Die Seite 3

Lange Sicht gesucht

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Das Lieferengpassgesetz, auch bekannt als ALBVVG, liegt seit voriger Woche als Kabinettsentwurf vor. Apotheken und Pharma­industrie kritisieren die halbherzigen Maßnahmen, die unzulänglichen Details und die drohende neue Bürokratie. Der größte Mangel ist, dass die geplanten neuen Regeln die meisten Lieferengpässe nicht wesentlich verringern werden. Gesundheitsminister Lauterbach hat das zentrale Problem zwar durchaus treffend benannt: Das Sparen ist weit über das Ziel hinausgeschossen. Doch es reicht nicht, punktuell ein bisschen mehr Geld in die Hand zu nehmen. Das Problem sitzt tiefer. Die Strukturen wurden zu lange in die falsche Richtung vorangetrieben. Insbesondere war der Blick nicht nur inhaltlich zu eng auf das Sparen ausgerichtet, sondern er ist weiterhin auch zeitlich zu eng begrenzt. Bei Rabattverträgen sah die Politik bisher und sehen die Krankenkassen noch immer nur den möglichen ersten Spareffekt. Manche meinen, der Wettbewerb würde zunehmen. Doch das gilt allenfalls kurzfristig. Zunächst mag ein Oligopol mit hartem Rabattwettbewerb entstehen, aber nach einigen Runden scheiden so viele Anbieter aus, dass es gar keinen Wettbewerb mehr gibt. Viele übersehen auch, dass jeder Arzneistoff einen eigenen Markt darstellt. Denn die Wirkstoffe sind meistens nicht substituierbar. Die Märkte sind daher sehr eng. Das alles macht Rabattverträge zu einem Sparinstrument mit Verfalldatum. Die kurzfristige Sparwirkung lässt sich nicht fortschreiben, sondern kehrt sich später sogar um. Wenn der Mechanismus ausgereizt ist, sind andere Instrumente und neue Ideen gefragt – wie bei einem Arzneimittel, das nicht mehr anschlägt und irgendwann nur noch Nebenwirkungen hat.

Dies nicht zu erkennen, ist offenbar ein grundsätzlicher Fehler der Gesundheitspolitik. Denn er ist auch an anderen Stellen zu finden. So soll die frühe Nutzenbewertung Arzneistoffe mit bestens belegtem Zusatznutzen fördern. Das war zunächst gut, schafft aber langfristig Anreize, nur noch für Indikationen zu arbeiten, in denen schnell deutliche Erfolge nachweisbar sind. Viele Hersteller stellen daher die Forschung an Volkskrankheiten ein. Denn dort geht es darum, Folgeschäden in Jahrzehnten zu verhindern, was sich kurzfristig kaum nachweisen lässt. Das Problem besteht auch bei der Apothekenhonorierung, die 2004 mit dem Kombimodell von den stark steigenden Preisen der Arzneimittelinnovationen ab­gekoppelt werden sollte. Das ist gelungen, hat die Apotheken aber von der ganzen Wirtschaftsentwicklung ausgeschlossen. Ein an­gemessener Anpassungsmechanismus wurde bis heute nicht eingeführt.

Zu einer neuen Gesundheitspolitik gehört daher insgesamt ein weiterer Blick, nicht nur auf das Sparen und nicht nur auf einen ersten Effekt, sondern auf die lange Sicht und die Folgen in weiteren Runden. Dann erübrigen sich kurzfristige Reparaturen und damit auch Irritationen wie beim Inkrafttreten der neuesten Übergangsregeln für den Arzneimittelaustausch, das bis Ostern ausstand. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest diese kurzfristige Hürde genommen ist, bis diese DAZ-Ausgabe erscheint.

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