Gesundheitspolitik

Rezeptpflicht gegen Resistenzen?

OTC-Präparate gegen Fußpilz oder Herpes bald nur noch auf Rezept? 

dm | Derzeit wird das EU-Arzneimittelrecht überarbeitet. Wer betroffen ist, meldet sich zu Wort – und es gibt ganz offensichtlich viel Diskussionsbedarf. Eine Frage, die auch für die öffentlichen Apotheken relevant ist, lautet: Lassen sich (Antibiotika-)Resistenzen und Einträge von Arzneimitteln in die Umwelt mithilfe einer Rezeptpflicht für bislang rezeptfreie OTC-Präparate reduzieren? Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) meint: nein.

Am 26. April dieses Jahres hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für die Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts vorgelegt und damit ein europäisches Gesetzgebungsverfahren gestartet – bis zu dessen Ende wohl noch einige Zeit vergehen wird.

Die meisten Apotheker:innen werden den Vorschlag medial vor allem unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelengpässe wahrgenommen haben. Doch zwei weitere Ziele der Reform könnten für Apo­theker:innen noch relevanter werden, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Das geht aus einer Stellungnahme zu den Legislativvorschlägen der EU-Kommission hervor, die der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) am 7. Juni beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) abgegeben hat. Der erste Punkt in dieser Stellungnahme lautet: „Aufrechterhaltung des OTC-Status für Antimykotika, antivirale Arzneimittel und Schmerzmittel“. Er bezieht sich auf zwei der sechs von der EU-Kommission vorrangig genannten Ziele der Reform

  • der Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen und
  • die bessere Umweltverträglichkeit von Medikamenten.

Rezeptpflicht für antimikrobielle Arzneimittel geplant

Doch warum droht durch den „Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen“ und die Zielsetzung der besseren „Umweltverträglichkeit von Medikamenten“, dass Antimykotika, antivirale Arzneimittel und Schmerzmittel aus dem Selbstmedikationsbereich verschwinden? Das wird deutlich, wenn man einen Blick in den neuen Gesetzesvorschlag wirft.

Bei der Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts geht es sowohl um eine neue Richtlinie (muss in nationales Recht umgesetzt werden) als auch eine neue Verordnung (gilt unmittelbar für alle EU-Länder). Der BAH bezieht sich mit dem genannten Kritikpunkt auf Artikel 51 des Richtlinienentwurfs, in dem es um verschreibungspflichtige Arzneimittel geht. Denn dort steht neu, dass ein Arzneimittel generell der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegen soll, wenn es sich um ein anti­mikrobielles Mittel handelt oder einen Wirkstoff, der sich in der Umwelt bedenklich anreichert. Jedem Apotheker und jeder Apothekerin dürfte angesichts dieser Formulierung klar sein: Würde die Richtlinie so in Kraft treten und in nationales Recht umgesetzt werden, wären plötzlich einige derzeit apothekenpflichtige Arzneimittel aus dem Bereich der Selbstmedikation rezeptpflichtig. Der BAH schreibt wörtlich: „Patienten mit Gesundheitsbeschwerden wie Lippenherpes oder Fußpilz und akuten sowie chronischen Schmerzen müssten zukünftig einen Arzt aufsuchen.“

BAH fürchtet Marktrückzug von OTC-Anbietern

Das würde nicht nur zu mehr Arbeit für Ärzt:innen, sondern auch „Kosten im zweistelligen Milliardenbereich für die GKV“ führen, rechnet der BAH vor. Unternehmen, die sich bislang auf den OTC-Markt konzentriert haben, könnten sich in der Folge komplett aus dem Markt zurückziehen, befürchtet er zudem. Und auch aus medizinischer Sicht äußert der BAH Bedenken: Durch die Rezeptpflicht könnte ein Behandlungsbeginn von beispielsweise Fußpilz unnötig verzögert werden.

Dass es sich bei dieser Interpretation des Richtlinienentwurfs um kein Missverständnis handelt, wird in Artikel 4 Absatz 22 deutlich, in dem antimikrobielle Substanzen (antimicrobials) definiert werden als: „jedes Arzneimittel mit direkter Wirkung auf Mikroorganismen, das zur Behandlung oder Vorbeugung von Infektionen oder Infektionskrankheiten eingesetzt wird, einschließlich Antibiotika, Virostatika und Antimykotika“. Als weitere potenziell betroffene Produkte aus der Apotheke nennt der BAH z. B. „Desinfektionsmittel und Antiseptika wie Alkohole und Povidon-Jod“. Zu denken wäre aber wohl auch an Halsschmerztabletten mit antiseptischen Wirkstoffen.

Dass es die EU-Kommission mit ihrem Richtlinien-Entwurf und der Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen in der EU ernst meint, wird im Erwägungsgrund 68 des Richtlinienentwurfs deutlich: Demnach sollen die einzelnen Mitgliedstaaten sogar über weitere Maßnahmen nachdenken, die über die neue Rezeptpflicht für antimikrobielle Substanzen hinaus­gehen – beispielsweise die Pflicht zu diagnostischen Tests vor einer Verordnung.

Überzogenes Vorgehen?

Der BAH hält diese Vorgehensweise für „überzogen“ und schlägt vor, die neue Verschreibungspflicht auf Antibiotika zu beschränken, wobei Desinfektionsmittel und Antisep­tika zur äußerlichen Anwendung ausdrücklich von einer Verschreibungspflicht ausgenommen sein sollen. Als Grund gibt er an, dass „Resistenzen bei topisch anzuwendenden Präparaten gegen Virus- und Pilzinfektionen aus dem nicht verschreibungspflichtigen Bereich, im Gegensatz zu Antibiotika und systemisch anzuwendenden Antimykotika bzw. antiviralen Arzneimittel, nicht hinreichend untersucht“ seien. Die Resistenzentwicklung gegen Antibiotika völlig vom Vorhandensein anderer antimikrobieller Substanzen in der Umwelt zu trennen, erscheint jedoch nicht in jedem Fall sinnvoll. So machte etwa das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie Ende 2022 darauf aufmerksam, dass quartäre Alkylammoniumverbindungen (kurz QAAV) auch Antibiotika­resistenzen auslösen können.

Auch ABDA und BfArM skeptisch

Auch die ABDA hält eine Verschreibungspflicht für jegliche antimikrobielle Arzneimittel für „zu weitreichend“. Man arbeite an einem Vorschlag, welche einschränkende Formulierung sachgerecht sein könnte, teilte ein Sprecher der DAZ im Juni mit. Beim BAH-Sommerfest im Juni brachte zudem Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kritik am Richtlinienentwurf zum Ausdruck: „Da schießt man unter dem Eindruck der Antibiotikaresistenzen über das Ziel hinaus.“ Und auch erste Einschätzungen des GKV-Spitzenverbandes zum EU-Arzneimittelpaket gehen in eine ähnliche Richtung: Dort hält man die geplante Rezeptpflicht „mit Blick auf die antimikrobielle Resistenzentwicklung“ für eine sinnvolle Maßnahme. Doch: „Im weiteren Verfahren sollte darauf geachtet werden, dass angemes­sene Ausnahmen vorgesehen werden, bspw. für dermatologische Antimykotika zur Behandlung von Fußpilz (Tinea pedis)“.

Die vorgeschlagene Rezeptpflicht für Wirkstoffe, die sich in der Umwelt bedenklich anreichern, sieht der BAH noch kritischer. Nicht nur, weil die entsprechende Formulierung sehr missverständlich ist, spricht sich der BAH dafür aus die Idee ersatzlos zu streichen. Mindestens solle die Formulierung so angepasst werden, dass deutlich wird, dass „bei entsprechenden Arzneimitteln keine Verschreibungspflicht verpflichtend sein sollte, wenn dies die Verwendung des Arzneimittels und die Patientensicherheit nicht erfordert“. Wie bei den antimikrobiellen Substanzen führt der BAH zur Untermauerung seines Standpunktes vor allem einen Mangel an Daten an: „Die Umweltverträglichkeit eines Arzneistoffs ist als Kriterium für die Vertriebsabgrenzung ungeeignet und sollte ent­fallen. Die notwendigen Daten für eine solche Bewertung liegen nicht vor, und ihre Interpretation ist überdies derzeit nicht Teil der ärztlichen Berufsausübung“, heißt es in der Stellungnahme.

Es sei nicht klar, ab wann (welchem Schwellenwert) ein Wirkstoff als umweltschädlich (im Sinne der vorgeschlagenen Richtlinie) ein­zustufen ist. Tatsächlich werden aber gerade auf EU-Ebene Umweltgrenzwerte für zahlreiche Arzneimittel erarbeitet. Zudem scheint dem BAH grundsätzlich klar zu sein, worum es eigentlich geht: „Im Mittelpunkt der Diskussion stehen rezeptfreie Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Diclofenac und Ibuprofen, vor allem die topischen Anwendungsformen, die in Deutschland seit Jahrzehnten rezeptfrei erhältlich sind“, führt der BAH aus. Doch der Verband stellt infrage, ob eine Rezeptpflicht tatsächlich zur Reduktion des Eintrags von Diclofenac und Co. in die Umwelt führen würde – weil er davon ausgeht, dass im deutschen OTC-Bereich kein Schmerzmittel-Übergebrauch vorliegt.

Insofern sind die Ziele der beiden Neuerungen in der EU-Richtlinie wohl begrüßenswert. Ob sie sich über eine Rezeptpflicht erreichen lassen – und wenn nicht, welche alternativen Maßnahmen es gibt –, wird wohl noch intensiv diskutiert werden müssen. |

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