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Arzneimittel und Therapie
Schnelles Serotonin
Ein Gastkommentar
Die prämenstruelle dysphorische Störung betrifft geschätzt 800 Millionen Frauen mit einer kumulativen dysphorisch-depressiven Lebenslast von 8,6 Jahren – eine gesellschaftsrelevante, therapeutische Herausforderung. Die Symptome ähneln denjenigen einer Major Depression und lassen sich auch mit den gleichen diagnostischen Mitteln erfassen.
Bei der prämenstruellen dysphorischen Störung spielt die dynamische, sich schnell ändernde Expression des Serotonin-Reuptake-Transporters SERT bzw. dessen Gens 5-HTT (5-Hydroxytryptamin-Transporter) eine zentrale Rolle: Ausgelöst durch den prämenstruellen Abfall von Estrogenen wird die Expression des 5-HTT hochreguliert und vermehrt Serotonin aus der Synapse in die präsynaptische Endigung zurücktransportiert – es resultiert ein funktioneller Serotonin-Mangel. Die Expression des 5-HTT-Gens kann man natürlich nicht sichtbar machen, aber in der Bildgebung lassen sich mit radioaktiven Liganden die Aktivität und Dichte des SERT und damit indirekt die Verfügbarkeit von Serotonin im synaptischen Spalt visualisieren.
Die vorliegende Studie von Sacher et al. konnte nun zeigen, dass die prämenstruelle depressive Stimmung der Patientinnen mit einer zyklusabhängigen Erhöhung der Serotonin-Wiederaufnahme und einer entsprechend verringerten extrazellulären bzw. synaptischen Serotonin-Konzentration korreliert. Hier findet sich die alte Biogen-Amin-Hypothese des amerikanischen Psychiaters Joseph Schildkraut (1934 – 2006) zur Depression bestätigt, wonach u. a. ein Mangel an Serotonin eine depressive Symptomatik mitbedingt. Die Studienautoren sprechen sich für eine prämenstruelle nicht pharmakologische Supplementierung bzw. Stimulation des Serotonins (z. B. Tryptophan oder Lichttherapie) oder für eine intermittierende Gabe von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren aus, um den post-ovulatorischen Abfall des Serotonins auszugleichen.
Von der verlängerten Ejakulation zur unbeschwerten Menstruation
Schnelle SSRI – funktioniert das überhaupt? Na klar! Wir haben gelernt, dass SSRI bei Depressionen erst nach einer Latenzzeit von zwei Wochen die Stimmung verbessern. Bei der PMDS wäre eine schnelle Wirkung innerhalb von ein bis zwei Tagen relevant, um nicht ständig SSRI nehmen zu müssen.
Natürlich funktioniert die schnelle intermittierende Gabe von SSRI! Die prämenstruelle dysphorische Störung ist eine dynamische, sich innerhalb von wenigen Tagen bemerkbar machende Änderung der Serotonin-Transmission, die durch selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren in dem Moment abgefangen werden kann, in dem die Wirkstoffe ins Gehirn penetrieren. Es ist quasi eine „somatische“ Wirkung wie die Nebenwirkungen der SSRI, die sofort ab dem Erreichen der maximalen Plasmakonzentration wirksam werden, wie Dyspepsie, Hemmung der Thrombozytenaggregation oder QT-Zeit-Verlängerung.
Bei der Depression handelt es sich um komplexe multifaktorielle Störungen der Neuroplastizität, deren Normalisierung – das heißt Änderung von Synapsen, Aussprossen axonaler und dendritischer Endigungen und Kollateralen – Wochen braucht, und nicht einfach mit der Hemmung eines Reuptake-Transporters zu beheben ist. Dies erklärt die Wirklatenz bei Depression.
Im Prinzip kann jedes SSRI zur Behandlung der PMSD eingesetzt werden, aber je schneller die Wirkung bzw. der Steady State eintritt, umso besser hilft diese „Bedarfsmedikation“. Dapoxetin, ein schnell wirkendes SSRI, bei dem die Nebenwirkung Ejakulationsverhalt zum Therapieprinzip der Ejaculatio praecox „umfunktioniert“ wurde, könnte hier zum Einsatz kommen.
Übrigens ist die offensichtlich klare Kausalität zwischen synaptisch bzw. extrazellulär verfügbarem Serotonin und der Stimmung ein wichtiges Argument in der Akzeptanz der therapeutischen Wirksamkeit von Antidepressiva, die durch die jüngste Serotonin- bzw. Antidepressiva-Debatte infrage gestellt wurde.
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