Foto: DAZ/Alex Schelbert

Deutscher Apothekertag 2023

„Sie verlieren nichts, Sie gewinnen nur Möglichkeiten“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beim DAT

ks | Wenngleich er die aufgeheizte Stimmung in Düsseldorf wahrgenommen hat: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betonte auch dieses Jahr bei seiner Liveschalte zum Deutschen Apothekertag, dass er gerne persönlich da gewesen wäre. Statt Antworten auf die Fragen der ABDA zu geben, versuchte er, den Zuhörerinnen und Zuhörern seine schon über die FAZ verbreiteten Reformvorschläge schmackhaft zu machen.

Mit seiner Entscheidung, die von der ABDA eingeforderten Antworten auf sechs drängende Fragen nicht für den DAT aufzusparen, sondern seine Pläne für die Apotheken tags zuvor über die Publikumspresse zu spielen, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Stimmung in Düsseldorf aufgeheizt. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hatte die Delegierten bereits in ihrem Lagebericht zur Eröffnung des Deutschen Apothekertags in Düsseldorf eingeschworen: Was die Apotheken brauchen, sind „zukunftsweisende Antworten, keine weiteren Hiobsbotschaften“. Für alle Anwesenden gab es weiße Warnwesten mit der Aufschrift „Apotheken stärken. Jetzt!“ – das Leitmotiv, das sich als eindringlicher Appell durch ihre gesamte leidenschaftliche Rede zog. Und so sah und hörte Lauterbach einen Saal voller kampfbereiter Apothekerinnen und Apotheker, die der Präsidentin noch tosend applaudierten, als er aus Berlin zugeschaltet wurde.

Für eine gewisse Ordnung im weiteren Verlauf des Grußworts des Ministers sorgte Moderator Ralph Erdenberger, der seine Rolle als „Paartherapeut“ verstand. Er gab zunächst Overwiening das Wort. An Lauterbach gewandt erinnerte sie an die letzten Treffen mit dem Minister – insbesondere den jüngsten Dialog zur Versorgung mit Kinderarzneimitteln. Da habe Lauterbach gesagt, er sehe die Apotheken in einer wichtigen Rolle und habe sich bei ihnen bedankt. Man hätte dies als Auftakt für einen echten Dialog sehen können – doch dann kam am 26. September Lauterbachs Aufschlag über die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Das versteht hier niemand“, erklärte die Präsidentin, unterstrichen durch Pfiffe und Buhrufe aus dem Auditorium. Die Pläne zeigten, dass Lauterbach den Menschen offenbar eine unterschiedliche Versorgungsqualität zumuten wolle. Ihre klare Frage an den Minister: Warum will er den apothekerlichen Heilberuf zerstören, den Apotheken den Boden unter den Füßen wegziehen?

Lauterbach erklärte zunächst, dass er gerne persönlich beim DAT gewesen wäre – doch die Termine machten es einmal wieder nicht möglich. „Das wäre sicher ein Erlebnis gewesen“, so der Minister angesichts der Stimmung im Saal. Immerhin: Overwienings kämpferische Rede habe er mit anhören können. Sein Eindruck sei nun, dass die Meinung vorherrsche, er schätze das Engagement der Apotheken falsch und zu gering ein. „Das ist absolut falsch“, erklärte er. Apotheker seien ein „hochqualifizierter Gesundheitsberuf“ – das habe er immer wieder betont. Sie müssten sogar stärker herangezogen werden, gerade jetzt, da es im Gesundheitssystem an solch qualifizierten Kräften mangele. Er könne sich gut vorstellen, sie noch mehr in eine Vorbeugemedizin einzubeziehen. Ebenso könne er sich vorstellen, dass sie im Fall von Lieferengpässen nicht nur Darreichungsformen austauschen, sondern auch Wirk­stoffe. Überdies seien die Apotheken die „Speerspitze der Digitalisierung“. Aus dieser hohen Qualifikation müsse man noch viel mehr herausholen.

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ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening nannte die Honorierung als den wichtigsten Punkt für die nächsten Gespräche mit dem Gesundheitsminister.
 

Kein Apotheken-Überangebot

Zudem betonte Lauterbach, dass er nie gesagt habe, es gebe zu viele Apotheken, und eine Marktbereinigung sei notwendig. Vielmehr bedauere er, dass die Zahl der Apotheken zurückgegangen sei. Anders als etwa bei Krankenhäusern gebe es bei Apotheken kein Überangebot.

Der Minister sprach weiter von dem, was er – auch für die Apotheken – schon auf den Weg gebracht hat. Etwa das Engpassgesetz, das zwar noch nicht so schnell greife, aber künftig wirken werde – das Problem sei hier, dass es schon vor zehn Jahren hätte auf den Weg gebracht werden müssen.

Erneut räumte der Minister ein, dass bei Generika die Preisschraube überdreht worden sei und in vielen Bereichen eine überzogene Ökonomisierung Einzug gehalten habe. Was er aber ausdrücklich nicht wolle, sei, den Arzneimittel-Versandhandel weiter auszudehnen oder den Fremdbesitz zuzulassen. „Die Entökonomisierung unseres Systems betrifft auch die Apotheken“, so Lauterbach. Man wolle keine Situation, in der Filialen im Fremdbesitz große Gewinne machen, während die Versorgerapotheken auf dem Land oder im Stadtteil nicht mehr klarkommen. Derartige Wünsche dürfe man ihm nicht unterstellen.

Lauterbachs Pläne für die Apotheken

Doch jetzt gehe es auch für Apotheken um Strukturreformen und Honorierungsfragen. Die Vorbereitungen hierfür liefen. Was am 26. September in der FAZ zu lesen war, sei ein erster Aufschlag gewesen, der nun mit der Apothekerschaft zu diskutieren sei. Am 13. Oktober 2023 gibt es einen neuen Gesprächstermin mit der ABDA.

Lauterbach erläuterte die Punkte seiner Pläne:

  • Filial- und Zweigapotheken sollen gefördert werden. Dabei gehe es nicht um Fremdbesitz, versicherte er, sondern um Apotheken, die Apothekern gehören. Hier denke man über ein bis zwei Filialen mehr nach. Wenn sich solche Filialen rechnen sollen, habe es aber keinen Sinn, überall die gleichen Anforderungen an Labor und Herstellung zu stellen. Diese Aufgaben könne die Hauptapotheke übernehmen. Dieser Gedanke sei an ihn von Apothekern so herangetragen worden.
  • Telepharmazie soll genutzt werden: Warum sollte nicht eine hochqualifizierte Apothekerin aus einer Hauptapotheke in eine Filiale telepharmazeutischen Rat geben? Dann wären auch neue Vertretungsregeln für das pharmazeutische Personal möglich. Aus Lauterbachs Sicht ist dies attraktiv – und junge Apothekerinnen und Apotheker sähen dies auch so.
  • Öffnungszeiten sollen flexibilisiert werden, um diese besser an die Personalressourcen und die Bedürfnisse vor Ort anzupassen.
  • Zudem sollen die Notdienste flexibler gehandhabt werden können. Zum Beispiel könnten sie auf Filialen übertragen werden – mit neuen Filialen kämen dann auch neue Notdienstmöglichkeiten.

Lauterbach betonte: Es handele sich hier um neue Möglichkeiten für Apotheken, die aber keine anbieten müsse. Auch in Sachen Notdienst unterstrich er, dass er keine Vorgaben machen wolle, sondern gemeinsam mit den Apotheken neue Möglichkeiten entwickeln wolle. Es gehe also nicht darum, Strukturen zu zerstören, sondern um mehr Flexibilität, um die Qualifikationen der Apotheker besser einsetzen zu können. „Sie verlieren nichts, Sie gewinnen nur Möglichkeiten“.

Und was ist mit dem Honorar?

Auch auf eine Vergütungsreform kam der Minister zu sprechen. Dies sei nötig – zumal er meint, dass viele Apothekenleistungen unterhonoriert seien, gerade solche, wo es wirklich um Leistungen abseits der Packungsabgabe geht. Wirklich konkret wurde er allerdings nicht. Von Honoraranreizen für strukturschwache Standorte ist die Rede. Lauterbach sagte auch hier den Dialog zu.

Der Minister versicherte weiter: „Sie mögen es mir glauben oder nicht“, aber er sei dankbar für die Arbeit, die Apo­theken tagtäglich leisteten. Auch im Herbst und Winter kämen wieder erhebliche Herausforderungen auf sie zu. „Sie werden in Haft genommen für politische Versäumnisse der Vergangenheit“.

Trotz explosiver Stimmung stand der Minister noch für einige Fragen aus dem Auditorium bereit. Hessens Kammerpräsidentin Ursula Funke hielt ihm beispielsweise vor, er wolle eine Arzneimittelversorgung zweiter Klasse, wenn er Abgabestellen plane, wie vorgestellt. Für eine solche Verschlechterung der Versorgung stünden die Apotheken mit ihrer Kompetenz aber nicht zur Verfügung. Lauterbach empfahl, die Debatte weniger emotional zu führen. Und warb nochmals dafür, dass Filialen, die telepharmazeutisch mit der Mutterapotheke verbunden sind, immer noch besser wären als ein gestärkter Versandhandel, der solche digitalen Möglichkeiten nutze.

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Protestmonat November

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening nahm die Ausführungen des Ministers zur Kenntnis und äußerte die Erwartung, dass es beim „Rendezvous“ am 13. Oktober erst einmal um die Honorierung gehen werde. Dann werde sich sicher auch bei ihm die Erkenntnis einstellen, dass seine Vorschläge komplett vom Tisch müssten. Den Versorgungsalltag kenne Lauterbach offensichtlich nicht. Daher sprach die ABDA-Präsidentin gleich mehrere Einladungen an ihn aus: Er möge sie bitte in ihrer Apotheke besuchen – um die Branche wirklich kennenzulernen. „In meiner Apotheke würde ich Ihnen alles zeigen“. Dazu zählt sie auch ihre betriebswirtschaftlichen Auswertungen, die sie gerne mit Lauterbach studieren würde. Das wäre für ihn „sicher aufschlussreich“. Zudem regte sie an, er solle sich besser mit Vertretern der Standespolitik unterhalten als mit einzelnen Apothekern, möglicherweise befreundeten. Denn: „Wir können beides: Vogelperspektive und Basis!“ Lauterbach ließ sich allerdings nicht festnageln und verabschiedete sich mit einem „schauen wir mal“ – und der Aussage, dass er sich vom weiteren Verlauf des DAT berichten lasse.

Dass sich die Apothekerschaft mit diesen Plänen und Aussagen nicht zufriedengibt, stellte Overwiening umgehend klar, nachdem die Liveschalte beendet war. Und das zeigten auch die Ergebnisse der Umfrage, an der sich die Zuschauerinnen und Zuschauer im Anschluss an die Rede beteiligen konnten. Dreiviertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben Lauterbach mit Blick darauf, ob er die Fragen der Apothekerschaft beantwortet habe, die Schulnote fünf oder sechs. Und nahezu alle sprachen sich für erneute Proteste aus. Und die Proteste sollen kommen. Overwiening rief den Protestmonat November aus: Ab dem 8. November 2023 sollen Apotheken über den Monat hinweg mittwochs geschlossen bleiben – eine Woche im Norden, eine im Westen, eine im Süden und eine im Osten. Sodann soll es am 29. November eine zentrale Schlusskundgebung in Berlin geben. |

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