Gesundheitspolitik

So will die EU im Arzneimittelrecht aufräumen

Lieferengpässe vermeiden, Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln in allen EU-Staaten verbessern

mik/ks | Es hat länger gedauert als geplant – doch vergangenen Mittwoch war es so weit: Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge zur Reform des EU-Arzneimittelrechts vorgestellt. Es sei die größte seit über 20 Jahren, heißt es in der Pressemitteilung. Ein Schwerpunkt ist der Kampf gegen Lieferengpässe.

„Dies ist ein historischer Tag für Bürger, Patienten und die Industrie“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides anlässlich der Vorstellung der geplanten neuen Richtlinie und Verordnung. Die vorrangigen Ziele der Reform sind laut Kommission:

  • die Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel, der sicherstellt, dass alle Patienten in der EU einen zeitnahen und gerechten Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Arzneimitteln haben,
  • die Bewahrung eines innova­tionsfreundlichen Umfelds,
  • die Beschleunigung der Verfahren mit kürzeren Zulassungs­zeiten für Arzneimittel,
  • die Stärkung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln,
  • der Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen und
  • die bessere Umweltverträglichkeit von Medikamenten.

Für Apotheken von Bedeutung ist vor allem, dass auch die EU ein stärkeres Augenmerk auf die Bekämpfung von Lieferengpässen plant. Vorgesehen ist u. a., dass die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) eine stärkere Koordinierungsrolle einnimmt. Es soll eine EU-weite Liste kritischer Arzneimittel erstellt werden – für diese können konkrete Empfehlungen für Maßnahmen abgegeben werden. Auch die Kommission soll Maßnahmen ergreifen können, um die Versorgungssicherheit bei bestimmten kritischen Arznei­mitteln zu erhöhen. Die Pharma­industrie soll Engpässe und auch den Rückruf von Medikamenten zudem früher melden und Vor­sorgepläne erstellen.

Innovationsanreize und kürzere Schutzfristen

Gegen die ungleiche Verfügbarkeit von Medikamenten innerhalb der EU will man mit „Innovationsanreizen“ vorgehen. Denn laut Brüssel haben die Patienten in west­lichen und größeren Ländern wie Deutschland Zugang zu 90 Prozent der neuen Arzneimittel, während es in den östlichen und kleineren Staaten aber nur 10 Prozent seien. Daher will die Kommission an den Unterlagenschutz ran. Zwar soll es für innovative Arzneimittel einen Schutz von bis zu zwölf Jahren geben. Der Standardschutz soll aber von zehn auf acht Jahre fallen: Der Unterlagenschutz soll demnach nur noch bei sechs Jahren liegen – plus (wie bisher) zwei Jahre Vermarktungsschutz. Dann ist der Weg frei für Generika. Eine weitere Verlängerung ist möglich und hängt von verschiedenen Kriterien ab. Beispielsweise können weitere zwei Jahre hinzukommen, wenn ein Unternehmen sein neues Medikament in allen EU-Staaten auf den Markt bringt.

Einen weiteren Fokus legt die EU auf den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Für die Hersteller plant die Kommission in diesem Zuge u. a., die Entwicklung einiger besonderer Präparate durch „Gutscheine“, die einen weitergehenden zeitlichen Schutz der Daten bieten, attraktiver zu machen.

Schnellere Zulassung

Auch die Zulassung von Arzneimitteln soll zukünftig schneller erfolgen. Die EMA soll im Regelfall innerhalb von 180 statt 210 Tagen ihre Einschätzung abgeben, die Zulassung der EU-Kommission soll innerhalb von 46 statt 67 Tagen erfolgen. Auch die öffentliche Finanzierung der Entwicklung neuer Arzneien soll transparenter werden. Zudem sollen bestehende Regeln zum Schutz der Umwelt durch Arzneimittel besser durchgesetzt werden.

Unangetastet lassen die Reformvorschläge übrigens unter anderem die Regelungen zu traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln, Homöopathika sowie Arzneimittelfälschungen. Sie sollen unverändert aus der bestehenden Richtlinie übernommen werden.

Gesundheitskommissarin Kyriakides erklärte: „Mit unseren Vorschlägen soll sichergestellt werden, dass Arzneimittel die Patientinnen und Patienten in ganz Europa zeitnah und auf gerechte Weise erreichen. Es handelt sich um eine Reform, mit der gewährleistet wird, dass Europa für Unternehmen attraktiv und unsere Arzneimittelindustrie ein welt­weiter Innovationsmotor bleibt.“

Kritik von Pharmaverbänden

Die ersten Reaktionen aus den Pharmaverbänden sind alles andere als überzeugt: Durch den verkürzten Unterlagenschutz werde der Schutz des geistigen Eigentums bei Innovationen geschwächt, beklagt etwa der Verband forschender Pharma-Unternehmen. Beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) sieht man „viel Schatten und wenig Licht“.

Die Vorschläge werden nun an das EU-Parlament und den Rat weitergeleitet. Die Diskussion um die Regelungen wird damit erst richtig anlaufen. Bis sie verabschiedet sind und in Kraft treten können, wird wohl noch einige Zeit vergehen. |

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