Beziehung von Kassen und Apothekern 

Besser zur Politik als zum Paartherapeuten 

Berlin - 19.03.2016, 13:31 Uhr

Wie steht es um die Beziehungen? Sabine Richard vom AOK-Bundesverband, der Berater und langjährige Geschäftsführer des AV Nordrheins Uwe Hüsgen und Mathias Arnold von der ABDA diskutierten auf der INTERPHARM. (Foto: as / DAZ.online)

Wie steht es um die Beziehungen? Sabine Richard vom AOK-Bundesverband, der Berater und langjährige Geschäftsführer des AV Nordrheins Uwe Hüsgen und Mathias Arnold von der ABDA diskutierten auf der INTERPHARM. (Foto: as / DAZ.online)


Wachsender bürokratischer Aufwand und ständige Retaxgefahr frustrieren Apotheker. Die Beziehung zu den Krankenkassen ist angespannt – und durchaus reif für eine Paartherapie, hieß es auf einem Podium der INTERPHARM. Trotz des Ärgers entdeckten die Kontrahenten in ihrer ersten Sitzung gemeinsame Anknüpfungspunkte.

Wie steht es um die Beziehung zwischen Kassen und Apotheken? Auf einer gesundheitspolitischen Diskussion auf der INTERPHARM sagte Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband, sie sehe das Verhältnis als nicht so zerrüttet an, dass es einer Therapie bedürfte. ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold erinnerte hingegen an die bestehenden Beziehungskrisen – und trat auch dafür ein, sich auf die Sicht der anderen Seite einzulassen. Denn ein besseres Verständnis kann helfen, die eigenen wie auch die gemeinsamen Interessen besser zu vertreten. „Da können wir noch viel lernen“, sagt Arnold.

Viele Apotheker haben das Gefühl, sich überhaupt nicht mehr mit dem Patienten beschäftigen zu können, sondern nur noch Rezepte prüfen zu müssen. Arnold forderte daher ein letztes Quantum Vertrauen ein. Schließlich erfüllten die meisten Apotheker Rabattverträge, die Quote liege bei 90 Prozent. Wenn ein Apotheker einen Patienten als Akutfall einstufe oder ein Kunde den Austausch intellektuell nicht verstehen kann und der Apotheker deshalb ein nicht-rabattiertes Mittel abgibt – warum akzeptieren Kassen dann nicht, dass ein Fachmann vor Ort entschieden hat?

 

Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA und Vorsitzender des Landesapothekerverbands Sachsen-Anhalt

Compliance statt Rabatt-Kampf

Anstatt um die letzten 10 Prozent zu kämpfen, sollten sich Apotheker besser um die Compliance, etwa in der Hepatitis-C-Therapie, kümmern. „Es gibt immer noch Grabenkämpfe“, so Arnold. „Wir müssen raus aus diesen Gräben und nach realistischeren Zielen gucken.“ Auf dem Podium waren leider jedoch nicht die Kassen vertreten, die Apothekern am meisten Kopfschmerzen bereiten.

Angesichts des anhaltenden Ökonomisierungs-Trends sind Apotheker mit ihrer Doppelrolle als Heilberufler und Wirtschaftsbetrieb zunehmend in einer Zwickmühle. Arnold erinnerte an den hohen Stellenwert von Apothekern im Gesundheitswesen: Als Berufsgruppe halten sie die Lösungen für Patienten bereit, was die Arzneimittelversorgung und -sicherheit anbelangt. „Wir haben engen Kontakt, wir haben die Kompetenz“, sagte er. Doch müssten Apotheker diese Aufgabe auch ausfüllen: „Der Apotheker ist die letzte Sicherheitsinstanz, bevor der Patient das Arzneimittel bekommt“, so Arnold. „Wenn ich es bin, kann ich diese Verantwortung nicht von mir weisen.“ Doch die überbordende Bürokratie dürfe die sinnvolle Arbeit nicht unmöglich machen.

Haben junge Apotheker eine Zukunft?

Eine Apothekerin aus dem Publikum erinnerte an die jungen Kollegen, die pharmazeutisch arbeiten und sich für die Patienten einsetzen wollen – sich aber angesichts der enormen Haftungsfragen eigentlich nur vom Apothekerberuf abwenden könnten. Wenn jemand durch eine falsche Beratung zu Schaden kommt, sei die Haftung ja sinnvoll und akzeptiert. Aber bei Formfehlern, die angesichts der zunehmenden Bürokratisierung schnell entstehen? „Es kann nicht sein, dass wir bei den extrem teuren Medikamenten mit unserem ganzen Vermögen gerade stehen“, so die Apothekerin aus Salzgitter.

Uwe Hüsgen, unabhängiger Berater im Pharma- und Apothekenmarkt und langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbands Nordrhein sowie früherer Leiter der Abteilung Wirtschaft und Statistik der ABDA

Sollten wirklich Apotheker dafür geradestehen, wenn auf Rezepten Vornamen fehlen oder aufgrund von Nichtlieferfähigkeit auf andere Mittel ausgewichen werden muss? Uwe Hüsgen, Berater im Pharma- und Apothekenmarkt und ehemaliger Leiter der Abteilung Wirtschaft und Statistik bei der ABDA, verwies darauf, dass die Sicherheit von Arzneimitteln und die Verhinderung von Lieferengpässe eigentlich Aufgabe der Hersteller sind – und nahm die Kassen und Ärzte in die Pflicht, was formale Rezeptfehler anbelangt. „Es kann nicht sein, dass Krankenkassen wegen eines vergessenen Vornamens retaxieren“, so Hüsgen. Die Kassen müssten den Ärzten die Anforderungen klarmachen.

Strafgebühr für Mediziner

Könnten die Krankenkassen nicht durchsetzen, dass Ärzte beispielsweise fünf Euro für jedes unvollständig ausgefüllte Rezept zahlen müssen, fragte ein Apotheker aus dem Publikum. Denn aktuell müssen Apotheker Formfehler bei Rezepten beheben, ohne dafür Geld zu bekommen – und würden in dringenden Fällen einen Fahrer nochmal zum Arzt schicken, um beispielsweise ältere Patienten schnell mit nötigen Arzneimitteln versorgen zu können. Ärzte müssen mit in die Haftung, fordert auch Hüsgen. Daher sollten Krankenkassen die kassenärztlichen Vereinigungen an ihre Pflichten erinnern.

Richard vom AOK-Bundesverband ist zuversichtlich, dass Ärzte nach und nach „besser werden beim Verschreiben“ – und zweifelt daran, ob es gut wäre, dies über finanzielle Anreize durchzusetzen. Arnold setzt Hoffnung in elektronische Rezepte, bei denen keine Unterschriften mehr vergessen werden können: „Ein Teil der Probleme wird sich in Zukunft dadurch lösen, dass wir nicht mehr mit rosa Zetteln arbeiten“, sagte er.

Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung des AOK-Bundesverbands

Zunehmende Ökonomisierung

Und wie sieht es mit dem Ökonomisierungs-Druck der Kassen aus? Heute kommt bei der Beziehung zu den Kassen die Wirtschaftlichkeit wohl zuerst, so Hüsgen auf der INTERPHARM. Auch Richard räumte ein: „Wirtschaftlichkeitspotenziale werden heute stärker betrachtet als früher.“ Dennoch würden die AOK-Regionalverbände noch mit den Apothekerverbänden über die Arzneimittelversorgung und -sicherheit diskutieren. „Im Moment reden wir mit Apothekern eher mehr über Versorgung als früher“, so Richard.

Anstatt die Probleme zwischen Apothekern und Kassen durch Schiedsstellen regeln zu lassen, schlägt Arnold mehr Kooperation vor: „Krankenkassen und Apotheken sollten auch mal zusammen zur Politik gehen – etwa wenn es um globale Probleme wie Lieferengpässe geht“, so der ABDA-Vize. Eine weitere gemeinsame Forderung könnte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel sein. Die Gesundheit der Menschen sei ja kein ökonomisches Gut, sondern ein soziales und gesellschaftliches. Auch könne man von einigen guten Beispielen lernen: „Es gibt Krankenkassen, die verstehen sich wunderbar mit Apothekern und haben tolle Lösungen gefunden“, sagt Arnold – „und welche, mit denen es sehr schwierig ist“.

Für die nächste INTERPHARM ist eine weitere Sitzung angedacht, um die Beziehungskrise zwischen Apothekern und Kassen bald zu überwinden. 


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1 Kommentar

Strafgebühr für Mediziner?

von Bernd Jas am 20.03.2016 um 12:00 Uhr

Strafgebühr für Mediziner?
Es kann doch nicht sein, dass wir uns auf das kindische Spiel der mittlerweile nur noch wirtschaftlich funktionierenden Träger des SOZIALversicherungssystems und Körperschaften des öffentlichen Rechts, sprich Krankenkassen einlassen.
Mit unseren Staatsexamina und der Approbation, haben wir es als Akademiker immerhin mit einem Staatsauftrag inklusive sozialer Zielsetzung zu tun.
Wenn wir als letzte Instanz vor der Abgabe eines Medikaments wissen, was der Patient bekommen soll, dann sollten wir das auch so, ohne wenn und aber ausführen dürfen.
Auch WENN das Rezept(-Formular) nicht ganz korrekt ausgestellt ist, ABER wir dennoch ein Einklang mit dem Patienten und, oder dem Arzt zusammen richtig Handeln, müssen wir auch ein Recht auf vollständige Erstattung haben.
Von mir aus auch mit Sonder-PZN.
Früher wurden die Rezepte alle von Hand ausgestellt und eine Interpretation war unerlässlich. Es hat gut funktioniert.

Wer soll denn im übrigen die Strafgebühr einhalten dürfen?

Auch weiß ich selber, dass die Fehlerquote bei Ausstellung der Rezepte enorm ist (statistisch liegt uns das alles schon vor), aber die Methode "Wer einen Fehler findet, bekommt 5.-€" ist wirklich lächerlich, ist eine Fehlsteuerung unserer Kompetenz in die Sackgasse der Krankenkassen-Bürokratie und in keiner Weise zielführend.

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