Interpharm 2023

Die Apotheke als Therapieoptimierer

Pharmazeutische Betreuung ist ein kontinuierlicher Prozess

cb | Bei etwa einem Drittel aller Arzneimittel ist die Anwendungstechnik erklärungsbedürftig. Insbesondere der Gebrauch von Inhalatoren, von Parenteralia zur Selbstinjektion sowie das Lösen von Erstöffnungs-Sicherungen sind für bestimmte Patientengruppen eine große Herausforderung. Wie die öffentliche Apotheke hier Unterstützung geben kann, erläuterte Apotheker Dr. Philipp Kircher in seinem Vortrag auf der Interpharm.
Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Philipp Kircher


Eine ganze Reihe von Wirkstoffen können sich Patienten selbst verabreichen, sofern sie kognitiv und motorisch dazu in der Lage sind. Dazu zählen Insuline und Insulinanaloga, Anti­hypoglykämika wie Glucagon, Blut­gerinnungshemmer wie Enoxaparin, Antianämika wie Erythropoietin, monoklonale Antikörper wie Omalizumab, Osteoporosemittel wie Teriparatid und Anaphylaxie-Notfallwirkstoffe wie Epinephrin. Bei Letzterem besteht bei Patienten häufig eine Anwendungsfurcht. Doch durch die wiederholte Besprechung der Handhabungs­schritte kann die öffentliche Apotheke hier gegensteuern.

Tipps für die korrekte Anwendung

Anders als beispielsweise bei der Applikation eines Blutgerinnungshemmers nach einem operativen Eingriff herrscht bei Anwendung eines Adrenalin-Pens (z. B. Fastjekt®) eine Ausnahmesituation, weshalb das Fehler­risiko erhöht ist. So kann es passieren, dass der Pen versehentlich falsch herum gehalten wird. Anwender sollten sich dann die Merkhilfe: „Blau zum Himmel, orange zum Oberschenkel“ ins Gedächtnis rufen. Eine gewisse „Nadelfurcht“ ist in dieser Stresssituation ebenfalls absolut nachvollziehbar. Das Apothekenpersonal sollte deshalb bei jeder Abgabe daran erinnern, dass die Nadel nie sichtbar wird, weil sie durch eine Hülle geschützt ist. Nach dem Entfernen der Schutzkappe sollte der Autoinjektor zunächst in einem Abstand von etwa zehn Zentimetern zum Oberschenkel positioniert werden. Anschließend ist er in einem Winkel von 90 Grad kräftig in diesen zu stoßen und anschließend etwa zehn Sekunden in der Position zu halten, um eine vollständige Injektion zu ermöglichen. Ein aktives Auslösen ist nicht notwendig; Die erfolgreiche Applikation ist an einem Klickgeräusch zu erkennen. Nach der Prozedur wird der Injektor langsam entfernt und die Injektionsstelle etwa zehn Sekunden lang massiert. Dadurch wird Stickstoffmonoxid freigesetzt, das zur Vasodilatation und damit zur besseren Verteilung des Wirkstoffs im Körper führt. Häufig stellen sich potenzielle Anwender von Notfallpens die Frage, ob eine Injektion auch durch Bekleidung wie beispielsweise eine Jeans möglich ist. Kircher betonte, dass dies mit Ausnahme von Lederhosen und Skibekleidung absolut der Fall ist. Verschiedene Gründe sprechen dafür, einen zweiten Pen mitzuführen. So sind theoretisch beim Auslösen des Pens Blockaden möglich, oder die Dosis reicht nicht aus, sodass eine weitere Injektion notwendig ist. Diese kann nach fünf bis zehn Minuten Wartezeit erfolgen. Einen zweiten Pen mitzuführen empfiehlt sich auch für Patienten, die bestimmte Medikamente dauerhaft anwenden. Denn die Wirkung des Adrenalins kann auch infolge von Wechselwirkungen mit einer Dauermedikation zu gering sein. Beispielsweise blockieren Betablocker die kardio­stimulierende Wirkung des Adrenalins. In Zeiten von Lieferengpässen kann es auch dazu kommen, dass Patienten nur einen Pen mit abgelaufenem Verfallsdatum zur Verfügung haben. In diesem Fall gilt: Besser einen abgelaufenen Notfallpen anwenden als gar keinen!

Probleme mit Spacern

Auch bei der Verwendung von Spacern zur erleichterten Inhalation sind einige Abgabetipps wichtig. In der Inhalierhilfe sedimentieren die nicht bronchiengängigen Partikel, während die inhalierbaren Partikel in der Schwebe bleiben – jedoch nicht für unbegrenzte Zeit. Wird nach dem Auslösen des Sprühstoßes mit der Inhalation zehn Sekunden gewartet, kann sich die aufgenommene Dosis therapierelevant um bis zu 50 Prozent verringern. Deshalb sollte nach dem Einsprühen in den Spacer nicht gewartet werden. Sind mehrere Hübe des Dosieraerosols verordnet, müssen sie getrennt voneinander in den Spacer gesprüht und jeweils inhaliert werden. Denn das Beladen des Spacers mit mehreren Sprühstößen vor dem Inhalieren würde die abgegebene Menge an bronchiengängigen Wirkstoffen verringern. Der Grund dafür: Der jeweils nachfolgende Sprühstoß versetzt die bereits vorhandenen Partikel in Turbulenzen und deponiert sie an der Spacerwand. „Sprühstoß – Leerinhalieren – Sprühstoß – Leerinhalieren ist die optimale Vorgehensweise beim Inhalieren mehrerer Hübe mit einem Spacer“, betonte Kircher. Bei Kindern, die mit einem Spacer inhalieren, gibt es kaum Studien dazu, wie viele Atemzüge zum Leeren eines Spacers benötigt werden. Außerdem besitzt jeder Wirkstoff ein anderes Sedimentationsverhalten. Betreuungspersonen sollte deshalb der Rat mitgegeben werden, dass das Kind mindestens sechs Atemzüge vollführen soll, um auf der sicheren Seite zu sein.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Keine Angst vor dem Notfallpen Durch eine gute Schulung kann Angehörigen und Betroffenen Sicherheit vermittelt werden.

Stolperfallen bei der Inhalation von Cannabis

Auch wenn derzeit noch nicht jede Apotheke in Deutschland Cannabis­blüten oder -Blütenextrakte zur medizinischen Anwendung abgibt – es ist notwendig, dass alle Apotheken sich diesen Substanzen stellen. Bei der Blütenapplikation kommt es darauf an, dass die Patienten in die Lage versetzt werden, sie sicher, in definierter Dosis und reproduzierbar anzuwenden. Der richtige Umgang beginnt schon bei der Lagerung. Den Patienten muss bei der Abgabe vermittelt werden, dass sie kühl und trocken erfolgen soll, also nicht an der Kühlschrankrückwand, sondern am besten im Gemüsefach. Im Gefrierfach ist dagegen nicht der richtige Platz für Cannabisblüten, da in den Trichomen die Cannabinoid-Konzentration am höchsten ist, diese jedoch beim Einfrieren abfallen würden.

Auch bei der Applikation der Blüten mittels stationärem Verdampfer lauern eine ganze Reihe von Fallstricken. Es kommt drauf an, so Kircher, „nicht wild drauflos zu inhalieren, sondern erst einmal abzuwarten, wie die Wirkung ausgeprägt ist“. In der Regel erfolgt der Wirkungseintritt erst nach sieben Minuten. Viele Anwender denken, dass es einen Zusammenhang zwischen der Wirkstärke und dem Geschmack gibt. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die ätherischen Öle schneller verdampfen als die Cannabinoide. Die ideale Temperatur für die Verdampfung der wirksamen Inhaltsstoffe liegt je nach Vaporisator-Modell zwischen 180 bis 210 °C. Optimal ist sie dann, wenn ein feiner weißer Nebel austritt. Ist dagegen nur ein schwacher Dunst sichtbar, könnte die Temperatur zu niedrig liegen, aber auch eine Erschöpfung des Blütenmaterials der Grund sein. Auch auf die richtige Atemtechnik kommt es an. Kircher empfahl folgendes Schema: fünf Sekunden lang einatmen, fünf Sekunden Luft anhalten und langsam ausatmen, dann 45 Sekunden Pause und den Ablauf wiederholen. In der Regel ermöglichen fünf Atemzüge die Inhalation von 100 mg Blüten.

„Sprühstoß – Leerinhalieren – Sprühstoß – Leerinhalieren ist die optimale Vorgehensweise beim Inhalieren mehrerer Hübe mit einem Spacer.“

Erstöffnung aktiv als Dienstleistung anbieten

Geriatrische Patienten oder solche mit neuromuskulär oder orthopädisch bedingten Einschränkungen der oberen Extremitäten haben häufig nicht genug Kraft für die Öffnung von Primärverpackungen. Sie scheuen sich jedoch gleichzeitig, beim Einlösen des Rezeptes zuzugeben, dass sie das Öffnen eines Schraubverschlusses, gegebenenfalls mit Kindersicherung, vor ein fast unlösbares Problem stellt. Kircher empfahl deshalb, das Erstöffnen von Verpackungen als Dienstleistung anzubieten. Die Lösung solcher Probleme zählt für ihn zu den originären Aufgaben einer Vor-Ort-Apotheke. Sinnvoll ist auch, im Kassensystem einen Hinweis zu hinterlegen, bei welchen Arzneimitteln eine solche Hilfe angeboten werden kann. |

 

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