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Was für ein Jahr ...
Ein Jahr der Starts
Der Rückblick in zwölf Momentaufnahmen
Die „Sondereffekte“ der Pandemie sind erst mal vorbei. Die Apotheken wurden 2022 nicht mehr spontan herangezogen, ob für Maskenausgabe, Impfstofflogistik, Testungen oder Zertifikate. Doch an ein normales Tagesgeschäft war auch nicht zu denken, und ohne auskömmliche Honorierung fehlt es an einer soliden, betriebswirtschaftlichen Grundlage. Der Fachkräftemangel spitzt sich bedrohlich zu, und in Aussicht stehen höhere Kosten und eine nach oben schießende Inflation. Der für Herbst terminierte Roll-out der E-Rezepte war mehr als holprig und alles andere als perfekt. Honorierte, pharmazeutische Dienstleistungen sind nun möglich, doch die Apotheken sind noch sehr zurückhaltend. Und mit Karl Lauterbach amtiert derzeit ein Minister, der in den Betrieben „Effizienzreserven“ wittert und keine Scheu zeigt, bei ihnen dreistellige Millionenbeträge einzusparen. Warten, hoffen, malochen, durchhalten – die letzten Apothekenjahre waren durchwachsen. Wichtige Weichen wurden gestellt, Früchte gesät. Dieses Jahr gab es viele Starts. Wird es 2023 ein etwas unaufgeregteres Jahr?
Januar
Die Apothekengewerkschaft Adexa und der Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken ADA einigten sich direkt zu Jahresbeginn auf einen neuen Gehaltstarifvertrag für Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Die Mitgliederversammlung des ADA stimmte diesem am 5. Januar zu. Seitdem dürfen sich Apothekenangestellte über ein Gehaltsplus von 200 Euro, PKA sogar über 225 Euro freuen – rückwirkend zum 1. Januar 2022. Im nächsten Jahr wird dann noch einmal erhöht. Tanja Kratt, Leiterin der Adexa-Tarifkommission, und der ADA-Vorsitzende Thomas Rochell, betonen: „Uns war wichtig, dass die Apothekenberufe – mit Blick auf den von der neuen Bundesregierung angestrebten Mindestlohn von 12 Euro – künftig noch mit anderen Berufen mithalten können. Denn im branchenübergreifenden Wettstreit um Nachwuchs und um qualifizierte Fachkräfte zählen die tariflichen Gehälter mehr als eventuelle übertarifliche Zulagen der einzelnen Apothekenleitung.“
Februar
Der Andrang war groß, als es im Februar zum offiziellen Start der COVID-19-Impfungen in Apotheken kam – jedenfalls im Hinblick auf das Medieninteresse. Der Run der Bevölkerung blieb dagegen aus. Die meisten derer, die sich impfen lassen wollten, hatten es schon im Vorjahr erledigt. Die COVID-19-Impfkampagne in den Apotheken begann, als die Nachfrage bereits gesunken war. Auf die Frage, ob die Apotheken die Impfkampagne nun gewissermaßen boostern würden, zeigte sich die ABDA-Präsidentin daher skeptisch. Trotzdem galt dem Berufsstand im Februar die Aufmerksamkeit: Die Publikumspresse begleitete in den Ländern vor Ort die Apotheker und Impfwilligen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder stellte sich sogar demonstrativ hinter das neuartige Angebot einer Apotheke in München. „Apotheken können Pandemie. Sie haben hohes Ansehen und ergänzen das Impfangebot als dritte Säule neben Impfzentren und Ärzten. Wir brauchen viele niederschwellige Angebote“, betonte Söder.
März
Plötzlich ist Krieg. Die Militärinvasion Russlands in der Ukraine verdrängt die Corona-Pandemie aus den Schlagzeilen und den Köpfen der meisten Menschen. Die Situation in der Ukraine wurde von Tag zu Tag immer dramatischer, die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist groß. Viele wollen auch die Arzneimittelversorgung der Ukrainer unterstützen. Die Hilfswerke der Apotheker und Großhandlungen bringen Lieferungen auf den Weg. Zudem können Apotheken Flüchtlinge gegen COVID-19 impfen. Der Krieg in der Ukraine betrifft auch die Pharmaindustrie. Neben dem britischen Unternehmen GlaxoSmithKline, engagieren sich z. B. die Schweizer Unternehmen Roche und Novartis sowie der französische Sanofi-Konzern und das japanische Pharma-Unternehmen Takeda in der Ukraine. Auch deutsche Unternehmen sind betroffen. So ist etwa Stada seit 2019 in der Ukraine tätig und bangt um seine Mitarbeiter. Export, Energie- und Rohstoffpreise sind weitere Aspekte, die der Welt zunehmend Sorgen bereiten.
April
Im November 2019 beschloss die Mitgliederversammlung der Bundesapothekerkammer (BAK), die Approbationsordnung modernisieren zu wollen – unter anderem mit Vertretern des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD), des Verbands der Professoren an Pharmazeutischen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland, der Apothekengewerkschaft ADEXA und der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft traf man sich daraufhin mehrfach am Runden Tisch, um die Weichen für die Zukunft der apothekerlichen Ausbildung zu stellen. Im April wurde dann das Ergebnis bekannt. In einem Positionspapier haben die Beteiligten ihre (mehr oder weniger) gemeinsame Vision vom Pharmaziestudium der Zukunft festgehalten: Mehr Klinische Pharmazie, zehn Unisemester und eine Option auf Teilzeit im praktischen Jahr, sind einige der markanten Pläne. Diese wurden nachfolgend von der BAK-Mitgliederversammlung verabschiedet sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) übergeben. Wie es nun konkret weitergehen wird, ist allerdings noch offen.
Mai
Wer sich in Deutschland gegen Influenza impfen lassen möchte, muss dafür nicht mehr zwangsläufig zum Haus- oder Betriebsarzt. Am 19. Mai verabschiedete der Bundestag das Pflegebonusgesetz. Damit machte das Parlament auch den Weg frei für die Grippeimpfung in der Apotheke – sie wird nun Teil der Regelversorgung und damit unabhängig von Modellprojekten bundesweit möglich. Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte mit dem im Jahr 2020 in Kraft getretenen Masernschutzgesetz die Tür geöffnet, zunächst im Rahmen von Modellvorhaben in Apotheken. Die ärztlichen Standesvertreter ließen seitdem keine Gelegenheit aus, dagegen zu protestieren. Doch ihre Argumente stachen offenbar nicht – im vergangenen Frühjahr überführte der Gesetzgeber sie in die Regelversorgung. Nun lag der Ball wieder im Feld der Selbstverwaltung: GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband (DAV) mussten einen Vertrag aushandeln. Die Heilberufekammern der Ärzte und Apotheker arbeiteten an einem Curriculum.
Juni
Viele Jahre mussten sich die Apotheker gedulden – an einem Freitag im Juni war es endlich so weit: Das Paket an honorierten, pharmazeutischen Dienstleistungen wurde bekannt gegeben. Insgesamt umfasst der Katalog fünf Leistungen. Schon seit Anfang des Jahres hatten GKV-Versicherte Anspruch auf die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen. So ist es im Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz festgeschrieben. Doch der GKV-Spitzenverband und der DAV kamen zu keiner Einigung – letztlich musste die Schiedsstelle eine Entscheidung fällen. Demnach schafften es drei Leistungen in den Katalog, die die Apothekerseite bei den Verhandlungen eingebracht hatte: Medikationsanalysen, Inhalativa-Schulungen und Blutdruckmessen. Hinzu kommen zwei Leistungen, die sich die Kassen gewünscht hatten: die enge pharmazeutische Betreuung von Krebskranken mit oraler Tumortherapie sowie von Immunsupprimierten nach einer Organtransplantation.
Juli
Im Juli begann der Referentenentwurf für das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigte und von vielen gefürchtete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu kursieren. Ablehnung gab es – wie nicht anders zu erwarten – aus den Standesvertretungen der Ärzte und Apotheker. Auch die Pharmaverbände protestierten gegen die geplanten Einsparungen in Milliardenhöhe. Aber zumindest mit dem Finanzminister schien alles besprochen – darauf wies Lauterbach mehrfach hin. Doch dem war offensichtlich nicht so: Christian Lindner (FDP) legte sein Veto ein. Überhaupt war zum damaligen Zeitpunkt völlig offen, wo der Referentenentwurf stand. Das Ministerium erklärte, dass Lauterbachs „Vorschlag […] nun regierungsintern beraten“ werde. Von einer „laufenden Ressortanhörung“ war die Rede. Schließlich gelang der Entwurf ohne größere Blessuren durch das Parlament – im Bundesrat kritisierte man immerhin noch, dass es keine nachhaltige Finanzreform sei – und beschert u. a. den Apotheken einen erhöhten Kassenabschlag für die nächsten beiden Jahre.
August
Im Februar hatte das Bundesgesundheitsministerium raue Mengen des COVID-19-Arzneimittels Paxlovid bestellt. Die 500-Euro-Packungen wurden jedoch zum Ladenhüter, denn die Ärztinnen und Ärzte waren mit der Verordnung sehr zurückhaltend. Um den Absatz zu fördern – es drohte der Verfall! –, ermöglichte Gesundheitsminister Lauterbach, unter anderem Hausärzten bis zu fünf Therapieeinheiten Paxlovid vorrätig zu halten und direkt an geeignete Corona-Patienten abzugeben. Seit dem 18. August gilt nun dieses partielle Dispensierrecht im Hinblick auf Paxlovid. Für ihren Aufwand erhalten die Ärzte sogar ein Entgelt von 15 Euro. Das Kalkül des Gesundheitsministers, durch die direkte Abgabe das Arzneimittel besser an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen, ging auf: In der darauffolgenden Kalenderwoche gingen die an Apotheken ausgelieferten Packungen durch die Decke. Inzwischen ist das Problem des Verfalls gelöst. Die Haltbarkeit von Paxlovid wurde verlängert. Das ärztliche Dispensierrecht gilt trotzdem noch.
September
Ein weiterer Startschuss für das E-Rezept, gleichzeitig ein weiterer Rückschlag für das ambitionierte Digitalisierungsprojekt im deutschen Gesundheitswesen: Ab dem 1. September sollte der bundesweite Rollout in den Regionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein beginnen. Nur wenige Tage vor dem Start informierte jedoch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein darüber, dass sie sich aus dem Projekt zurückzieht. Hintergrund: Die Landesdatenschutzbeauftragte hatte das Weiterleiten des E-Rezept-Token per E-Mail an die Versicherten für unzulässig erklärt. Dieser Weg war ohnehin nicht der offiziell vorgesehene. Wenige Wochen später wurde auch in Westfalen-Lippe die E-Rezept-Einführung auf Eis gelegt. Die dortige KV informierte, dass der Datenschützer zur Übertragung des E-Rezepts über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) eine kritische Haltung habe. Für die KV war dieser Übertragungsweg allerdings die Bedingung ihrer Teilnahme.
Oktober
Im Oktober scherte Lauterbachs Spargesetz auf die Zielgerade ein. Unmittelbar bevor im Bundestag über den Entwurf abschließend beraten und positiv votiert wurde, riefen die Apothekerverbände in vier Bundesländern zu einem Streik auf. Im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Brandenburg und in Hamburg beteiligten sich schätzungsweise 90 Prozent der Apotheken an der Aktion. Am 19. Oktober schlossen die Offizinen ihre Türen und machten die Bevölkerung mittels Plakaten und aktiver Ansprache auf ihre Nöte aufmerksam. Als Erfolg werteten die Verbände auch, dass regionale und überregionale Medien umfangreich berichteten und es damit gelang, die Anliegen der Apotheker in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Unterstützung kam auch aus der Politik. So stellte sich die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) in einem Bericht von RTL Nord klar hinter die Apotheken und bezeichnete die Sparpläne als „unverhältnismäßig“.
November
Schon seitdem sich die Regierungskoalition aus SPD, FDP und Gründe zu Beginn der Legislaturperiode dafür ausgesprochen hatte, Cannabis zu Genusszwecken legalisieren zu wollen, ist eine Diskussion entbrannt. Ende Oktober beschloss das Bundeskabinett dann ein Eckpunktepapier, das zur Prüfung an die EU-Kommission übermittelt wurde. Die mögliche Rolle der Apotheken bleibt darin aber sehr vage beschrieben – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will sie offensichtlich nur heranziehen, wenn wirklich Bedarf besteht. Dennoch setzt sich der Berufsstand mit der Frage auseinander, ob die Abgabe von Cannabisblüten als Genussmittel nicht gegen den heilberuflichen Anspruch verstoße, obwohl das gesamte Projekt ohnehin noch unter Vorbehalt der EU-Kommission steht. Erst wenn deren Votum positiv ausfällt und Deutschland kein Vertragsverletzungsverfahren droht, will die Ampel-Koalition einen Gesetzentwurf auf die Beine stellen. Seit spätestens November richten sich die gespannten Blicke daher nach Brüssel.
Dezember
Arzneimittellieferengpässe und überforderte Kliniken betrafen 2022 vor allem die Jüngsten der Gesellschaft. Kurz vor Ende des Jahres wurde der mediale und gesellschaftliche Druck auf die Politik zum Handeln immer größer. Im Dezember kündigte Gesundheitsminister Lauterbach schließlich an, per Gesetz kurzfristige Schritte einleiten zu wollen, um Kinderarzneimitteln besser verfügbar zu machen und die klinische Versorgung zu sichern. Zum einen sollen die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sich ihrer Vergütung sicher sein. Kinderkliniken sollen Honorarkräfte anstellen können, die über das Pflegebudget, also die Kassen, abgerechnet werden können. Außerdem kündigte Lauterbach bereits Ende November an, per Gesetz die Situation der Lieferengpässe vor allem im generischen (Kinder-)Arzneimittelmarkt zu entschärfen. Dabei setzt der Minister auch auf die Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Er würdigte die Arbeit der Behörde, die schon jetzt helfe, Versorgungsengpässe zu vermeiden.
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