Marciej Szpunar zu Defekturarzneimitteln

Der spirituelle Weise und der EuGH-Anwalt

Berlin - 08.07.2016, 16:45 Uhr

Defektur-Arzneimittel bedürfen keiner Zulassung. Sind sie verschreibungsfrei, ist eine Werbung für sie möglich - meint EuGH-Generalanwalt Marciej Szpunar. (Foto: Kadmy / Fotolia)

Defektur-Arzneimittel bedürfen keiner Zulassung. Sind sie verschreibungsfrei, ist eine Werbung für sie möglich - meint EuGH-Generalanwalt Marciej Szpunar. (Foto: Kadmy / Fotolia)


Defektur – kein Fall für den Arzneimittelkodex

Der zuständige Generalanwalt erklärt nun in seinen Schlussanträgen, dass Defekturarzneimittel seiner Meinung nach gar nicht unter den Arzneimittelkodex fallen. Besagte Richtlinie gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 für Humanarzneimittel, „die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt“. Diese Begriffe sind in der Richtlinie nicht definiert. Doch Szpunar verweist auf ein anderes EuGH-Urteil, aus dem er letztlich ableitet, dass die Weihrauch-Kapseln des Apothekers, die handwerklich und nicht in bedeutender Menge hergestellt werden, diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Daher würde er die Prüfung hier bereits abschließen.

Für den Fall, dass der Gerichtshof dies anders sehen sollte, prüft der Generalanwalt vorsorglich aber auch Normen des Arzneimittelkodex, nach denen die Anwendung der Richtlinie ausgeschlossen sein kann. Einzig denkbar ist für ihn Art. 3 Nr. 2. Danach gilt die Richtlinie nicht für „in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sogenannte formula officinalis)“.  

Was heißt „nach Vorschrift einer Pharmakopöe“?

Fraglich sei hier allein das Tatbestandsmerkmal „nach Vorschrift einer Pharmakopöe“. Der Bundesgerichtshof hatte hier Zweifel an der europarechtlichen Konformität des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG, weil dieser nicht verlangt, dass das in einer Apotheke hergestellte Arzneimittel nach Vorschrift einer Pharmakopöe hergestellt wurde.

Doch auch hier kommt Szpunar im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Apotheker zumindest die Vorgaben des Europäischen Arzneibuchs eingehalten habe. Dies reicht ihm dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 erfüllt sind. 

Ob die angeführte deutsche Bestimmung auch ganz allgemein mit Art. 3 Nr. 2 im Einklang steht, beantwortet Szpunar ebenso. Das Tatbestandsmerkmal „nach Vorschrift einer Pharmakopöe“ sei eng nach seinem Wortlaut auszulegen, insbesondere deshalb, weil es hier um eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel gehe. Es bedeute, dass eine solche Vorschrift, sofern sie existiert, zwingend zu befolgen ist.

„Falls eine solche Vorschrift nicht existiert, fiele es mir schwer, hinzunehmen, dass auf diese Anforderung an Erzeugnisse, nämlich dass sie ‚gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt‘, einfach verzichtet werden kann, um sie nach Art. 3 der Richtlinie 2001/83 von deren Anwendungsgebiet auszunehmen“.

Nun heißt es abwarten, wie der Gerichtshof den Fall bewertet. Die Schlussanträge sind für ihn nicht bindend. Werden sich die Richter vielleicht den spirituellen Eigenschaften des Weirauchs anvertrauen, um zu einer angemessenen Entscheidung zu kommen?

Hier finden Sie die Schlussanträge des Generalanwalts im Wortlaut.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Gericht

von Florian Becker am 12.07.2016 um 8:55 Uhr

Können deutsche Gerichte eigentlich langsam grundsätzlich keine eigenen Entscheidungen mehr treffen?
Ich finde das ein wenig peinlich, dass die Richter hierzulande immer mehr dazu neigen, den EuGH entscheiden zu lassen.
Nicht mal ein Urteil des Gemeinsamen Senats ist das Papier wert, auf dem es steht (siehe Bonus-Streit).
Ist das das Selbstverständnis der deutschen Richter?
Oder ist das aus unerfindlichem Grund wieder nur in der Apothekenwelt normal?

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