DAZ aktuell

Ein humanitäres Lebenswerk

Apotheker Thomas Harms unterstützt seit 30 Jahren eine Strahlenklinik in Kiew

eda | Die Katastrophe von Tschernobyl ist mehr als 35 Jahre her und für viele, vor allem jüngere Menschen außerhalb der Ukraine gar nicht mehr so präsent. Doch seit vergangener Woche dominiert das verunglückte Atomkraftwerk wieder die Schlagzeilen, nachdem russische Militäreinheiten das Gelände in der Nord-Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht haben. Für Thomas Harms, einen 75-jährigen Apothekeninhaber aus Weil am Rhein, sind der Reaktorunfall sowie die Verstrahlung von Menschen und Umwelt der Ausgangspunkt für sein humanitäres Engagement, das seit mehr als 30 Jahren besteht.

Thomas Harms, ein 75-jähriger Apotheker aus Weil am Rhein, gründete Anfang der 1990er-Jahre den Verein KiHev Kinderhilfe Kiew und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Not Tschernobyl-geschädigter Ukrainerinnen und Ukrainer. Eine Not, deren Ende noch längst nicht absehbar ist. Dreh- und Angelpunkt für Thomas Harms‘ Wirken ist eine Strahlenklinik im Westen der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Foto: imago images/Ukrinform

Im Atomkraftwerk von Tschernobyl explodierte am 26. April 1986 ein Reaktorblock. Das Unglück führte zu eine Verstrahlung der Umwelt. Es gilt als die größte Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomkraft.

Vor allem Kinder brauchen Hilfe und medizinische Behandlung

In der Klinik werden Menschen mit akuten und langfristigen Strahlenschäden behandelt. Ursprünglich als Kinderabteilung in einer Poliklinik gegründet, hat sich die Einrichtung inzwischen zu einem Zentrum mit rund hundert Angestellten entwickelt, in der jährlich etwa 700 Patienten aus dem gesamten Land betreut werden. Die Erfahrungen finden internationale Aufmerksamkeit – so zum Beispiel 2011 nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, als man sich in Japan plötzlich mit der Behandlung von Strahlenopfern konfrontiert sah.

Apotheker Harms pendelt seit drei Jahrzehnten zwischen Weil und Kiew, um die Arbeit in der Klinik finanziell, materiell und mental zu unterstützen. Schon zu Anfang, wenige Jahre nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl, war ihm bewusst, dass die Behandlung der Betroffenen mehrere Generationen andauern wird. Die Kinder von damals sind inzwischen im Erwachsenenalter und leiden an Stoffwechsel- und Krebserkrankungen sowie organischen Einschränkungen unterschiedlichen Ausmaßes. Doch durch die radioaktive Belastung der Umwelt sind auch lange Zeit nach dem Unglück noch Menschen erkrankt. Außerdem – und das hält Harms für besonders tragisch – werden nach wie vor Kinder mit Strahlenschäden geboren. Zum Teil würden Fehlbildungen und andere Erkrankungen Generationen „überspringen“. ­Heute gehe es um die Enkel der sogenannten Liquidatoren von damals, so Harms. Liquidatoren waren Männer, meist Soldaten oder Feuerwehrleute, die von der Sowjetführung eingesetzt wurden, um die Auswirkungen des Unglücks einzudämmen und die somit einer immens hohen Strahlenbelastung ausgesetzt waren.

Doch für Harms geht es bei seinem ehrenamtlichen Engagement seit 30 Jahren weniger um die Aufarbeitung der Ursachen als vielmehr um das „Hier und Jetzt“, wie er im Gespräch mit der DAZ immer wieder betont. „Wir behandeln in der Klinik alles.“ Man müsse sich auf jegliche Krankheitsleiden und Verläufe einrichten. Dazu gehörten auch die verschiedensten Leukämieformen. Seit den Unruhen im Osten der Ukraine, die vor acht Jahren begannen, würden zu den physischen auch psychische Beschwerden kommen. Die Zahl kriegstraumatisierter Kinder nehme immer weiter zu und ein Ende sei aufgrund der aktuellen Entwicklungen keineswegs in Sicht.

Wer den Verein KiHeV unterstützen möchte

Kinderhilfe Kiew e.V.
c/o Apotheke am Rathaus

Rathausplatz 3
D- 79576 Weil am Rhein

Tel. 07621 9741-10
Fax 07621 9741-115

Spendenkonten „KiHev“

Sparkasse Markgräflerland
IBAN: DE22 6835 1865 0008 1311 12
BIC: SOLADES1MGL

Volksbank Lörrach
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BIC: VOLODE66XXX

Neben Strahlenkranken auch Corona- und Kriegspatienten

Um eine bestmögliche Diagnostik und Behandlung zu gewährleisten, bemüht sich der Apotheker in seinem Verein nicht nur um Geldspenden, sondern auch um die Zurverfügungstellung von Arzneimitteln, medizinischen Geräten und Verbrauchsmaterialien. Durchschnittlich dreimal im Jahr reist er selbst nach Kiew und führt Medikamente und Bargeld mit sich. Um unkompliziert ein- und auszureisen zu können, knüpfte er im Laufe der Zeit wichtige Kontakte zu Vertretern von Zoll und anderen Behörden. Vor Ort koordiniert er dann gemeinsam mit dem jeweilig leitenden Professor der Klinik die Arbeit.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat er seine Reisetätigkeiten zwangsläufig einschränken müssen. Die russische Militärinvasion würde nun zu noch mehr Ungewissheit führen. Doch Apotheker Harms versucht, unbeeindruckt zu bleiben: Der Klinikbetrieb in West-Kiew laufe. Er stehe fast täglich mit den Verantwortlichen in Kontakt. Inzwischen werden dort auch Corona-Patienten sowie Kriegsopfer behandelt. Der leitende Mediziner lebe inzwischen selbst in der Einrichtung und habe seine Familie auf dem Land in Sicherheit gebracht. Ein aus Deutschland stammender Ukrainer hatte im Auftrag Harms‘ noch kurz vor Ausbruch des Kriegs eine Hilfslieferung in Kiew übergeben können. Nun sei der Mann auf der Rückreise und befinde sich seit Tagen inmitten der Flüchtlingsströme, aktuell kurz vor Lemberg.

Foto: KiHev

„Wenn jeder etwas tut, ist das gut“, so Thomas Harms, Apotheker aus Weil am Rhein und Gründer der Hilfsorganisation Kinderhilfe KiHev für die Ukraine.

Thomas Harms spricht deutsch, englisch, französisch, spanisch und auch russisch. Das sei besonders in den Anfangsjahren wichtig gewesen, weil er manchen Dolmetschern nicht über den Weg traute. Nach seinem Pharmaziestudium schlug er in den 1970er-Jahren zunächst eine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität Heidelberg ein. Doch die damals noch damit einhergehende Verbeamtung wirkte auf ihn abschreckend, sodass er sich 1980 mit seiner Apotheke am Rathaus in Weil am Rhein selbstständig machte. Standespolitisch war er nie aktiv, rückblickend ist er enttäuscht von den zahlreichen vertanen Chancen seines Berufsstandes. Umso mehr hat er sich in all den Jahrzehnten darum bemüht, immer wieder selbst etwas auf die Beine zu stellen. „Man darf nie jammern, sondern muss versuchen, sich stets einzubringen“, sagt Harms, der für die Fraktion FDP/Frei Bürger im Weiler Stadtrat sitzt, sich im Förderverein städtische Sing- und Musikschule engagiert und seiner gegründeten Kinderhilfe KiHeV vorsteht. „Wenn jeder etwas tut, ist das gut“, meint der Mann, der sich hauptsächlich immer wieder alleine auf den Weg zu „seiner“ Kiewer Strahlenklinik gemacht hat. Einerseits macht Harms die Militär­invasion des russischen Machthabers Wladimir Putin fassungslos, anderseits versucht er möglichst weiterhin unbeeindruckt die Arbeit seiner Hilfsorganisation fortzusetzen. Kümmerten sich zu Beginn noch 15 Personen um alle Angelegenheiten der Hilfsorganisation, ist es heute vor allem Harms selbst, der agiert und verwaltet. Doch für Kasse, Protokoll und Homepage habe er Leute.

Unterstützungsanfragen in der aktuellen Situation

Im vergangenen Jahr spendete die Kinderhilfe KiHeV rund 30.000 Euro, nebst unzähliger Sachgüter. Wie viel es in diesem Jahr werden, kann Harms natürlich nicht beziffern. Unklar bleibt für ihn auch, inwiefern das Krankenhaus und sein Personal durch den Krieg verschont bleiben. „Egal, diese Klinik braucht Unterstützung. Ich mache weiter.“ Aktuell kämen immer wieder Einzelpersonen und Unternehmen auf ihn zu und fragten, wie sie ihn oder die Ukraine allgemein unterstützen könnten. Harms zeigt sich hin- und hergerissen: Einerseits will er die Hilfsangebote nicht ablehnen. Anderseits findet er es befremdlich, dass sich die Menschen immer nur dann für Leid und Not zu interessieren beginnen, wenn die Nachrichtensendungen darüber berichten.

Apotheker Harms fürchtet, dass der Ukraine-Krieg auch hierzulande zunehmend präsenter wird. Hunderttausende seien auf der Flucht in Richtung Polen, und erste Menschen seien schon in Deutschland angekommen. „Wer weiß, was das bedeutet und welche Hilfe wir dann hier unmittelbar vor unserer eigenen Haustür leisten müssen.“ Auch dafür stehe er bereit und gleichzeitig kümmere er sich ­weiter um die Klinik in Kiew, zu der er so bald wie möglich selbst wieder reisen möchte. Wie und wann genau, kann er nicht vorhersagen, dafür aber versichern: „Ich werde immer einen Weg finden.“ |

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