Ärger um Preismoratorium

Apothekenrechenzentren sollen von Herstellern Millionen Euro kassieren

Berlin - 19.01.2012, 11:21 Uhr


Anderthalb Jahre nach seiner Verhängung zum 1. August 2010 sorgt der Preisstopp für Arzneimittel für neuen Ärger. Auf die Apothekenrechenzentren rollt seit Jahresbeginn ein Millionen Euro schwerer Konflikt mit Krankenkassen und Arzneimittelherstellern zu.

Nach ersten Simulationsrechnungen des Norddeutschen Apotheken-Rechenzentrums (NARZ) handelt es sich um Beträge von bundesweit rund 20 Millionen Euro. Andere Spekulationen aus Herstellerkreisen gingen zunächst von noch höheren Rückerstattungsansprüchen der Krankenkassen aus: bis zu 100 Millionen Euro. Nach einer vom GKV-Spitzenverband zusammengestellten PZN-Liste bestehen Rückforderungsansprüche der Krankenkassen gegenüber 2000 Arzneimitteln. 

Betroffen von den Rückzahlungsforderungen sind insbesondere Hersteller, die nach dem 1. August 2010 neue Arzneimittel auf den Markt gebracht haben, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform im Angebot hatte. Paragraf 130 SGB V schreibt in diesen Fällen vor, dass sich der Preis der neuen Arzneimittel am Referenzpreis des bereits im Markt befindlichen, vergleichbaren Arzneimittels orientieren muss: „Bei Neueinführungen eines Arzneimittels, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht hat, ist der Abschlag auf Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommt.“ In vielen Fällen haben Hersteller offenbar jedoch deutlich höhere Preise verlangt. 

Die Federführung für die Umsetzung dieses „erweiterten Preismoratoriums“ liegt beim GKV-Spitzenverband. Nach langwierigen Verhandlungen verständigte sich der GKV-Spitzenverband im vergangenen Herbst mit den Herstellerverbänden auf eine komplizierte Berechnungsmethode für den Referenzpreis. Mithilfe von Abdata-Daten stellte der GKV-Spitzenverband eine PZN-Liste von 2200 Arzneimitteln auf, deren Preise über den inzwischen ermittelten Referenzpreisen lagen. Auf Basis dieser PZN-Liste erheben die Krankenkassen nun Rückforderungen in erheblicher Größenordnung.

Abgewickelt werden sollen die Rückforderungen der Kassen gegenüber den Herstellern aufgrund des zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband bestehenden Rahmenvertrages über die Apothekenrechenzentren. Darauf berufen sich die Krankenkassen. Weil die Apothekenrechenzentren jedoch über keine direkten Rechtsbeziehungen zu den Herstellern verfügen, ist derzeit noch völlig unklar, wie die Rückabrechnung konkret ausgestaltet werden kann. Darüber laufen jetzt Gespräche zwischen dem Deutschen Apotheker Verband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband. 

Für Dr. Jörn Graue, NARZ-Vorstandsvorsitzender, sind jedoch zwei Dinge klar: „Die Apothekenrechenzentren können solche Beträge nicht mehr vorfinanzieren und schon gar nicht die Apotheker damit  belasten.“ Die Rechenzentren könnten allenfalls die Beträge bei den Herstellern einziehen und erst nach deren Eingang den Kassen gutschreiben. Ob die Arzneimittelhersteller bei der noch unsicheren Datenlage die geforderten Zahlungen klaglos leisteten, bleibe dann abzuwarten. Graue: „Das müssen dann Kassen und Hersteller miteinander klären.“

Den Ärger haben die Apothekenrechenzentren trotzdem: „Wir bleiben auf jeden Fall auf den Kosten für unsere Dienstleistung sitzen. Das bezahlt uns keiner. Das müssen wieder einmal die Apotheken mit ihren Gebühren finanzieren, obwohl sie mit dem Preismoratorium nichts zu schaffen haben“, so Graue zu DAZ.online.

In der Tat ist unklar, wie sich die Hersteller zu den Rückforderungen der Kassen stellen werden. In einer Information des Herstellerverbandes BAH heißt es dazu nur: „Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass bei den nunmehr von den Apothekenrechenzentren versandten Abschlagsrechnungen unterschiedliche Auffassungen über die in Rechnung gestellten Rabattwerte bestehen.“ Das verspricht weiteren Ärger um das Preismoratorium.


Lothar Klein