Deutscher Apothekertag 2023

Aus dem Modell ARMIN lernen

„Wir können es uns nicht leisten, pharmazeutische Dienstleistungen nicht umzusetzen“

gg | Im Zeitraum 2014 bis 2022 nahmen über 5000 Patientinnen und Patienten an dem Modellprojekt Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) teil. Im Studienzeitraum profitierten sie unter anderem von einem intensiven Medikationsmanagement, welches hier interdisziplinär durch Ärzte und Apotheker durchgeführt wurde. Obwohl sich das Konzept daher von der pharmazeutischen Dienstleistung „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ unterscheidet, lassen sich doch einige gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen auf die Umsetzung letzterer anwenden. Welche und wie, darum ging es im Themenforum auf dem Deutschen Apothekertag 2023.

Patientinnen und Patienten, die an dem Modellprojekt ARMIN teilgenommen haben, hatten gegenüber der Kontrollgruppe ein um 16% reduziertes relatives Mortalitätsrisiko – und obendrein eine gesteigerte Adhärenz was ihre Medikation betrifft. Die Ergebnisse von ARMIN seien nicht weniger als „spektakulär“. So begann Dr. Christiane Eickhoff (ABDA) ihren Impulsvortrag beim Themenforum „Lehren aus ARMIN“ der am Donnerstagnachmittag Platz auf der Agenda des Deutschen Apothekertags gefunden hatte. Dennoch hätten am Projektende etwa die Hälfte der Teilnehmenden spontan keinen konkreten Nutzen der Intervention benennen können. Um zu evaluieren, wie es dazu gekommen ist, führte Eickhoff den Delegierten vor Augen, dass die Beweggründe zur Teilnahme an dem Projekt für Heilberufler und Patienten völlig verschieden gewesen sind.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Wie die pharmazeutischen Dienstleistungen in der Praxis vorangebracht werden können, war Thema einer Podiumsdiskussion.

Fallstrick unterschiedliche Nutzenerwartung

Für 70% der Teilnehmenden war die Empfehlung zur Teilnahme durch ihnen Arzt ein wichtiger Faktor. Weiterhin erhofften sie sich eine bessere Betreuung durch die Heilberufler oder, dass sie im Anschluss weniger Tabletten einzunehmen hätten. Auch mehr Wissen und Sicherheit im Umgang mit ihren Medikamenten und die Aussicht auf eine Überprüfung ihrer Medikation bewegten zur Teilnahme. Von den befragten Apothekerinnen und Apotheker gaben unterdessen 90% als Motivation an, zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ihrer Patienten beitragen zu wollen. Weiterhin schätzen sie, dass sich bei zwei Drittel der Teilnehmer die Erwartungen an das Modellprojekt zwar nicht erfüllt, sich aber deren Situation verbessert habe.

Zusammengefasst: Auch wenn der Nutzen der Intervention unzweifelhaft gegeben war, war er von den Profiteuren nicht immer erlebbar. Dies zu ändern, sei eine wichtige Aufgabe für Apothekenteams – die genau so auch in Sachen pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) bestehe. Eickhoff empfiehlt daher drei Aspekte in der Kommunikation zu berücksichtigen: Zum Erwartungsmanagement können eingangs die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abgefragt und anschließend eingeordnet werden, welche davon erfüllbar sind und wo die pDL an ihre Grenzen stoßen. Weiterhin sollte Transparenz über erbrachte Leistungen geschaffen werden – schließlich sei ein guter Teil der Dienstleistungen für die Patienten unsichtbar, etwa die Recherche im Rahmen der Medikationsanalyse und gegebenenfalls erfolgte Rücksprachen mit dem Arzt oder der Ärztin. Als Drittes rät Eickhoff dazu, die Botschaften ruhig mit einer großen Portion Selbstbewusstsein zu formulieren und den Wert der eigenen Arbeit zu unterstreichen. Als Ansporn könne hierbei gelten, dass Patienten apothekerliche Leistungen in aller Regel hoch schätzen.

Erfahrungen aus der Praxis

Ob sie diese oder andere Kommunikationsstrategien schon in der Praxis eingesetzt haben, wollte Moderatorin Daniela Hüttemann (PZ) anschließend von den vier Gästen der ersten Podiumsrunde wissen: Claudia Sehmisch (Sächsische Landesapothekerkammer), Susanne Donner (Sächsischer Apothekerverband), Dr. Katja Renner (Apothekerkammer Nordrhein) und Isabel Otten (PTA). Donner merkte hierzu an: „Wir waren bei ARMIN zu leise. Wir tun Gutes rund um die Uhr, aber wir reden nicht darüber.“ Bei den pDL würde ihr Apothekenteam nun den Mehrwert der Dienstleistung in den Mittelpunkt der Kommunikation stellen. Renner und Otten ergänzen, dass die Kommunikation im Apothekenteam auch auf viele Schultern verteilt werden könne. So würden in ihrer Apotheke auch PTA Kunden auf die pDL ansprechen, während die Durchführung der Medikationsanalyse dann von den Approbierten übernommen wird. Die Rückläuferquote sei hierbei hoch, auf Ablehnung in der Kundschaft stoße man kaum. Als Tipp aus der Praxis ergänzt Sehmisch, dass man auch etwa in der Apothekensoftware hinterlegen könne, bei welchen Stammkunden eine Ansprache auf die pharmazeutischen Dienstleistungen lohnenswert wäre. Bei Apotheken­inhabern, die der Umsetzung der pDL bislang zögerlich gegenüberstehen, rät sie dem Team einfach mal das „Go“ zu geben – denn die pharmazeutischen Dienstleistungen nicht einzusetzen könne sich die Apothekerschaft nicht leisten.

Praxistipps vom Podium

  • Beim Anbieter des Warenwirtschaftssystems nachfragen, welche Lösungen dieses für die Umsetzung der pDL anbietet. Diese können viel Zeit sparen.
  • Nicht aufgeben, wenn die erste pDL viel Zeit in Anspruch nimmt – mit der Zeit geht es schneller.
  • Benötigte Dokumente griffbereit haben.
  • Unschlüssigen Patienten Bedenkzeit geben: „Sie können es sich ja noch mal überlegen und dann wieder vorbeikommen.“
  • Planbare und aufwendige Dienstleistungen in die Randzeiten legen, in denen weniger los ist.
  • Aktionstage mitnehmen und hier die Dienstleistung verstärkt anbieten.
  • Nicht mit direktem Feedback der umliegenden Praxen rechnen, wenn das nächste Mal ein entsprechend angepasstes Rezept ausgestellt wird, ist das Ziel ja auch erreicht.
  • Nach erfolgter Medikationsanalyse können den Kunden auch passende Produkte aus dem nicht verschreibungspflichtigen Apothekensortiment empfohlen werden.

Wie lief die interdisziplinäre Zusammenarbeit?

Im zweiten Teil des Forums stand die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern im Mittelpunkt. In einem Impulsvortrag warf Dr. Uta Müller (ABDA) einen Blick auf die nach den beiden Berufsgruppen aufgeschlüsselte Auswertung des Modellprojektes. Hinsichtlich der Erwartungen lagen beide dicht beieinander: Oberstes gemeinsames Ziel war die Steigerung der AMTS. Ärzte erhofften sich zudem einen Überblick über die Gesamtmedikation der Teilnehmenden – denn fast jedes fünfte Medikament auf dem erstellten Medikationsplan stammte aus dem Bereich der Selbstmedikation. Apotheker wollten weiterhin ihrer Kundschaft einen zusätzlichen Service anbieten können. Die Zusammenarbeit wurde von beiden Berufsgruppen als positiv und bereichernd wahrgenommen, das gegenseitige Vertrauen war hoch. Wichtig hierfür war, dass im Prozess die jeweiligen Zuständigkeiten klar geregelt waren. Davon profitierten auch die Patienten: bei 92% wurden arzneimittelbezogene Probleme (ABP) festgestellt. Eine Rücksprache mit der Praxis war hierfür oft nicht nötig: 80% der ABP konnten durch das Apothekenpersonal gelöst werden.

Dranbleiben lohnt sich

Abschließend begrüßte Moderatorin Hüttemann Dr. Annette Rommel (KV Thüringen), Stefan Fink (DAV), Franziska Scharpf (Landesapothekerkammer Bayern) und Prof. Dr. Martin Schulz (ABDA, AMK) auf dem Podium. Alle vier waren sich einig, dass eine Übernahme des Konzeptes in die Regelversorgung wünschenswert werde – nur leider fehlt dafür nach wie vor die rechtliche Grundlage. Ärztin Rommel berichtete etwa, dass die „in Thüringen und Sachsen traditionell gute Zusammenarbeit“ mit den umliegenden Apotheken sich durch ARMIN noch weiter verbessert habe. Fink berichtete, dass die Erfahrungen mit ARMIN den Einstieg in die pDL leicht gemacht haben, der Baustein des ärztlichen Pendants aber merklich fehle. Scharpf betonte, dass gerade Hochrisikopatienten von der intensiven, interdisziplinären Betreuung sehr profitieren. Schulz erinnerte unterdessen daran, dass nach der Vorstellung der Ergebnisse von ARMIN im Gesundheitsausschuss sich alle Fraktionen über die Sinnhaftigkeit einig waren und die Fortführung befürworteten. Ärzte und Apotheker sollen daher gemeinsam dran bleiben und sich für die Übernahme in die Regelversorgung stark machen. Denn: „Die Evidenz ist da, dem kann sich keiner verschließen. Auch Herr Lauterbach nicht.“ |

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