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Deutscher Apothekertag 2023
Wider die verzwergte Pseudo-Apotheke
Ein Kommentar
Es war ein Apothekertag der besonderen Art: In Protestlaune schon vor der Rede des Bundesgesundheitsministers gaben sich die Delegierten in Düsseldorf ungewohnt kämpferisch. Es wurde deutlich, wie tief der Frust in der Branche sitzt. Bei zu vielen Apotheken hängt die wirtschaftliche Existenz an einem dünnen Faden. Gleichzeitig war Düsseldorf aber auch ein Apothekertag der Geschlossenheit. Mit einer fulminanten Rede schwor ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening die Delegierten aus Kammern und Verbänden auf einen „heißen Herbst“ ein. Das Auditorium dankte ihr mit Standing ovations.
Also alles gut in Düsseldorf? Nicht ganz. Karl Lauterbach ist es mit seiner digitalen Rede nämlich auf durchaus raffinierte (man könnte auch sagen: perfide) Art und Weise gelungen, der ABDA beim Ablauf der Hauptversammlung das Heft des Handelns aus der Hand zu nehmen und den Apothekertag thematisch zu kapern. Aus dem „Tag der (erhofften) Antworten“ wurde ein Generalangriff auf die Grundfeste des Apothekenrechts. 24 Stunden vor dem Apothekertag in einem FAZ-Interview erstmals Pläne u. a. zu Mehrbesitz-Arzneimittelabgabestellen ohne Rezeptur, Notdienst und Approbiertem zu präsentieren, war eine bewusste Retourkutsche des Ministers. Das „Ultimatum“, das die ABDA Lauterbach zur Beantwortung ihrer sechs Fragen zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken gestellt hatte, war von ihm wohl als zu anmaßend verstanden worden. Inhaltlich ging Lauterbach auf die Fragen und zur Forderung nach einem der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung angepassten Apothekenhonorar in seiner Rede jedenfalls nur am Rande (und abweisend) ein. Stattdessen erläuterte er die Planungen des BMG zu den Stichworten „Förderung von Filial- und Zweigapotheken“, „Fachkräftesicherung“, „Honorierung“ und „Entbürokratisierung“. Die Eckpunkte aus dem BMG haben die ABDA wie aus dem Nichts getroffen. Einmal mehr wurde deutlich, dass die Kommunikationsstränge zwischen BMG und ABDA zurzeit weitestgehend gekappt sind. Es herrscht beiderseits ein tiefgreifendes Misstrauen und eine lähmende Funkstille. Für den weiteren Gang des nun im Raum stehenden Gesetzgebungsverfahrens, das im 3. Quartal 2024 umgesetzt sein soll, lässt dies nichts Gutes erwarten. Es könnte fatale Folgen haben. Denn so richtig und wichtig es ist, mit weiteren spürbaren Aktionen und Protesten eine Erhöhung des Apothekenhonorars zu erkämpfen und klare Kante gegen die nunmehr bekannt gewordenen „Liberalisierungspläne“ des BMG zu zeigen, so unabdingbar ist es auch, mit „der Politik“ (die auch im Gesundheitsbereich nicht nur aus Lauterbach besteht) im Gespräch zu bleiben oder besser: ins Gespräch zu kommen. Dies gilt umso mehr als es die ABDA in der Vergangenheit versäumt hat, rechtzeitig auf die Ausgestaltung der bereits vor zwei Jahren im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP angelegten Agenda („flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung für unterversorgte Gebiete“, „Honorarreform“) Einfluss zu nehmen. Die Absicht von Karl Lauterbach und der Koalition, die bestehenden Apothekenstrukturen „weiterzuentwickeln“, ist seit Langem bekannt. Und machen wir uns nichts vor: In Anbetracht eines in der Tat löchriger werdenden Apothekennetzes könnte der Vorschlag Lauterbachs, zumindest dort Arzneimittelabgabestellen zuzulassen, wo aktuell keine voll ausgestattete (Filial-)Apotheke ansässig ist, für manchen Meinungsbildner und Politiker durchaus plausibel sein: „Warum nicht eine Abgabestelle in Regionen zulassen, in denen es keine Apotheke gibt?“ Uns stellt sich in den nächsten Wochen und Monaten die alles andere als triviale Aufgabe, den Zynismus dieser Argumentation offenzulegen (ohne dabei den Eindruck zu erwecken, „den Apothekern gehe es wieder nur ums liebe Geld“): Die Etablierung modifizierter Zweig- und Light-(Filial)Apotheken würde innerhalb kurzer Zeit einen dramatischen Verdrängungswettbewerb zulasten von „Voll-Apotheken“ in Gang setzen, der wiederum mit einer qualitativen Verschlechterung der Arzneimittelversorgung zulasten von Patientinnen und Patienten einher ginge. Gegen diese Art der Barfuß-Pharmazie in verzwergten Pseudo-Apotheken ohne Apothekerinnen und Apotheker, ohne Rezeptur und ohne Notdienst müssen wir uns wehren. Sie löst keine Probleme, sondern setzt – in Verbindung mit dem angestrebten erweiterten Mehrbesitz – im Gegenteil einen Mechanismus in Gang, der die Zahl von (Voll-)Apotheken weiter verringern wird und auch regulatorisch kaum in Schach zu halten ist. Es steht einiges auf dem Spiel: nicht nur für Patientinnen und Patienten, sondern auch für das System der inhabergeführten Apotheke insgesamt. Und es ist eine traurige Ironie der Geschichte, dass ein sozialdemokratischer Gesundheitsminister, der an anderer Stelle – zu Recht – eine Überökonomisierung im Gesundheitswesen beklagt, nicht bereit ist, diese Gefahren zu erkennen und stattdessen einer unausgegorenen Deregulierung das Wort redet und sie als „liberale Wohltat“ zu verkaufen versucht.
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