Kossendeys Gegengewicht

Zurück in die Zukunft...

Stuttgart - 24.02.2016, 15:45 Uhr

Ein Deja vu haben hin und wieder nicht nur Doc Brown (Christopher Lloyd, li.) und Marty (Michael J. Fox), sondern auch Ann-Katrin Kossendey-Koch - während des Notdiensts.  (Foto: dpa)

Ein Deja vu haben hin und wieder nicht nur Doc Brown (Christopher Lloyd, li.) und Marty (Michael J. Fox), sondern auch Ann-Katrin Kossendey-Koch - während des Notdiensts. (Foto: dpa)


Es gibt sie alle: Den „Ahnungslosen“, den „Alka-Seltzer“-Typ und den „Praktischen“. Die Patienten-Typologie der Nachtdienst-Gäste ergänzt Ann-Katrin Kossendey-Koch noch um den „Perversen“ und den „urbanen Zeitgeist“. Hat Sie niemand vergessen? Wer ist Ihr Liebling?  

Passend zu meinem Notdienst am Sonntag schickte mir mein Vater einen Zeitungsartikel vom 17. Dezember 1994: „Wenn`s nachts beim Apotheker klingelt“ von Claus Holscher. Gute 21 Jahre alt der Artikel – und doch aktueller denn je. Die Patienten-Typologie eines Apothekers: 

„Der Ahnungslose“: Laut Holscher rüttelt dieser nachts an der Apothekentür und wundert sich, dass diese verschlossen ist. Nach meinen Erfahrungen ruft dieser Typ auch gerne vor seinem Apothekenbesuch an und fragt erst mal nach, ob man auch Notdienst habe, um dann mit dem Apotheker zu diskutieren, ob er mit seinem Anliegen den Arzt stören solle oder nicht. 

„Der Praktische“: Schon 1994 holte dieser Patiententyp grundsätzlich gerne nachts seine Medikamente, da er Spätschicht hat und den Apothekenbesuch gleich auf dem Heimweg erledigen kann. 2016 hält sich der Praktische ohne Schichtdienst an gewisse Tagesroutinen - der Notdienst-Besuch wird entweder nach dem späten Frühstück, dem Kaffeetrinken oder dem Tatort eingeplant. 

Bei Holscher gab es noch einen „Alka-Seltzer"-Typ, der zwischen 24 Uhr und 3 Uhr morgens erscheint und einen Mordslärm macht, weil er die Notdienst-Klingel nicht gleich findet. Dieser Typ ist heute seltener anzufinden und kommt eher am Day-after, schließlich gehen die jungen Leute heute kaum noch vor Mitternacht los, wenn sie feiern wollen.

„Der Vergessliche“ bereichert wie kein anderer Patient unseren Notdienst - im letzten Jahrhundert so wie heute. Allergene Babynahrung, die plötzlich leere Schachtel Blutdruck-Tabletten oder das Rezept in der Arztpraxis, was verschusselt wurde abzuholen. Da das Fehlen dieser Produkte und Medikamente immer erst just dann auffällt, wenn man sie braucht, beehrt einen dieser Patienten-Typ zu den unmöglichsten Uhrzeiten.

Ann-Katrin Kossendey-Koch

Mein Lieblingspatienten-Typ ist laut Holscher „der Panische“, der als weiblicher Spezialtyp dringend einen Schwangerschaftstest braucht. Im zunehmend technisierten Zeitalter benötigt die „Panische“ mittlerweile einen Schwangerschaftsfrühtest, der direkt nach dem Geschlechtsverkehr ein eindeutiges Ergebnis anzeigen sollte. Der Frühtest wird dann auch gerne in größeren Gebinden gekauft. 

Das „Organisationstalent“ kennen auch schon Generationen von Apothekern - meldet sich vorher ordnungsgemäß telefonisch an und fragt nach dem Weg. Trotz einer Falk-Stadtplan-würdigen Beschreibung kommt dieser Patiententyp meistens erst nach ein bis zwei Stunden, während der Apotheker wartet. Gerade nachts ein überaus beliebter Patiententyp. 

Der „Auskunft-Heischende“ ruft an, um sich zu erkundigen, welcher Arzt Notdienst hat. Durch weitgehende Zentralisierung des ärztlichen Notdienstes ist dieser Patiententyp rar geworden, Mutationen dieser Art fragen nach einem notdienstbereiten Zahnarzt oder verlangen telefonische Ferndiagnosen des Apothekers. 

Holscher beschreibt noch einen „Ausgeflippten“, der nachts dringend irgendwelche Spritzen oder Aufputschmittel braucht, aber mangels Rezept nichts bekommt. Diese Spezies hat sich weiter entwickelt. Manche besitzen einen Arztausweis und brausen auf, wenn man entweder diesen bei Verlangen von rezeptpflichtigen Medikamenten auch sehen möchte, oder aber die Frechheit besitzt, den Herrn Doktor - wie jeden Patienten auch - an der Notdienstklappe zu bedienen, also in der Kälte stehen zu lassen anstatt ihn auf Tee und Kekse herein zu bitten. 

Neu in der Typologie

Mir fehlen in Holschers Artikel noch Patiententypen. Zum Beispiel „der Perverse“, der als männlicher Spezialtyp nur telefonisch in Erscheinung tritt und wahlweise eine Spezialberatung zu Kondomen benötigt, da er mit seiner bemerkenswerten Größe Sonderanfertigungen braucht oder Schwierigkeiten nach der Viagra-Einnahme hat und diese detailliert mit der ausnahmslos weiblichen Apothekerin diskutieren möchte. 

Dann gibt es noch den „urbanen Zeitgeist“, für den das 24-Stunden-Shopping-Erlebnis selbstverständlich ist und der ganz verwundert ist, dass die Apotheke nicht normal auf hat, sondern nur Notdienst schiebt.  

Nicht zu vergessen, „der Verwirrte“. Er steuert in einem Ort erst einmal alle Apotheken an, klingelt beim Kollegen, um dann anzurufen und sich bitterböse zu beschweren, warum man nicht an die Tür käme. Gegen jegliche Erklärungsversuche immun, beharrt er darauf, dass es eine Unverschämtheit sei, ihn einfach vor der Tür stehen zu lassen. Selbst beim Abgleich von Adresse und Apothekenname bleibt der Verwirrte erst mal stur, um schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit doch noch die richtige Apotheke zu finden, immer noch zeternd, dass es eine Frechheit sei, dass er bei der falschen Apotheke war. 

Holscher schließt seine Typologie mit dem „Notfall-Patienten“, der nur im echten Notfall mit korrekt gekennzeichnetem Rezept kommt und sich für die nächtliche Störung entschuldigt. Immer noch so wahr und richtig. Auch ich hatte einige tatsächliche Notfälle am Sonntag im Dienst – dankbare und freundliche Patienten und das, obwohl sie aufgrund ihrer Erkrankungen allen Grund gehabt hätten, kurzangebunden zu sein. Die Notfall-Patienten wissen gar nicht, dass sie die Berechtigung für unseren Notdienst sind und damit das Opfern unserer Lebenszeit nicht sinnlos bleibt. 

Leider ist dieses Bewusstsein nicht in der Politik angekommen, denn sonst hätte man uns nicht um unsere Notdienst-Pauschale betrogen, die immer noch nicht gänzlich bezahlt wurde.  


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9 Kommentare

Nachtrag: Die Verlorenen...

von Bernd Jas am 29.02.2016 um 15:56 Uhr

...sind leider auch nicht so selten.
Und jetzt können wir das A.: & B.: -Spiel weiterführen ( rein unakademisch aber trotzdem seht effektiv.
A.: Ich glaube mein Kind hat Fieber.
B.: Wie kommen Sie darauf?
A.: Es ist so warm, vielleicht 39°.
B.: Haben Sie denn nicht gemessen.
A.: Nein, kann ich nicht. Aber es hat Fieber und ich habe schon ein Zäpfchen gegeben.
B.: Was war das für ein Zäpfchen?
A.: Wala.
B.: Wala ist eine Herstellerfirma. Was steht denn auf der Packung?
A.: Carum Carvi.
B.: Ich weiß, dass es nicht (gegen Fieber) wirkt.

Und so weiter, und so fort...
Bis der Vater nach langen Erklärungen etwa eine Stunde später die PCM-Zäpfchen holt.

Man, man, man...

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Macht...

von Bernd Jas am 27.02.2016 um 0:02 Uhr

...echt Spass!
Habe mir gerade mal ´ne Typus-Liste angelegt, mal sehen ob ich die heute Nacht alle abhaken kann.
Natürlich ohne mich darüber, oder über irgend jemanden lustig machen zu wollen.

Und Herr Dr. Klotz, hasst (oder liebst) Du hier so eine Textkorrektuhrfunktion, kann das bei diverser Autogravieh schon mal zu Irritationsstörungen führen.

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Vielen Dank, Frau Kollegin

von Beatrix Mayer am 25.02.2016 um 21:03 Uhr

Wie gesagt, vielen Dank für Ihren Artikel, ich habe auch schon die meisten dieser Kundentypen irgendwann mal im Notdienst erlebt. Die meisten Leute sind aber dankbar, daß man ihnen hilft. Ostersonntag letztes Jahr hat mich allerdings auch genervt, daß ich gefühlte xmal telefonisch gefragt wurde, ob ich Notdienst habe....

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Statistik

von Dr. Christoph Klotz am 25.02.2016 um 18:01 Uhr

Ich möchte die Sammlung noch um einen Typus erweiter: Die versteckt gehässigen Typen: Taxifahrer, die einen um 3h aus dem Schlaf klingeln, für einen Nasenspray und dann süffisant bemerken: Ich habe'Sie jetzt doch nicht aus dem Tiefschlaf geholt?
Stichwort Kommentare: Lächerliche 4 Kommentare,... Leute das muss sprudeln oder wollt Ihr dass das Interesse für DAZ-online einschläft?
Ann-Katrins Kommentare sind die meist gelesenen Artikel von DAZ-Online.
Pharmama in der Schweiz (übrigens eine Deutsche Kollegin, die in die Schweiz geheiratet hat, erlebt ja auch so manches im Apothekennotdienst. Aber die Schweizer haben die Genugtuung, dass die Notdienstgebühr für manches eine Entschädigung ist.

Stichwort Orthographie. Wann wird bei DAZ-online eine Textkorrekturfunktion eingerichtet?

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irgendwie

von Christiane Patzelt am 24.02.2016 um 19:09 Uhr

Irgendwie gibt es Kollegen, die sind nicht nur mies in Orthografie, sondern auch mies in Laune. Werter Kollege ebert, ist wie beim Fernsehen, bei Nichtgefallen einfach kommentarlos weitergehen, denn dann gibt es nichts zu sehen....Danke!

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AW: Das...

von Thorsten Dunckel am 25.02.2016 um 9:51 Uhr

...sehe ich genau so. A-KK-K blos weiter so, Sie sind einer der mittlerweile ganz wenigen Lichtpunkte in diesem miesen Geschäft.

Artikel

von Frank ebert am 24.02.2016 um 16:13 Uhr

Langsam wird es irgentwie nervig

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Mahlzeit!

von Andreas P. Schenkel am 24.02.2016 um 21:31 Uhr

<°x)))))<<<<

AW: Wie...

von Bernd Jas am 26.02.2016 um 11:17 Uhr

...schon mal gesagt; hier herrscht zwar immer noch allgemein die Fressefreiheit, aber...

...und ohne die Textkorrektur kommen auch schon mal im Winter schöne Stilblüten zum Vorschein,denn Herr Dr. wollte doch bestimmt schreiben: "um einen Typhus erweitern:"?

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