Aus den Ländern

Menschenskinder!

Beim Niedersächsischen Fortbildungskongress standen die Kleinen ganz groß im Fokus

BAD ZWISCHENAHN (ck) | Am 22. und 23. April 2023 fand in Bad Zwischenahn der 9. Niedersächsische Fortbildungskongress statt. Rund 200 Apothekerinnen und Apotheker waren gekommen, um sich zum ersten mal nach 2018 endlich wieder in Präsenz fortzubilden, vorhandenes Wissen aufzufrischen oder Neues zu erfahren. Dabei standen Kinder thematisch im Mittelpunkt.
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Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, drückte in der Begrüßung ihre große Freude darüber aus, die vielen Kolleginnen und Kollegen nach der langen Corona-bedingten Pause wieder persönlich begrüßen zu können.

Jedes Kind ist besonders, und Kindergesundheit verlangt ganz besonders viel Aufmerksamkeit, so Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, in ihrer Begrüßung. Kinder erkranken anders als Erwachsene, ihre Symptome und der Krankheitsverlauf unterscheiden sich und sie müssen anders therapiert werden. „Als Experte für Arzneimitteltherapie wissen wir, wie besorgte Mütter und Väter in der Apotheke bei akuten Beschwerden ihrer Kinder gut beraten werden können“, so Burs. Mit pharmazeutischer Kompetenz und viel Fingerspitzengefühl müsse im persönlichen Kontakt jeder Einzelfall bewertet und verantwortungsvoll eine angemessene Entscheidung getroffen werden. Kindgerechte Dosierungen und Darreichungsformen und der gelegentliche Off-Label-Use von Arzneimitteln sind dabei eine ständige Herausforderung für alle Apothekerinnen und Apotheker.

Apotheker als Verbündete der Dermatologen

Prof. Dr. Hagen Ott, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Hannover, bezeichnete Apothekerinnen und Apotheker und PTA als die „natürlichen Verbündeten der Kinderdermatologen“. „Wir brauchen Sie da draußen, denn die Kenntnisfreiheit, was Magistral- und Individualrezepturen angeht, ist auf ärztlicher Seite in der breiten Fläche doch sehr ausgeprägt.“

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Prof. Dr. Hagen Ott

Und, so Ott, die Apothekerinnen und Apotheker werden benötigt, um Kinder zu erkennen, die wirklich Hilfe benötigen: Sollen Kinder mit einem anamnestisch genetisch belegten erhöhten Risiko für ein Ekzem (ein Geschwisterkind und/oder ein Elternteil haben aktive Neurodermitis) von Anfang an eingecremt werden? Die Antwort von Ott ist eindeutig Nein. Es gebe keine Evidenz dafür, dass hautgesunde Kinder (auch nicht die, die etwas schuppende Haut haben) eingecremt werden müssen. Wenn aber die Kinder erkrankt sind und eine Neurodermitis diagnostiziert wurde, dann muss die Basistherapie mit Hautpflegeprodukten konsequent durchgeführt werden, egal wie akut das Stadium ist. Die stärkste Empfehlung der Leitlinie lautet ganz klar, dass Ärzte in diesem Fall Rezepte ausstellen müssen. Ott appellierte, dass in der Apotheke die Eltern darin bestärkt werden sollten, sich vom Hautarzt nicht abspeisen zu lassen. Aussagen wie „ich darf ja bei Kindern unter sechs Jahren kein Rezept ausstellen“ sind einfach nicht wahr. Ja, das Budget kann ein Problem sein für den Kinderarzt, aber er hat einen Versorgungsauftrag, und er muss – wenn es indiziert ist – die Creme aufschreiben, betonte Ott.

Das pharmazeutische Wissen werde auch dann benötigt, wenn es um die Verordnung von Antibiotika gehe. Das Problem sind Streptokokken, die in diesem Jahr außer Rand und Band scheinen, Ott bezeichnete sie als „Gewinnler der COVID-19-Isolationsmaßnahmen“. Wenn für ein Kind mit einer Hautinfektion Cefuroxim Saft aufgeschrieben wurde, sollten die Alarmglocken schrillen. Das Betalaktam-Antibiotikum Cefuroxim wirkt gegen ein sehr breites Erregerspektrum und ist aufgrund seiner schlechten oralen Bioverfügbarkeit von nur 50% oft „völlig unnötig“, meint Ott. Habe man ein gutes Verhältnis zum verschreibenden Arzt, so könne aus der Apotheke ruhig der Hinweis gegeben werden, dass Cefadroxil eine bessere Alternative wäre, da es vor allem grampositive Streptokokken adressiert.

Ein Kind kommt selten allein in die Apotheke

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Christine Bender-Leitzig

Christine Bender-Leitzig, Fachapothekerin für Offizinpharmazie aus Wiesloch, brachte viele Beispiele und Tipps für eine erfolgreiche Anwendung von Arzneimitteln an Kindern. Denn nicht immer ist es möglich, mit dem kleinen Patienten direkt zu kommunizieren. Einem erwachsenen Patient stehe man gegenüber, kann mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen, sehe seine Symptome, seine Reaktionen. Bei einem Kind ähnelt das eher einem Stille-Post-Spiel: ein Elternteil war mit dem Kind beim Arzt, ein anderes Elternteil wird in die Apotheke geschickt – und weiß nur aus zweiter Hand, was der Arzt gesagt hat. Und andersherum werden auch Informationen an Lehrer oder Betreuende durch Eltern oder Großeltern gefiltert weitergegeben. Dabei gehen Informationen Stück für Stück verloren, und Christine Bender-Leitzig betonte, wie wichtig es sei, Informationen den Begleitern der kleinen Patienten schriftlich mitzugeben. Sie versuchte die Zuhörer dafür zu sensibilisieren, dass in Deutschland bei Weitem nicht alle ausreichend lesen können. Studenten und junge Apothekerinnen und Apotheker könnten sich oft einfach nicht vorstellen, dass man nicht lesen kann. Einfach auf den Beipackzettel zu verweisen, sei da nicht wirklich hilfreich. Reden, reden, reden, nicht müde werden, bei jedem Patienten wieder von vorne anzufangen und am besten die Informationen auch bildlich darzustellen, das sei ein erfolgversprechender Weg. Bei der Abgabe vor Ort in der Apotheke sollte die Anwendung sorgfältig erklärt werden. Zusätzlich können Dosierhilfen angeboten oder Dosierungen auf der Dosierhilfe markiert werden. Bender-Leitzig hat gute Erfahrungen mit Anwendervideos gemacht. Mittlerweile bieten viele Hersteller, Apotheken oder Selbsthilfegruppen solche Videos auf ihren Internetseiten an. Als besonderen Service könnte man QR-Codes als Aufkleber anbieten, die schnell und unkompliziert im Gespräch bei der Abgabe des Arzneimittels auf die Verpackung geklebt werden können: die Patienten gelangen so einfach zu Anwenderhilfen. Und das auch, wenn sie vielleicht nicht so gut lesen können. Besonderes Augenmerk müsse auf Notfallmedikationen (Notfallpens bei allergischer Reaktion, krampflösende Arzneimittel) gelegt werden. Hier ist es besonders wichtig, dass die Anwendung verstanden und vorher geübt wird! Und es sollten alle Bescheid wissen – Eltern, Großeltern, Freunde, Kita, Schule, Sportverein, Musikschule: Wo ist das Notfallkit und wie wird es benutzt. Allen Beteiligten in Kita oder Schule sollte vermittelt werden, dass es wesentlich gefährlicher ist, den Pen nicht anzuwenden, als ihn anzuwenden! Ganz wichtig: das gesamte Apothekenteam sollte regelmäßig zu besonderen Darreichungsformen geschult werden. Wer sicher in der Handhabung ist, der berät auch aktiv und offensiv, so die Erfahrung von Bender-Leitzig. Das gilt auch für die Zubereitung der häufig verordneten Trockensäfte. Es sei erschreckend, so Bender-Leitzig, dass hier die Zubereitung von Arzneimitteln Laien überlassen werde. Anders als in Deutschland wird die Zubereitung in den meisten Ländern vergütet und durch die Apotheke durchgeführt! Auch die Dosierhilfen von Arzneisäften sind nicht selbsterklärend und die Anwendung fehleranfällig, die mitgelieferten Dosierlöffel sind bei Abmessung von halben oder viertel Millilitern oft ungenau, erhebliche Abweichungen von bis zu 30% bei Amoxicillin- und Ery­thromycin-Säften sind möglich.

Auch Inhalationssysteme für Kinder sind fehleranfällig: Sie müssen bei Kindern dem Alter und dem individuellen Entwicklungs- und Schulungsstand angemessen sein. Bei gutem Training sind Kinder erst ab etwa dem sechsten Lebensjahr in der Lage, Dosieraerosole und Pulverinhalatoren wie Erwachsene zu benutzen. Kinder unter zwölf Jahren sollten immer unter Aufsicht eines Erwachsenen inhalieren. Als einen Spezialfall nannte Bender-Leitzig Salbutamol, das in verschiedenen Arzneiformen erhältlich ist: Inhalationslösung, Fertiginhalat, Dosieraerosol oder Tropfen zur oralen Anwendung. Fehlverordnungen bzw. -anwendungen kommen durchaus vor. Daher sollte immer bei der Abgabe erfragt werden, ob die Eltern wissen, wie das Präparat angewendet und dosiert wird, und ob ein Spacer oder Vernebler bereits vorhanden ist. Ist die Vorgehensweise bei der Verordnung mehrerer Sprühstöße oder mehrerer Dosieraerosole bekannt? Denn es darf immer nur ein Hub in die Inhalierhilfe gegeben werden, mehrere Hübe werden nacheinander verabreicht.

Unterstützung für kleine Diabetiker

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Dr. Janjte Weiskorn

Dr. Janjte Weiskorn berichtete, wie kleine Patienten mit Diabetes Typ 1 unterstützt werden können, damit auch die Stoffwechsellage möglich gut eingestellt und auch mit dieser Autoimmunerkrankung ein möglichst normales Leben möglich wird. Bis zum Alter von sechs Jahren wird eine Insulinpumpentherapie von den Krankenkassen übernommen. Ab dem Schulalter werden Spritzen und Pens eingesetzt. Ein Problem bei der Pumpentherapie und dem dazugehörigen Aufkleben von Sensoren kann ein irritatives bzw. allergisches Kontaktekzem sein. Zu Irritationen kommt es durch mechanische oder chemische Reizung, Entzündungsreaktion ohne Sensibilisierung. Begünstigt durch eine lange Okklusion der Haut stören die Wärme und Feuchtigkeit die Hautbarriere. Ein allergisches Kontakt­ekzem tritt häufig erst nach Monaten nach vorausgegangener Sensibilisierung auf. Ursache sind meist Kunststoffverbindungen aus Klebstoff oder Gehäusebestandteilen z. B. Acrylate oder Dimethylacrylamid. Die Sensibilisierung bleibt lebenslang und ist lokalisationsun­abhängig. Helfen könnten präventive Maßnahmen wie eine intakte Hautbarriere, vor dem Aufkleben auf saubere, trocken Haut achten, häufiger Lokalisationswechsel und ein vorsichtiges Pflasterlösen. Auch könnten zusätzliche Hautbarrieren wie Hautschutzsprays oder Pflaster auf Hydrokolloid- oder Silikonbasis eingesetzt werden. Das Problem: es wird kein lang anhaltender Schutz erreicht. Bedacht werden muss auch, dass die Zulassung von Sensoren und Pumpen sich nicht auf solche zusätzlichen Hautbarrieren erstreckt, damit wird es ein Off-Label-Use.

Das Beste für den Mensch ist der Mensch

Prof. Dr. Christoph Möller, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom Kinderkrankenhaus Auf der Bult, Hannover, zeigte sich erstaunt, dass er beim Blick in den Saal niemanden entdeckte, der auf sein Handy schaute. Das sei in Vorlesungen nicht immer der Fall: i-Phone und Smartphone sind heute allgegenwärtig, im Durchschnitt schauen wir alle neun Minuten auf solch ein Gerät, insgesamt drei bis fünf Stunden am Tag. Der Medienkonsum von Kindern sollte nicht unterschätzt werden: Alles, was wir machen, hinterlässt Spuren im Gehirn, so Möller. Der gewollte immer frühere Kontakt mit Smartphones und anderen Medien sowie die zunehmende Digitalisierung in der Gesellschaft, in Grundschulen und auch schon Kitas erschwere die geistige Entwicklung von Kindern. Was kleine Kinder brauchen, sind sinnliche Erfahrungen: Bewegung, Begeisterung, freies, kreatives Spielen und Spiel­erfahrungen mit anderen Kindern. Je weniger junge Kinder vor Bildschirmen sitzen, desto besser: „Medienkompetenz beginnt mit Medienabstinenz“, so Möller. Als Beleg nannte er Untersuchungen, in denen gezeigt wurde, dass sich die Leistungen verschlechterten und mehr Aufmerksamkeitsprobleme auftraten, je mehr Zeit mit dem Smartphone verbracht wurde. Anhand einer prospektiven Geburtskohortenstudie konnte gezeigt werden, dass die Nutzung von Fernsehen während der Kindheit und Jugend mit schlechterer Bildung einhergeht.

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Prof. Dr. Christoph Möller

Möller betonte, dass die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns von unserer geistigen Arbeit abhängt. Die Computer können uns zwar geistige Tätigkeiten abnehmen, dadurch sind sie aber nicht lernförderlich. Tiefe geistige Beschäftigung dagegen sei lernförderlich. Sicher sei, dass die Digitalisierung fortschreiten wird. Die entscheidende Frage lautet: Welches Ziel verfolgen wir als Gesellschaft? Wollen wir technikkompetente, funktionierende Nutzer heranziehen – oder unsere Kinder zu freien, kreativen Menschen erziehen, die auf eine sich ständig wandelnde Welt vorbereitet sind und den Wandel menschlich mitgestalten? Soziale Kompetenz wird nur im sozialen Miteinander gelernt, ist sich Möller sicher. Soziale Netzwerke können dabei eine Erweiterung sein, aber Lernen ist Beziehungslernen, und dabei ist das Beste für den Mensch der Mensch und nicht ein Smartphone. |
 

Wie kommt die Tigerente nach Bad Zwischenahn?

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Einige der Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung im beschaulichen Bad Zwischenahn waren sicher überrascht, als sie (und vor allem ihre Kinder) direkt am Zwischenahner Meer einen nigelnagelneuen Spielplatz mit Tiger, Bär, einer großen Tigerente und einem Einraumhaus entdeckten. Dr. Norbert Hemken, der Kurdirektor von Bad Zwischenahn, klärte über die Hintergründe auf: Der Illustrator, Schriftsteller und Kinderbuchautor Horst Eckert - besser bekannt als Janosch - lebte in seiner Jugend mehrere Jahre in Bad Zwischenahn. Das Einraumhaus, das im Bad Zwischenahner Freilichtmuseum steht, inspirierte ihn zum Haus von Tiger und Bär in seinem Kinderbuchklassiker „Oh wie schön ist Panama“. Am 11. März 2021 feierte „Janosch“ seinen 90. Geburtstag, und zu diesem Anlass entstand die Idee, diese schöne Geschichte über Heimatliebe zum Anlass zu nehmen, neue Spielgeräte und einen neuen Spielplatz im Freilichtmuseum und in der Nähe des Einmannhauses zu entwerfen. Bis zum Frühjahr 2023 hat die Fertigstellung gedauert. Und nein, die Tigerente ist nicht so gefährlich, das sie hinter Gitter muss: Der Spielplatz war nur noch nicht offiziell eröffnet.

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