IQWiG-Gutachten

Orphan Drugs: Kein Sonderweg nötig

Berlin - 21.10.2014, 12:37 Uhr


Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat untersucht, ob bei der Durchführung, Auswertung und Bewertung der Ergebnissicherheit von Studien zu seltenen Erkrankungen methodische Besonderheiten zu berücksichtigen sind. In seinem Rapid Report kommt das Institut zu dem Fazit, dass die Ansprüche nicht geringer sein müssen als bei anderen Arzneimitteln.

Eine Erkrankung gilt in der EU als selten, wenn höchstens fünf von 10.000 Einwohnern an ihr leiden. Bei weniger als zwei von 100.000 Einwohnern kann man von einer sehr seltenen Erkrankung sprechen. Von ungefähr 30.000 bekannten Krankheiten gelten 7000 bis 8000 als selten, sodass allein in Deutschland bis zu vier Millionen Menschen betroffen sind. Im Rahmen des 2010 gegründeten Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) wurde ein Katalog von 52 Maßnahmen erarbeitet – eine von ihnen ist jetzt mit der Veröffentlichung des IQWiG-Reports umgesetzt worden.

Wie das IQWiG in seinem Bericht erläutert, bestimmen im Wesentlichen vier Komponenten die Aussagesicherheit einer Studie: die interne Validität (Verzerrungspotenzial), die externe Validität (Anwendbarkeit), die Effektstärke und die Präzision der Ergebnisse. Das Verzerrungspotenzial kann durch eine Randomisierung, Doppelblindheit und das sogenannte Intention-to-treat-Prinzip minimiert werden, das heißt im Rahmen von RCTs.

Studiensponsoren wenden immer wieder ein, dass bei seltenen Erkrankungen die sonst üblichen methodischen Standards für klinische Studien abgesenkt werden müssten, da RTCs wegen der geringen Teilnehmerzahlen schwierig und zudem beim Fehlen wirksamer Vergleichstherapien ethisch zweifelhaft seien. Die Wissenschaftler des IQWiG sehen dies allerdings anders: Eine geringe Teilnehmerzahl sei bei allen Studientypen gleichermaßen problematisch. Und ethisch zweifelhaft seien kontrollierte Studien nur dann, wenn der Nutzen oder Zusatznutzen der zu prüfenden Intervention bereits mehr oder weniger belegt sei. Dann erübrigten sich weitere Studien zur Klärung der Nutzenfrage aber ohnehin – nicht nur bei seltenen Erkrankungen.

Eine unterschiedliche Herangehensweise bei der Bewertung von medizinischen Interventionen für seltene gegenüber nicht seltenen Erkrankungen kann aus Sicht des IQWiG also wissenschaftlich nicht abgeleitet werden. Die Autoren des Rapid Report verweisen weiterhin darauf, dass die Zulassungen und Zulassungsstudien für Orphan Drugs zu einem großen Teil, auch bei sehr seltenen Erkrankungen, auf konventionellen (randomisierten) Designs basieren, sodass die grundsätzliche Machbarkeit nicht infrage stehe.

„Wie sich zeigt, ist ein methodischer Sonderweg bei Studien zu seltenen Erkrankungen weder notwendig noch ohne Qualitätseinbußen möglich“, fasst Institutsleiter Jürgen Windeler zusammen. „Vorbehalte gegen RTCs bei seltenen Erkrankungen sind in den meisten Fällen unberechtigt.“ Das IQWiG räumt jedoch ein, dass es „notwendig oder auch politisch gewünscht sein“ könnte, Kompromisse bei der Aussagesicherheit einzugehen. Hierfür hält das Gutachten Vorschläge für eine Anpassung der Studien auf drei Ebenen parat.

Hier finden Sie eine Kurzfassung des Rapid Report des IQWiG als pdf.



Kirsten Sucker-Sket