Geplante Kürzungen

Bundesregierung will auf Literatur-Datenbanken verzichten

Stuttgart - 14.06.2016, 10:50 Uhr

Umstrittene Entscheidung: Das DIMDI will sich zum Jahresende von Literaturdatenbanken trennen. (Screenshot)

Umstrittene Entscheidung: Das DIMDI will sich zum Jahresende von Literaturdatenbanken trennen. (Screenshot)


Pharmafirmen oder der Vorsitzende der Arzneimittelkommission reagierten entsetzt über die geplante Schließung der ZB MED und von DIMDI-Literaturdatenbanken. Die Bundesregierung sieht hingegen keine Verschlechterung der Angebote, wie sie nun erklärt. Die Linke-Gesundheitspolitikerin Kathrin Vogler spricht von einem „Tiefschlag“.

Wie berichtet, geht die Zentralbibliothek Medizin (ZB MED) nach einer Entscheidung des zuständigen Aufsichtsgremiums einer ungewissen Zukunft entgegen – und auch das DIMID will fast alle seiner Literaturdatenbanken einstellen. Für den Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) sei dies ein erhebliches Problem, erklärte der Geschäftsführer Wissenschaft des BAH, Elmar Kroth. „Mit dem Aus der Literaturdatenbanken bricht auch für Arzneimittel-Hersteller die zentrale Infrastruktur für wissenschaftliche Recherchen weg“, sagte er gegenüber DAZ.online. Auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Martin Schulz, sprach von einer Katastrophe für Forschung und Patientenversorgung.

Wie zwei Kleine Anfragen der Linken-Fraktion im Bundestag ergeben, teilt die Bundesregierung diese Einschätzung nicht. Zwar erfülle die evidenzbasierte Medizin vielfältige Aufgaben im Gesundheitswesen – so beispielsweise in der Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) oder des IQWiGs. Doch: „Das DIMDI nimmt lediglich die letzten Literaturdatenbanken aus seinem Angebot, die auch über andere Anbieter verfügbar sind“, erklärt sie in ihrer Antwort. Andere Datenbanken und Angebote, die von essentieller Bedeutung seien, werden weiterhin vom DIMDI angeboten. „Eine Verschlechterung ergibt sich demnach nicht“, schreibt die Bundesregierung.

Welche Bedeutung haben die Angebote?

Doch Firmen, Forscher und Oppositionspolitiker setzen sich einerseits dafür ein, dass die ausgefeilte Software-Infrastruktur des DIMDI erhalten wird – und fürchten andererseits, dass die Preise extrem steigen. „Sofern kein kostenloser Zugang gewährleistet werden kann, setzt sich die Bundesregierung für eine niedrigschwellige Informationsbereitstellung ein“, erklärt die Bundesregierung zwar. Doch durch die Aufgabe der bisherigen Angebote beim DIMDI nutzen die Anbieter der Datenbanken offenbar die Möglichkeit, ihre Preise sehr stark anzuheben.

Insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, welche die Bundesregierung eigentlich in verschiedenen Programmen unterstützen möchte, seien kommerzielle Datenbanken aufgrund der sehr hohen Kosten nach Ansicht des BAH „keine Alternative“, wie der Verband erklärte. „Der Zugang zu Literaturdatenbanken über das DIMDI spielt für die Fachöffentlichkeit keine bedeutende Rolle mehr“, schreibt hingegen die Bundesregierung. Mit den vorhandenen Informationsangeboten sei ein ausreichend freier Zugang zu medizinischen Datenbanken und wissenschaftlicher Literatur gewährleistet.

Für Linke-Politiker ein Tiefschlag 

In Sachen ZB MED sieht die Bundesregierung auch keinen akuten Handlungsbedarf – sondern verweist darauf, dass sie die Weiterentwicklung zu einem modernen Fachinformationszentrum unterstütze. Wie sich aus den Anfragen der Linken-Politiker ergeben hat, gibt es auch keinen neuen Stand in Sachen der eigentlich ab Januar geplanten, dauerhaften Finanzierung des Deutschen Cochrane-Zentrums sowie des Deutschen Registers klinischer Studien.

„Die Schließung des DIMDI-Literaturzugangs und der ZB-MED wären ein Tiefschlag für die evidenzbasierte Medizin in Deutschland“, erklärt Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag. Für beides trage die Bundesregierung die maßgebliche Verantwortung. Zu Recht werde erwartet, dass die medizinische Behandlung auf dem aktuellen Stand des Wissens basiert, sagt Vogler. „Der freie Zugang zu medizinisch-wissenschaftlicher Literatur ist dafür absolut notwendig – nicht zuletzt auch um den marketingorientierten Informationen der Pharmaindustrie etwas entgegensetzen zu können.“

Auch ihr Fraktionskollege und Sprecher für Forschungspolitik, Ralph Lenkert, kritisiert, dass sich die Bundesregierung über die Folgen einer Schließung der ZB MED für die medizinische Forschung in Deutschland nicht im Klaren sei. „Anstatt die im Pakt für Forschung und Innovation vereinbarte Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Infrastruktur voranzutreiben, wird der medizinischen Forschung eines ihrer Standbeine amputiert“, erklärt er. Wenn die Regierung die Bibliothek erhalten wolle, hätte sie dies schon im zuständigen Aufsichtsgremium, dem Senat der Leibniz-Gemeinschaft, einbringen können. „Die Vorgänge um die ZB MED und das DIMDI zeigen, das nicht nur die rechte Hand nicht weiß, was die linke machte“, sagt Lenkert. 

Recherchen werden erschwert

Auch der BAH bekräftigt auf Nachfrage seine Kritik an den geplanten Kürzungen. „In der Auflistung der elf Datenbanken, die das DIMDI aus dem Angebot nehmen möchte, sind auch große Datenbanken, die für viele Unternehmen eine hohe Bedeutung für wissenschaftliche Recherchen haben“, erklärt Kroth gegenüber DAZ.online. Insbesondere sei ein zentraler Zugang auf eine Vielzahl von Datenbanken für Forschung und Wissenschaft wichtig und notwendig, wie ihn das DIMDI derzeit anbiete und die ZB MED voraussichtlich in dieser Form nicht einführen wird. 

Dem Ziel, die Bibliothek zu einem modernen Fachinformationszentrum auszubauen, komme die Bundesregierung laut Kroth nicht näher, wenn gleichzeitig den einfachen, digitalen Zugriffsmöglichkeiten auf zentrale Datenbanken ein „Riegel“ vorgeschoben werde. „Denn damit beendet man auch eine praktikable Möglichkeit insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen, über ein zentrales Portal umfassende wissenschaftliche Recherchen durchzuführen, die beispielsweise in den Bereichen Arzneimittelsicherheit und Arzneimittelzulassung essentiell sind.“


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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