?
Kupsch: Als Konsumenten lächelnd auf mich zukamen und meinten, dass sie ihr Gras demnächst in meiner Apotheken bekämen. Es ist trügerisch, davon auszugehen, das Thema würde sich nur hinter verschlossenen Türen abspielen. Auch die Leute auf der Straße sprechen längst darüber und sehen in mir den netten Onkel, der für ihre Bedürfnisse da sein soll.

DAZ: Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ stellten Sie am 4. Dezember 2022 klar: „Ich bin Heilberufler und kein Dealer.“ Warum schließt Ihrer Meinung nach das eine das andere zwangsläufig aus? Wie nehmen Sie die Meinungsbildung in der Kollegenschaft wahr?
Kupsch: Bei uns im Berliner Apotheker-Verein diskutieren wir darüber, und ich bin einer von wenigen, die sich sehr differenziert bis vehement-kritisch gegen den Verkauf von Genuss-Cannabis in den Apotheken positionieren. Ich befürchte, dass viele Kollegen dabei vor allem den monetären Anreiz wahrnehmen und weniger ihre heilberufliche Verantwortung. Unser Image und unsere Seriosität werden aber massiv leiden, wenn wir zukünftig einerseits Menschen mit Suchtproblemen bei ihrer Entwöhnung unterstützen und andererseits fleißig an jedem Gramm Gras mitverdienen dürfen.

DAZ: Nun spielt Cannabis – allerdings im medizinischen Kontext – schon seit fast sechs Jahren eine Rolle in den Apotheken. Versorgen Sie und Ihr Apothekenteam auch Patienten mit Cannabis-basierten Arzneimitteln?
Kupsch: Ja, das kommt vor. Ich bin auch sehr dafür, das therapeutische Potenzial von Cannabis zu erforschen und für einzelne Inhaltsstoffe konkrete Indikationen zu finden. Allerdings halte ich die Abgabe und den medizinischen Gebrauch von Cannabisblüten für sehr fragwürdig. Wir Apothekerinnen und Apotheker wissen doch am besten, dass es vor allem auf die Arzneiform ankommt. Somit ist das Rauchen der Blüten unter pharmakologischen und pharmako­kinetischen Aspekten eine Voll­katastrophe …

DAZ: … die aber so manchen schwer kranken Chronikern zu helfen scheint.
Kupsch: Das will ich nicht ausschließen, aber das Ziel muss sein, die Menschen mit qualitätsgesicherten und validen Therapien zu versorgen. Bei Lungenerkrankungen geben wir doch auch keine „Asthma-Zigaretten“, sondern Dosieraerosole ab. Ein Vaporisator zum Verdampfen von Cannabisblüten mag technisch noch so hochentwickelt sein, letztendlich handelt es sich nur um eine bessere Bong mit Hilfsmittelnummer.

DAZ: Glauben Sie, dass man den medizinischen Gebrauch klar vom selbst­bestimmten Konsum trennen kann? Nicht wenige rauchen heute ihr Gras gegen Schlaf- und Angststörungen oder depressive Verstimmungen – und zwar auf eigene Kosten und mitunter vom Schwarzmarkt.
Kupsch: Das zeigt, wie zynisch die Debatte läuft. Wenn Menschen mit ernsthaften psychischen Erkrankungen als austherapiert gelten oder überhaupt keine heilberufliche Zuwendung erfahren und sich schließlich auf dem Schwarzmarkt mit Rauschmitteln eindecken müssen, dann ist das eine Bankrotterklärung unserer Gesellschaft. Wir müssen das also unbedingt klar voneinander trennen: Cannabis-basierte Arzneimittel darf und soll es weiterhin geben. Der Erwerb als Genussmittel muss sich aber außerhalb der Apotheken abspielen.

DAZ: Haben Sie Vertrauen, dass die anderen Abgabestellen auf dem gleichen Qualitätsniveau wie Apotheken beraten können?
Kupsch: Vielleicht sogar noch besser. Wein oder Cognac kauft man doch auch in anderen Läden. Warum gehen die Kolleginnen und Kollegen davon aus, dass nur sie es sind, die über die verschiedenen Varietäten von Gras beraten können und dürfen? Ja, wir sind Sachverständige und hochkompetent, aber ob wir uns deshalb alles an Land ziehen müssen, ist am Ende des Tages immer auch noch eine moralische Frage. Schnaps, Zigaretten und Lotto gibt es im Kiosk, obwohl alle drei gesetz­geberisch streng reglementiert sind – übrigens nicht nur aus Steuergründen, sondern auch aus Gründen des Gesundheits- und Jugendschutzes.

DAZ: Aus regelmäßigem Cannabis-Konsum resultiert u. a. ein Interaktionspotenzial mit unzähligen Wirkstoffen. Wären die Apotheken nicht doch die besseren Abgabestellen?
Kupsch: Gleiches gilt für Alkohol und Grapefruitsaft. Trotzdem stehen die nicht in den Apothekenregalen.

 

Bier und Leberkäs’ aus der Apotheke?

Foto: Bernd Jürgens/AdobeStock

„Frankenwein ist Krankenwein“: Mit diesem historischen Ausspruch warb der Würzburger Apotheker Rolf Schindler Ende der 1980er-Jahre für seine Spezialität. Doch der Aufsichtsbehörde war der Genussmittelvertrieb aus Schindlers Apotheke ein Dorn im Auge. Sie brachte ihn und seinen Frankenwein vor Gericht. Schindler kämpfte sich durch die Instanzen, bis ihm 1992 das Bundesverwaltungsgericht, damals noch in München, den Verkauf endgültig untersagte mit dem Argument: Die Aufgabe der deutschen Apotheken sei die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Schlusswort eines der Richter: „Da könnten Sie auch Bier und Leberkäs’ verkaufen.“ Az: BVerwG 3 B 139/91

DAZ: Das heißt: Beraten ja, abgeben nein?
Kupsch: Ganz genau. Wenn es um arzneimittelbezogene Probleme geht, dann findet die Beratung selbstverständlich in der Apotheke statt. Und das tut sie ja auch schon heute bei Genuss- und Lebensmitteln, die gar nicht in der Apotheke erworben werden können. Selbstverständlich werden wir dafür viel zu schlecht bis überhaupt nicht vergütet. Aber unsere sinkenden Margen plötzlich mit dem Verkauf von Rauschmitteln für den Freizeitgebrauch zu kompensieren, geht dabei eindeutig zu weit.

DAZ: Wie nehmen Sie die bisherige politische Entwicklung der Cannabis-Legalisierung hier in Deutschland wahr?
Kupsch: Ich finde, Cannabis und Alkohol gehören aus kriminalistischer Sicht gleichgestellt, weil sie längst zu den Konsumgewohnheiten der Gesellschaft gehören. Wenn es eine Regierung tatsächlich ernst meint, dann kann sie durch die Cannabis-Legalisierung erfolgreich die Drogensümpfe austrocknen. Das gelingt aber nur, wenn sowohl Vertrieb als auch Anbau klar geregelt werden. Doch ich fürchte, dass die Legalisierungsbemühungen hierzulande zu sehr auf Populismus beruhen.
 

Foto: Screenshot

„Grün rauchen. Gelb wählen.“ Junge Liberale verteilten im Wahlkampf sogenannte Longpapers. Nikolai Kupsch wirft der Ampel-Koalition Populismus bei der geplanten Cannabis-Legalisierung vor.

 

DAZ: Weil FDP und Grüne zur Koalition gehören?
Kupsch: Dass die Jungen Liberalen mit großen Zigarettenblättchen Wahlwerbung betrieben, macht deutlich, dass die FDP nach wie vor eine Klientelpartei ist – neben den Besserverdienern soll es nun auch der kleine Kiffer sein.

DAZ: SPD-Mann Karl Lauterbach ist es aber, der die Legalisierung konkret ausgestalten soll.
Kupsch: Ein Geburtsfehler! Das ist keine Aufgabe für das Bundesgesundheitsministerium, sondern müsste aus den Ressorts Finanzen, Wirtschaft, Inneres und Justiz kommen.

DAZ: Herr Kupsch, vielen Dank für das Gespräch. |

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