Gesundheitspolitik

Kein Schmerzensgeld wegen überzogener Angst vor Krebs

Valsartan-Patientin klagt gegen Pharmaunternehmen

ks | Wenn sich durch die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 0,02 Prozent erhöht, sind hierdurch ausgelöste Ängste kein Grund für Schmerzensgeldansprüche. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden. (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 26.04.2023, Az. 13 U 69/22)

Als 2018 bekannt wurde, dass das laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation und der EU „wahrscheinlich krebserregende“ N-Nitrosodimethylamin (NDMA) in Blutdrucksenker mit dem Wirkstoff Valsartan gelangt war – und zwar in einen Großteil der verfügbaren Präparate –, sorgte dies verständlicherweise für große Verunsicherung. Abgesehen von den ganz praktischen Widrigkeiten, die die Krise in den Apotheken auslöste, sowie den politischen Folgen, wollten viele betroffene Patientinnen und Patienten nicht einfach hinnehmen, was ihnen widerfahren ist. Doch Arzneimittelhaftungsprozesse sind keine ein­fache Angelegenheit. Bislang gibt es erst wenige Gerichtsentscheidungen zu diesem Komplex – und keine durchschlagenden Erfolge für klagende Patienten. Das sieht im jetzt vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall nicht anders aus.

Mindestens 21.500 Euro Schmerzensgeld gefordert

In diesem Fall hatte die Klägerin seit vielen Jahren blutdrucksenkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan erhalten. Sie ging gegen den Hersteller „ihres“ Präparates vor, der 2018 alle Chargen mit diesem Wirkstoff wegen der produktionsbedingten Verunreinigung zurückgerufen hatte. Die Frau wollte ein Schmerzensgeld von mindestens 21.500 Euro zugesprochen bekommen. Der Grund: Seit Kenntnis des Rückrufs leide sie unter der psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken. Bereits das Wort „krebserregend“ beunruhige sie, argumentierte sie. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume.

Klageabweisung schon in erster Instanz

Schon das Landgericht Darmstadt hatte die Klage abgewiesen. Die Berufungsinstanz sah den Fall nicht anders. Die Klägerin habe keine „erhebliche“ Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Ihre Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behandlungsbedürf­tige Gesundheitsverletzung. Das Gericht verweist auf einen Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittel-Agentur, wonach das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchst­dosis über einen Zeitraum von sechs Jahren um 0,02 Prozent erhöht sei. Demgegenüber werde das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, für Deutschland mit 43,5 Prozent angegeben. Vor diesem Hintergrund sei ein um 0,02 Prozent erhöhtes Risiko „nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Alb­träumen zu verursachen“.

Nur minimal höheres Krebsrisiko ist noch kein Schaden

Die Haftung des beklagten Unternehmens scheide auch aus, da die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht „infolge“ der Arzneimitteleinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei nicht geeignet, die angeführten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen – das hatte auch die Klägerin eingeräumt. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen. Tatsächlich konnte die Frau mit einem geringfügig erhöhten Krebsrisiko rechnen. Dieses verbleibe aber in einem Rahmen, „der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen“, begründet das OLG. Die nur geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, sei nicht per se als Schaden zu werten. Das gelte ebenso für die Verunreinigung des Arzneimittels an sich, die auch folgenlos bleiben könne.

Darüber hinaus sah das Gericht auch keine anderen schadensverursachenden Umstände vorliegen. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht seien, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien.

„Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verunreinigungen enthält, die möglicherweise krebserregend sind, können (...) der Beklagten nicht zugerechnet werden“, heißt es abschließend in der Presse­mitteilung des Gerichts.

Noch nicht rechtskräftig

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Frau kann noch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, um eine Revision zu erreichen. |

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