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Plusminus-Sendung
„Modernes Raubrittertum“
Hart ins Gericht mit der Pharmaindustrie ging die ARD-Informationssendung „Plusminus“ am gestrigen Mittwoch. Auf der medialen Anklagebank standen die Firmen Sanofi und Biogen Idec. Beiden wirft „Plusminus“ vor, Arzneistoffe von einer weniger lukrativen Indikation umzuswitchen auf die Anwendung bei Multipler Sklerose, weil der Preislevel für Multiple-Sklerose-Medikamente – gesetzlich erlaubt – generell um ein Vielfaches höher liegt.
Im Einzelnen geht es um den Wirkstoff Alemtuzumab, Handelsname Campath, zuerst zugelassen für die Anwendung bei einer seltenen Form der Leukämie, sowie um das seit 1995 mit der Indikation Schuppenflechte auf dem Markt befindliche Dimethylfumarat. Für beide Wirkstoffe zeigte sich im Laufe der Zeit, dass sie gegen Multiple Sklerose wirksam sind. Das veranlasste die Hersteller, die Präparate mit den ursprünglichen Indikationen vom Markt zu nehmen und eine neue Zulassung für die Anwendung bei Multipler Sklerose zu beantragen.
Die Folgen für die Patienten zeigt der Film: Ein Leukämie-Patient erhält sein Alemtuzumab nur noch auf Umwegen aus dem Ausland. Kommt es als Multiple-Sklerose-Präparat in Deutschland wieder auf den Markt, wird es den zehnfachen Preis des Leukämie-Arzneimittels haben. Das ist gesetzlich möglich. Im Fall von Dimethylfumarat wird eine Multiple-Sklerose-Patientin gezeigt, die auf das Mittel gut anspricht. Sie lässt sich das Medikament in einer Apotheke in Form von Kapseln zubereiten und zahlt die Kosten dafür selbst – zurzeit 900 Euro im Jahr. Vermutlich im zweiten Quartal 2013 wird Dimethylfumarat als zugelassenes Fertigarzneimittel gegen Multiple Sklerose auf den deutschen Markt kommen – und ca. 20.000 Euro pro Patient und Jahr kosten, dann allerdings zahlt die Krankenkasse.
Florian Lanz, Pressesprecher des Spitzenverbands der Krankenkassen, von Plusminus zu dem Problem befragt, antwortet: "Die gesetzliche Vorgabe ist eindeutig. Das andere Thema sind die Kosten und da gebe ich Ihnen völlig Recht: Es ist extrem ärgerlich, wenn mehr gezahlt werden muss, als etwas eigentlich wert ist."
Der Fernsehbeitrag schließt mit dem Kommentar des Pharmakologen Bernd Mühlbauer, Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: "Ich empfinde da ein ganz erhebliches Auseinanderklaffen des moralisch-ethischen Anspruches, den die pharmazeutische Industrie ja in großflächigen Werbekampagnen dauernd erhebt. Ich würde das modernes Raubrittertum nennen, was sie da an den Tag legen."
Berlin - 31.01.2013, 15:58 Uhr