Die Seite 3

Neue Ideen gefragt

Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) schien abgehakt, aber nun überschlagen sich die Neuigkeiten zur Interpretation der neuen Regeln zur Arzneimittelauswahl. Gemäß einer Auslegungshilfe aus dem BMG besteht eine Erleichterung nur bei der Auswahl von Packungsgrößen, Packungsanzahl, Abgabe von Teilmengen und der Wirkstärke – also nicht bei der Auswahl des Herstellers. Das ist aber oft entscheidend. Diese Auslegung konterkariert vor allem die Idee, mit Lagerhaltung vorzusorgen. Dabei haben Großhandel und Apotheken kaum eine Auswahl. Wenn die Ware dann aber nicht von einem passenden Rabattvertragspartner stammt, kann sie jetzt nur ab­gegeben werden, wenn komplexe Bedingungen gemäß der Abgabekaskade erfüllt sind (s. Seite 14). So wird die Lagerhaltung zum unkalkulierbaren Risiko.

Das passt zwar zur inneren Logik des Rabattvertragssystems, aber das Ergebnis ist widersinnig. Das Problem muss also tiefer stecken – im Wesen der Rabattverträge selbst. Sie haben als zentrales Instrument der vielfach kritisierten „Überökonomisierung“ im Generikamarkt wesentlich zu den Lieferengpässen beigetragen, und ihre Aussetzung hat in der Pandemie nicht geschadet. Was liegt also näher, als die Rabattverträge zu beenden? Dagegen wird argumentiert, dass sie jahrelang zu großen Einsparungen geführt haben – aber das war einmal. Solche künstlichen Eingriffe in den Markt werden immer für eine bestimmte Situation konstruiert und bestenfalls funktionieren sie in diesem Fall. Doch der Markt ist inzwischen ein ganz anderer als bei Einführung der Rabattverträge. Die tatsächlichen Preise sind im tiefsten Keller, und es gibt bei einigen Wirkstoffen so wenige Anbieter mit so geringen Kapazitäten, dass kein klassischer Wettbewerb mehr möglich ist. Das ist das – teilweise sogar beabsichtigte – Ergebnis der Rabattverträge. Sie haben ihr Werk getan. Die neue Situation braucht neue Antworten. Ohnehin wird bei der Einführung solcher Instrumente viel zu wenig auf langfristige Folgen geachtet. Dann muss später der Kurs korrigiert werden, wenn neue Probleme auftreten. Das Gegenargument, auf die Einsparungen durch Rabattverträge könnte nicht verzichtet werden, führt in die Irre. Das ist ein sinnloser Vergleich. Denn es geht nicht darum, auf jegliche Sparmaßnahmen zu verzichten. Nötig sind neue Ideen für Instrumente, die flexibler sind und jetzt besser passen. Vor allem müssten sie den Apotheken die nötige Flexibilität bieten, die im ALBVVG fehlt.

Doch nicht nur das Lieferengpass­gesetz verfehlt seine Ziele. Die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach für eine Apothekenreform erweisen sich als Bedrohung für das System. Über die bereits thematisierten Aspekte hinaus liefert eine vertiefte Analyse auf Seite 20 weitere Argumente dazu. Sie zeigt aber auch Ansätze in den Plänen, aus denen mit gutem Willen hilfreiche Neuerungen entwickelt werden könnten – ergänzend zur unverzichtbaren Honorarerhöhung. Dafür wird viel Überzeugungsarbeit nötig sein, ebenso wie für die Aufgabe, einen Ersatz für die Rabattverträge zu schaffen.

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