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Profit, Pleiten und Patientenwohl

Studie sieht in Medizinischen Versorgungszentren eine Gefahr für die Versorgungssicherheit

mik/ral | Im Jahr 2004 wurden Medizinische Versorgungszentren (MVZ) hierzulande eingeführt. Seitdem hat die Debatte über Gewinnorientierung im Gesundheitssystem Fahrt aufgenommen. Eine aktuelle Studie von „Finanzwende Recherche“ untermauert die Sorgen der Kritiker von Medizinischen Versorgungs­zentren: Der Einstieg von Private-Equity-Firmen in Arztpraxen stellt eine Gefahr für die Qualität der medizinischen Versorgung und die Versorgungssicherheit in Deutschland dar. Der Bundesrat hat nun zwar eine Initiative zur Regulierung der MVZ gestartet, aber reichen die Maßnahmen aus? Die Apothekerschaft sollte die Entwicklung mit Argusaugen verfolgen.

Die steigende Beteiligung von Private-Equity-Firmen (PE) an Arztpraxen gefährdet in Deutschland die Qualität der medizinischen Versorgung und die Versorgungssicherheit als Ganzes. Zu diesem Schluss kommt die kürzlich veröffentlichte Studie von „Finanz­wende Recherche“, über die der Norddeutsche Rundfunk (NDR) vorab exklusiv berichtete. Insbesondere die hohe Verschuldung sei dabei ins Auge gefallen. „Ich mache mir Sorgen, dass wir uns mit einer Pleite von solchen Arztpraxis-Konzernen in der Zukunft beschäftigen müssen“, wird der Geschäftsführer von „Finanzwende Recherche“, Gerhard Schick, vom NDR zitiert.

Aufkäufe führen zu monopolartigen Strukturen

Die gemeinnützige Tochtergesellschaft der „Bürgerbewegung Finanzwende“, die sich dem Verbraucherschutz widmet, konstatiert, dass das „Übergreifen der kurzfristigen Renditelogik der Finanzmärkte auf andere Bereiche“ auch vor dem Gesundheitssektor nicht halt macht. Betroffen seien von den Aktivitäten der PE vor allem Arztpraxen: „Diese Firmen bündeln das Geld ihrer Anleger in einem Fonds und kaufen sich mithilfe von hohen Krediten in besonders lukrative Sektoren des Gesundheitssystems ein. Dabei versprechen die Investoren Anlegenden Renditen im zweistelligen Bereich.“ Verwiesen wird auf weitere Unter­suchungen, die gezeigt hätten, dass durch die Aufkäufe von Arztpraxen in einigen Regionen sogar „monopolartige Strukturen“ entstanden seien, was die unabhängige Arztwahl bedrohe.

In der Studie wurden fünf Fälle betrachtet, die gemein haben, dass die betroffenen Arztpraxen-Unternehmen zum einen hoch verschuldet sind und zum anderen, dass ihre Eigentümer in Offshore-Finanzzentren ihren Sitz haben – dem Fiskus gehen also Steuereinnahmen flöten. Darüber hinaus zeigt die Studie nicht nur, dass durch dieses Geschäftsgebaren die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet wird, sie zeigt auch, dass durch PE „dem Gesundheitsbereich Geld entzogen wird“.

Foto: imago images/Fotostand

Alles unter einem Dach Der Gedanke hinter den MVZ, Ressourcen besser zu nutzen und dadurch Kosten zu sparen, ist prinzipiell gut – wie so oft liegen die Tücken jedoch im Detail.

Ziel: Kosten sparen

Möglich geworden ist das Geschäftsmodell PE, als 2004 mit dem GKV-Modernisierungsgesetz die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) an den Start gingen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) charakterisiert diese folgendermaßen: „Im Gegensatz zu den klassischen Teilnahmeformen (Einzelpraxis, Berufsausübungsgemeinschaft), bei denen die Praxisinhaber die ärztliche Tätigkeit in der Regel persönlich auszuüben haben, zeichnen sich MVZ insbesondere durch eine organisatorische Trennung der Inhaberschaft von der ärztlichen Behandlungstätigkeit aus.“ Das übergeordnete Ziel war damals dem neoliberalen Zeitgeist entsprechend, Kosten zu sparen, indem etwa Räumlichkeiten und Technik „unter einem Dach“ genutzt werden. In den Worten des BMG sollte die Möglichkeit der „umfassenden Versorgung aus einer Hand, bei der auch Effizienzreserven erschlossen werden und ein verbesserter Informationsaustausch gewährleistet wird“ geboten werden. Nicht zuletzt sollte aber auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass viele Medizinerinnen und Mediziner aus verschiedenen Gründen statt selbstständig lieber in einem Ange­stelltenverhältnis tätig sein wollen.

Dabei gibt es verschiedene Modelle der MVZ, Investor kann unter anderem auch eine Kommune sein. In einer Broschüre zur Krise der ambulanten Versorgung in Deutschland aus dem vergangenen Jahr, herausgegeben als Debattenbeitrag von Solidarisches Gesundheitswesen, dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte und dem Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, wird darauf hingewiesen, dass die MVZ grundsätzlich eine „sinnvolle Ergänzung der bisher überwiegenden Versorgung durch selbstständige Ärztinnen und Ärzte in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen“ seien. Sie könnten unter anderem einen Beitrag zur Versorgungs­sicherheit leisten, da ein MVZ ohne selbstständige Ärzte betrieben werden darf, z. B. in Regionen, in denen sich kein ‚niederlassungswilliger Arzt‘ finden lässt.“ Nichtsdestotrotz: Die Apothekerschaft dürfte die Angelegenheit mit Argusaugen verfolgen: Es geht um Fremdbesitz bei ambulanten Leistungserbringern.

Auf Gewinnmaximierung getrimmt

Seit der Einführung der MVZ wird leidenschaftlich über sie diskutiert. Im April vergangenen Jahres kochte die Debatte erneut hoch, als ein Bericht des ARD-Magazins Panorama über den Aufkauf von Augenarztpraxen Wellen schlug. Auch ein Gutachten des BMG von 2020 und Gutachten des IGES-Instituts zu Zahnärzten 2020 und zu Investoren-MVZ in Bayern 2022 sorgten für Diskussionsbedarf. Das Ministerium wollte damals wegen fehlender aussagekräftiger Daten noch nicht den Schluss ziehen, dass die Bedenken bezüglich der Versorgungsqualität in MVZ berechtigt sind. Das IGES-Institut konnte für die von ihm in Bayern untersuchten MVZ feststellen, dass die Fallkosten hier durchschnittlich höher sind.

Anstoß der Empörung bildet aber meist die Sorge vor den PE und die Frage, ob bei den MVZ die Orientierung am Patientenwohl hinter finanzielle Interessen von Investoren zurückfällt. Die Vorgehensweise der PE läuft laut „Finanzwende Recherche“ oft nach einer „Buy-and-Build-Strategie“: Praxen werden gekauft, auf Gewinnmaximierung ausgerichtet und in MVZ zusammengelegt. Die Rendite wird dann beim Weiterverkauf – in der Regel nach fünf bis acht Jahren – erzielt.

Ganz unbemerkt ist die Diskussion aber auch an der Politik nicht vorbeigegangen. Ende Dezember vergangenen Jahres kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an: „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen.“ Es gebe den „fatalen Trend, dass Investoren medizinische Versorgungszentren mit unterschied­lichen Facharztpraxen aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“. Noch im ersten Quartal 2023 sollte es einen Gesetzentwurf geben, der „den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet“. Passiert ist jedoch nichts. Aus diesem Grund hatte die Konferenz der Gesundheitsministerinnen und -minister einige Länder mit der Aus­arbeitung einer Initiative beauftragt, um Druck auf Lauterbach zu machen. Am 9. Mai reichten Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein einen Entschließungsantrag im Bundesrat ein, der die „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“ zum Ziel hat. Das „rasante Wachstum von MVZ“ berge „generell das Risiko von Konzentrationsprozessen“, heißt es da. „Im Hinblick auf das Wachstum von investorengetragenen MVZ (iMVZ) bestehen darüber hinaus weitere Risiken, insbesondere für eine flächendeckende, umfassende Versorgung.“ Kapazitäten würden tendenziell in „lukrative Ballungsgebiete“ verlegt, der Fokus liege „auf gut skalierbaren und umsatzsteigernden Leistungen weshalb zu befürchten ist, dass nicht mehr das gesamte Behandlungs­spektrum abgebildet wird“.

„Konzentrationsprozesse“ und „Monopolisierungstendenzen“

Als Maßnahmen sind unter anderem vorgesehen, ein bundesweites MVZ-Register zu schaffen und eine Kennzeichnungspflicht für Träger und Betreiber einzuführen. Um „Konzen­trationsprozesse“ und „Monopolisierungstendenzen“ zu „begrenzen“ sollen beispielsweise Krankenhäuser nur in einem Umkreis von 50 Kilometern MVZ gründen können. Mit weiteren Regelungen soll die Unabhängigkeit der ärztlichen Berufsausübung in MVZ vor dem Einfluss von „Kapital­interessen“ geschützt werden.

Ähnliche Vorschläge lassen sich auch am Schluss der Studie von „Finanzwende Recherche“ finden. Auch hier wird gefordert, den Kauf von Praxen regional zu beschränken und ein Transparenzregister für die Eigentumsverhältnisse zu schaffen, da an vielen Stellen im Moment unklar sei, „wer überhaupt in deutsche Praxen investiert hat“. Darüber hinaus wird mit Blick auf die hohe Verschuldung dafür plädiert, Kreditaufnahmen zu begrenzen und darüber hinaus Haftungs­regelungen einzuführen, die verhindern, dass Investoren nach dem Verkauf des Unternehmens gleich aus der Verantwortung entlassen werden.

„Finanzialisierung“ – und weiter?

Als Ursache für das Phänomen, dass der Gesundheitssektor immer renditeorientierter wird, macht die Studie als zentralen Faktor die „Finanzialisierung“ aus. Darunter wird hier verstanden „ein Prozess der zunehmenden Dominanz von Finanzakteur*innen, und die Ausbreitung von Finanzlogiken sowie von Finanzinstrumenten auch in Bereiche außerhalb der eigentlichen Finanzwelt“. Überraschenderweise wollen die Vorschläge von „Finanzwende Recherche“ dem in Gänze aber nichts entgegensetzen, sondern zielen nur auf dem Gebiet des Gesundheitswesens auf Einschränkungen. Mehr trauen sich die Autoren an dem Punkt offensichtlich nicht zu – oder den politischen Entscheidungsträgern, an die sie appellieren. |

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