Nach Todesfall in Rennes

EMA und BfArM planen verschärfte Regeln für Phase-I-Studien

Stuttgart - 26.07.2016, 17:30 Uhr

EMA und BfArM diskutieren: Wie können die Risiken klinischer Studien besser beherrscht werden? (Foto: Robert Kneschke / Fotolia)

EMA und BfArM diskutieren: Wie können die Risiken klinischer Studien besser beherrscht werden? (Foto: Robert Kneschke / Fotolia)


Die europäische und deutsche Arzneimittelbehörde überarbeiten nach dem tragischen Zwischenfall mit BIA 10-2474 die Richtlinien für erste Studien am Menschen. Auf einer BfArM-Tagung wurde auch das Vorgehen in Frankreich kritisch diskutiert. Wie kann die Sicherheit von komplexen Studien erhöht werden?

Die geltende Richtlinie zur Durchführung von ersten Studien am Menschen wurde 2007 nach dem schweren Zwischenfall mit dem monoklonalen Antikörper TGN1412 verfasst, bei dem sechs Probanden innerhalb kürzester Zeit lebensgefährliche Komplikationen erlitten. Nun will die Europäische Arzneimittelbehörde EMA den tragischen Todesfall bei der Phase-I-Studie in Rennes zum Anlass nehmen, um die Richtlinie grundlegend zu überarbeiten. Die Behörde schlägt „Änderungen der geltenden Empfehlungen für erste klinische Studien am Menschen vor, um Strategien zur Identifizierung und Verringerung von Risiken für die Studienteilnehmer zu verbessern“, schreibt die EMA in einer Stellungnahme.

Eine Expertenkommission hat ein Konzeptpapier entwickelt, an dem auch das BfArM beteiligt war. Dieses zielt auf Studien wie jene in Rennes, die für ihr nachlässiges Design von internationalen Experten stark kritisiert wurde. Sie umfasste vier Teilstudien. Vor der Verabreichung der nächsten Dosisstufe mussten die pharmakokinetischen Daten der vorhergehenden Probandengruppe nicht ausgewertet werden – und kritische Entscheidungen wie der Start einer nächsten Teilstudie lag nur in den Händen der Pharmafirma Bial sowie des Auftragsforschungsunternehmens Biotrial.

„In den vergangenen Jahren hat sich die Durchführungspraxis für erste Studien am Menschen hin zu einem integrierten Ansatz entwickelt, bei dem die Sponsoren mehrere Schritte der klinischen Entwicklung in einem einzigen Studienprotokoll zusammenfassen“, erklärt die EMA. Die Liste der geplanten Ergänzungen ihrer Richtlinie ist lang: Pharmakologische und toxikologische Daten sollen stärker bei der Wahl der Dosisstufen berücksichtigt werden – wie auch Kriterien, wann Studien nach Nebenwirkungen gestoppt werden sollen. Die EMA will Entscheidungsprozesse systematisieren, sicherstellen, dass Daten laufend berücksichtigt werden, die Kommunikation mit Behörden und Patienten verbessern und klarstellen, welche wissenschaftlichen Informationen in den Studienunterlagen enthalten sein müssen.

Sicherheit als oberste Priorität

Der klinische Pharmakologe Michael Eddleston von der Universität Edinburgh ist sich jedoch nicht sicher, ob die EMA sich in dem Konzeptpapier ausreichend auf das Kernproblem fokussiert hat: Seiner Einschätzung nach sollte mit den Prüfungen nur die Pharmakologie erforscht werden, insbesondere im Vergleich zu früheren Tierversuchen. „Erste Studien am Menschen sollten niemals darauf ausgelegt werden, die Verträglichkeit zu testen“, erklärt er – also keine Nebenwirkungen untersuchen. „Oberste Priorität ist die Gesundheit und Sicherheit der freiwilligen Versuchsteilnehmer“, schreibt er auf Nachfrage. „Dies wird es nötig machen, ex vivo oder in vitro humanpharmakologische Daten in das Studiendesign aufzunehmen.“

Laut dem französischen Neuropathologen Alain Privat könnte man das Protokoll der Studie in Rennes – zynisch interpretiert – so auffassen, dass es testen wollte, bei welcher Dosis die Hälfte der gesunden Studienteilnehmer verstorben sind. Wie er sind viele Experten der Ansicht, dass die Studie nicht hätte zugelassen werden dürfen – auch da es kaum Belege dafür gab, dass das Arzneimittel BIA 10-2474 ausreichende Wirkung zeigen würde.

Sind die neuen Ansätze sicher – und überhaupt zulässig?

Auf einer Veranstaltung Ende Juni diskutierte das BfArM die Zukunft früher klinischer Studien mit mehr als 100 Mitgliedern der Industrie, Ethik-Kommissionen und Behörden in Bonn. Journalisten waren nicht zugelassen, doch wurden inzwischen Folien von Vorträgen online gestellt. Hiernach hat der Leiter der Abteilung „Wissenschaftlicher Service“, Thomas Sudhop, zu Beginn erst einmal auf die Grundlagen aufmerksam gemacht: Laut AMG müssen „die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Person, bei der sie durchgeführt werden soll …, und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde“ ärztlich vertretbar sein. Bei der Prüfarznei BIA 10-2474 von Bial gab es hierbei erhebliche Zweifel.

Laut seinem Vortrag werden integrierte Protokolle auch in Deutschland zunehmend eingesetzt – bei fast jeder vierten frühen Studie. Wichtigste Motivation sei die Zeit‐ und Geldersparnis. Umstritten ist, inwiefern integrierte Studien ohne Zwischen-Überprüfung durch Ethikkommissionen überhaupt zulässig sind. Sudhop thematisierte in seinem Vortrag, dass die geltende GCP‐Verordnung verkürzte Prüfungsfristen bei aufeinanderfolgenden Studien eines Phase-I-Entwicklungsprogramms vorsieht. Nach Einschätzung mancher Experten gibt es aufgrund dieser Möglichkeit berechtigte Zweifel, ob diese externe Prüfung bei Teilstudien tatsächlich übergangen werden darf.

Zwischenfälle haben nur Verlierer

Sudhop wies auf das Dilemma der Nutzen-Risiko-Bewertung bei integrierten Protokollen hin: Die jeweilige Behörde und Ethikkommission hat zum Zeitpunkt der Genehmigung naturgemäß keine Informationen zur Sicherheit aus den einzelnen Studienabschnitten. Ein Ausweg wäre, den Prüfplan nach Fertigstellung einer Teilstudie zu ergänzen und neu einzureichen.

BfArM-Mitarbeiter Heiko Preußer vom Fachgebiet Klinische Prüfung kritisierte Aspekte, die direkt auch den Zwischenfall in Rennes betrafen, in seinem Vortrag offenbar scharf. So beispielsweise den Fall, wenn Entscheidungen in Prüfprotokollen der „Meinung“ der Prüfärzte oder Sponsoren überlassen werden, wie es in Bials Studie erfolgte. „Zwischenfälle wie BIA 10‐2474 oder TGN1412 haben nur Verlierer!“, erläuterte er. Strenge regulatorische Anforderungen schützten nicht nur die Probanden und Patienten, sie schützen auch die Forschenden.

Laut Georg Golor vom Auftragsforschungsunternehmen Parexel sinkt bei Sponsoren die Akzeptanz gegenüber traditionellen, getrennten Protokollen. Die unterschiedlichen Beurteilungen in der EU führe zu „verlockenden“ Alternativen in anderen Ländern. Seiner Einschätzung nach sind integrierte FIM Studien sicher durchführbar, wenn klar definierte Kriterien eingehalten werden. „Ein integriertes Studiendesign darf nicht mit einem erhöhten Risiko für die Probanden einhergehen“, sagte er laut seiner Folien.

Sicherheit und Fairness

Joerg Hasford, der in Bonn als Vertreter des Arbeitskreises medizinischer Ethikkommissionen sprach, sieht integrierte Studiendesigns kritisch. Eine erhebliche Schwierigkeit ist die Aufklärung der Probanden, da die entsprechenden Unterlagen immer den aktuellen Erkenntnissen angepasst werden müssen – in Frankreich wurde deutlich, wie wichtig dieser Schritt ist. 

Ihm liege am Herzen, dass die Politik für Fairness bei den Anforderungen klinischer Studien sorgt, sodass Probanden überall auf gleichem Niveau geschützt werden müssen. „Es kann nicht sein, dass in Frankreich alles durchgewunken wird und Phase-I-Forschung nach Frankreich oder England abwandert“, erklärte er gegenüber DAZ.online.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Feedback

von Christina Rehm am 27.07.2016 um 15:43 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,
zu Ihrer Information: ich kenne mich mit den Thema klinische Forschung/ klinische Studien wirklich gut aus, da ich viele Jahre als Managerin (international) in der Pharmaentwicklung gearbeitet habe. Dieser Artikel hat mich sehr interessiert, weil sich endlich, vor allem auch in Deutschland, das ja bekanntermaßen auch Referenzmarkt ist, etwas tut, um das Gebaren so mancher Unternehmen einzudämmen. Profitgier darf nicht zu einer Gefährdung unserer Gesundheit führen und ich bin der Meinung, dass der Markt, insbesondere in Deutschland, absolut übersättigt ist. Darüber hinaus halte ich diesen Artikel für sehr gut, weil er versucht in " allgemeinverständlicher" Weise, die extrem komplexen Vorgänge, insbesondere auch bei Phase 1 Studien, zu beschreiben. Kompliment!
Freundliche Grüsse Christina Rehm

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von Christina Rehm am 27.07.2016 um 15:43 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,
zu Ihrer Information: ich kenne mich mit den Thema klinische Forschung/ klinische Studien wirklich gut aus, da ich viele Jahre als Managerin (international) in der Pharmaentwicklung gearbeitet habe. Dieser Artikel hat mich sehr interessiert, weil sich endlich, vor allem auch in Deutschland, das ja bekanntermaßen auch Referenzmarkt ist, etwas tut, um das Gebaren so mancher Unternehmen einzudämmen. Profitgier darf nicht zu einer Gefährdung unserer Gesundheit führen und ich bin der Meinung, dass der Markt, insbesondere in Deutschland, absolut übersättigt ist. Darüber hinaus halte ich diesen Artikel für sehr gut, weil er versucht in " allgemeinverständlicher" Weise, die extrem komplexen Vorgänge, insbesondere auch bei Phase 1 Studien, zu beschreiben. Kompliment!
Freundliche Grüsse Christina Rehm

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