Pandemie Spezial

„Das Impfen unbedingt trainieren!“

Erfahrungen und Tipps eines Apothekenleiters mit den ersten Impfungen

daz | Corona-Impfungen bleiben auch über das Frühjahr hinweg ein heißes Thema in der Pandemiebekämpfung. Neben den Booster- und Viert-Impfungen kommen durch die niedrigschwelligen Angebote durchaus auch noch Erstimpflinge in die Apotheken. Aus dem Stand mit dem Corona-Impfen zu beginnen funktioniert allerdings nicht, hierzu bedarf es intensiver Vorbereitung und Organisation. Wie kann man den ersten Schritt gehen, wie typische Klippen im Vorfeld umschiffen?

Die DAZ sprach darüber mit Dr. Olaf Rose, Apothekenleiter aus Münster, der sich seit Jahren intensiv für den Wandel des Berufsstandes hin zu pharmazeutischen Dienstleistungen einsetzt und zusammen mit seinen Kolleginnen in seinen Apotheken COVID-19-Impfungen anbietet.

Foto: privat

Dr. Olaf Rose wirbt für Impfen in Apotheken.

DAZ: Zunächst einmal: warum ist das Impfen in Apotheken jetzt noch wichtig?

Rose: Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zuerst natürlich die noch immer niedrige Impfquote. Und dann haben wir alle gelernt, dass sich in dieser Pandemie buchstäblich alles von einem auf den anderen Tag ändern kann. Man sollte das Impfen deshalb un­bedingt trainieren und Erfahrungen sammeln, damit man notfalls direkt startklar ist. Sofort loslegen kann man nach dem Absolvieren der Fortbildungen definitiv noch nicht. Ganz konkret muss man alles einmal durchgespielt haben, damit man z. B. abschätzen kann, mit wie vielen Leuten und mit welcher Qualifikation man arbeiten möchte. Oder auch welche Formulare ich wie handhabe. Dann erst kann ich eine mögliche Taktzahl erkennen, optimieren und Anmeldungen annehmen.

DAZ: Haben Sie denn bereits Leute erreicht, die durch Ihr Angebot einer Impfung zugeführt wurden?

Rose: Ja, definitiv. Das gilt z. B. für Mitbürger, die wenig Zeit haben, die keinen Hausarzt haben und die kaum Deutsch sprechen. Wir sehen aber auch, dass manchem die niedrige Schwelle in der Apotheke eine Impfung ermöglicht. Sei es aus Angst vor dem Arzt, sei es aus Bequemlichkeit. Jede Impfung zählt und die relativ häufigen Erstimpfungen bei uns sprechen ja eine deutliche Sprache. Niedrigschwellige Impfangebote zahlen sich in jedem Fall aus. Davon bin ich fest überzeugt. Wir hatten z. B. einen Impfgast, der sich im ganzen Leben aus Angst vor der Nadel nicht hat impfen lassen, und der nun mit 71 Jahren seine allererste Impfung bei uns bekam. Das spricht doch für sich.

DAZ: Eine der Barrieren beim Ein­führen von Impfungen ist schlicht Personalmangel. Was raten Sie hier?

Rose: Das Personal- und Zeitproblem ist da. Corona-Tests, Digitalisierung von Impfnachweisen und die Impfstoff-Belieferung der Praxen sind ja ebenso wie die unsägliche Präquali­fikation aktuell zur normalen Arbeit hinzugekommen. Da sind die Möglichkeiten für weitere Tätigkeiten einfach begrenzt. Wir haben uns auch deshalb für Impfungen außerhalb der Öffnungszeiten entschieden. Glücklicherweise ist die Begeisterung für pharmazeu­tische Dienstleistungen auch bei meinen Kolleginnen in allen drei Apotheken-Teams stark ausgeprägt, wir haben alle die gemeinsame Zukunftsvision von packungslosgelösten Dienstleistungen und brennen für die Offizin-Pharmazie. Auch wenn es bei uns im Team nicht die primäre Motivation war: man kann ja durchaus die zusätzliche Arbeit auch finanziell so honorieren, dass der Schmerz über den geopferten Sonntag nicht ganz so groß ist. Bei größeren Teams kann man sich abwechseln. Man kann sich natürlich auch durch geeignete Mit­arbeiter unterstützen lassen. Den Empfang und die Erstkontrolle auf Vollständigkeit der Unterlagen kann sicherlich auch eine geschulte Person übernehmen, die nicht zum pharmazeutischen Personal gehört. Das Gleiche gilt für das Alarmschlagen im Rahmen der Nachbeobachtung. Da muss jedes Apothekenteam selbst ­entscheiden, wie es die Kontrolle und Übersicht behält. Wir arbeiten jetzt aber zunächst nur mit Approbierten, damit wir alle fit werden und trainieren können. So kann man sich am Anfang auch gegenseitig unterstützen und fühlt sich sicherer. Später kann dann mehr delegiert werden.

DAZ: Thema berufspolitischer Streit mit den Ärzten: was empfehlen Sie, wie sind Ihre Erfahrungen?

Rose: Die Berufsverbände der Hausärzte schießen da meiner Meinung nach deutlich über das Ziel hinaus. Zwar kann man verstehen, dass man diese extrabudgetäre Leistung mit Zähnen und Klauen verteidigt. Maß der Dinge sollte aber immer der Patient bzw. der gesellschaftliche Nutzen sein, sonst macht man sich lächerlich. Prinzipiell ist ja auch keinem Apotheker daran gelegen die Zusammen­arbeit aufzukündigen, ganz im Gegenteil. Niemand wird ein Impfzentrum in seiner Apotheke hochziehen, wenn das in direkter Nachbarschaft von einem Arzt erledigt wird. Ich habe mich so entschieden, dass wir das Impfen hier für uns trainieren wollen. Mit ­unseren Praxen im Haus habe ich gesprochen. Dort ist man nach den vielen Monaten des Großalarms über jede noch so kleine Entlastung dankbar. So ist das von uns ja auch gedacht.

DAZ:Was ist beim Corona-Impfen anders als bei Grippeschutzimpfungen?

Rose: Der große Unterschied bei der praktischen Arbeit ist, dass man hier immer erst den Impfstoff vorbereiten muss, dass man immer mehrere Patienten benötigt und dass man ständig genau überlegen muss, was man tut. Das gilt besonders für Spikevax. Immer genau 20 Patienten zusammen­zubekommen ist quasi unmöglich. Und mal eben statt einer 50 µg- eine 100 µg-Spritze für einen Erst- oder Zweitimpfling aufziehen geht natürlich auch nicht. Wenn man dann auch noch Comirnaty® verimpft, dann muss man schon genau schauen, dass man jeden Patienten fehlerfrei kommuniziert und dass man die Übersicht behält. Das erfordert schon Konzentration und Organisation. Einfacher ist es so gesehen, in der Übungsphase nur mit Comirnaty® zu arbeiten. Man sollte auch keine Bedenken haben, dass man notfalls einige Impfdosen ungenutzt entsorgen muss. Das ist zwar nicht schön, aber letztendlich unvermeidbar: selbst bei perfekter Organisation kann jederzeit jemand abspringen. Und das passiert natürlich auch. Wir rufen die Leute deshalb kurz vor dem Termin noch einmal an oder senden eine Erinnerungs-Mail. Damit können wir die Überraschungen etwas reduzieren.

DAZ: Es gab viel Verwirrung um die Frage, ob eine Aspiration notwendig ist, also das Zurückziehen des Spritzenkolbens nach dem Setzen der Spritze zur Kontrolle, dass keine Gefäße getroffen wurden.

Rose: Bis vor wenigen Tagen galt die Vorgabe, dass man bei Impfstoffen ein schmerz- und stressfreies Impfen ohne Aspiration durchführen sollte. Die Gefäße in den Muskeln sind prinzipiell zu rar und zu klein, als dass hier ein Schaden verursacht werden könnte. Mit dem 18. Update der STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung wird nun die Aspiration als sinnvolle Maßnahme zur weiteren Erhöhung der Impfsicherheit empfohlen. Diese Empfehlung beruht darauf, dass im Tiermodell bei ­direkter intravenöser Gabe von mRNA-Impfstoffen das Risiko für Perikarditis und Myokarditis erhöht ist. Hier ist sicher noch mit einer kontroversen Debatte zu rechnen, ­zumal inzwischen Milliarden Dosen ohne Aspiration verabreicht wurden. Das ist sicher nach eigenem Ermessen auch weiterhin möglich. Ich nehme nicht an, dass in allen Impfstellen jetzt sofort umgestellt wird.

DAZ: Was ist sonst noch zu bedenken?

Rose: Größten Respekt sollte man vor Nadelstichverletzungen mit infizierten Kanülen haben. Deshalb streifen wir die Kanülen sofort nach dem Impfen in den Kerben des Abwurfbehälters ab. Mitarbeiterinnen, die sich dabei nicht so sicher fühlen, werfen die Spritze samt Kanüle in den Abwurf­behälter.

DAZ: Wie erreicht man die Patienten?

Rose: Man muss natürlich deutlich kommunizieren, dass man Impfungen anbietet. Sonst ärgert man sich, wenn man bereit ist und niemand kommt. Wir haben dazu Werbung auf der Buchungsseite unserer Teststelle eingestellt und kleine Flyer in der Offizin aufgehängt. Das reichte bislang aus um genug Zuspruch zu erfahren.

DAZ: Wie viel Zeit nehmen Formulare und Vorbereitung in Anspruch? Was können Sie zum Organisieren raten? Geht auch ein „Impfen to go“?

Rose: Das ist in der Tat ein enormer Aufwand, den man hier betreiben muss. Auf zwei Minuten Impfvorgang fallen locker 10 bis 20 Minuten Organisation, Beratung, Abgleich und Aufnahme. Hierbei ist das Aufziehen der Spritzen noch nicht eingeschlossen. Wir vergeben die Termine deshalb online über ein Terminvergabesystem. Wichtig ist, dass die Impfgäste im Vorfeld schon alle Unterlagen ausgefüllt haben. Dazu kann man die Links auf der Buchungsseite einstellen und die Dokumente zusätzlich in der Apotheke verteilen. Da man ja 6 bis 20 Impf­gäste für ein Vial benötigt und die Haltbarkeit nach dem Aufziehen begrenzt ist, kann ich mir ein spontanes Impfen ohne Planung nicht vorstellen.

DAZ: Wie bewerten Sie die Standes­arbeit in diesem Zusammenhang?

Rose: BAK und Kammern haben hier in Rekordzeit ein gigantisches Fortbildungsprogramm auf die Beine gestellt. Ich fand es großartig, dass die Kammern hier die Lizenz in die Selbstverantwortung der Apothekenleiter gegeben haben. Das ist genau der richtige Weg um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Leider gilt das nicht für die Aufsichtsbehörden, die in der Pandemie häufig als Hemmschuh wahrgenommen wurden. Die Apotheken wissen natürlich selbst am besten, wie es in ihrem Setting funktioniert. Die ABDA und die Kammern haben das ­offensichtlich verstanden und jetzt erstmalig so umgesetzt.

DAZ: Wie kann das Fazit lauten?

Rose: Es ist wichtig, für die Impfung zu werben und die neu erlernten Fähigkeiten jetzt zu trainieren. Ich kann alle Apotheken nur dringend ermutigen, wenigstens ein bis zwei Impftage anzubieten. Um weitere Erkenntnisse für den Berufsstand zu gewinnen, führen wir mit Impac2t und dem Bergischen Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung auch eine Begleit­studie zum COVID-19-Impfen durch, an der alle impfenden Apotheken teilnehmen können (bei Interesse bitte unter rose@impac2t.de melden).

DAZ: Herr Dr. Rose, wir danken Ihnen für das Gespräch! |

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